Die Mindestlohnkommission hat zum ersten Mal eine Mehrheitsentscheidung gegen die Gewerkschaftsvertreter getroffen. Die Entscheidung, den Mindestlohn 2024 auf € 12,41 und € 12,82 anzuheben, ist angesichts der Inflation und Teuerung von bis zu 24% bei den Nahrungsmitteln, Energiepreisen und Nebenkosten und der wirtschaftlichen Ängste gerade der Menschen am unteren Ende des Lohnniveaus eine törichte Entscheidung. Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, davon abweichend zu entscheiden, sonst gäbe es keine Erhöhung. Es haben sich offensichtlich diejenigen durchgesetzt, für die sowieso der Mindestlohn das Ende der Marktwirtschaft gewesen wäre.

Diese Entscheidung zeugt von einer großen politischen Blindheit und Ignoranz – oder auch einfach von Fachidiotentum. Sie fällt in einer Situation, in der gerade in mittleren und unteren Einkommensschichten die  Ängste vor sozialem Abstieg wachsen. Dabei geht es nicht um den einzelnen Fall, sondern das gesellschaftliche Signal, was von dieser Entscheidung ausgeht. Wir haben auf der einen Seite aufgrund des Ukrainekrieges – berechtigt oder unberechtigt – eine  große Verunsicherung. Wir haben bis hinein in Mittelschichten und Häuslebesitzer Ängste wegen der notwendigen und unausweichlichen Klimagesetzgebung. Wir haben in diesem Zusammenhang einen Kommunikations-GAU der Ampelkoalition, aber auch der CDU/CSU-Opposition. All dieses führt – berechtigt oder unberechtigt – zu einem Jahrzehntehoch der faschistischen AfD. deren populistisches Motto ist “Die da oben handeln gegen die Interessen des kleinen Mannes”. Die Entscheidung der Mindestlohnkommission wird dieses Narrativ noch massiv verstärken.  Noch mehr Menschen werden sich von der Politik abwenden. Natürlich haben wir andere Zeiten, aber sowohl das Handeln der etablierten Parteien – ob in der Ampel oder die CDU/CSU Opposition – erinnern derzeit durchaus an die Zeit der Weimarer Demokratie um 1930.

Mindestlohn und Deklassierungängste treffen auf rechte Agitation

Im Reichstagswahlkampf der Weimarer Republik 1930  gab es ein unsägliches rechtes Volksfrontplakat mit drei stilisierten Marschsäulen, die in Richtig “Deutschlands nationaler Zukunft” marschierten. Über diesen stand von links nach rechts: DVP (rechtsliberale Partei Gustav Stresemanns), DNVP (Nationalisten unter dem Verleger Hugenberg) und die NSDAP Hitlers. Das konservativ-nationale Bürgertum und Teile der sozial abstiegsgefährdeten Arbeiterschaft gingen damals eine fatale Allianz mit Hitler ein. Wenn heute der CDU-Vorsitzende Merz gegen den “Genderwahnsinn” wettert, den Versuch Robert Habecks, 16 Jahre Versäumnis und Stillstand der CDU/CSU in der Klimapolitik nun quasi mit der Brechstange zu lösen, als “ideologische Verblendung” diffamiert, bedient er dieselben Phrasen und Scheinargumente, die auch die AfD in ihrem Populismus bedient. Vor allem aber, solange sich die CDU/CSU – wie auch Teile der SPD – sich die Rhetorik der AfD gegen Flüchtlinge und Asylsuchende zu eigen machen – von Clankriminalität über Asylschwindel und Asyltourismus, geben sie indirekt den Extremisten recht. Wer in dieser Weise Rassismus und soziale Konkurrenzängste schürt, wird am Aufwärtstrend der AfD nichts ändern, sondern ihn befördern. Gerade Friedrich Merz, der “die AfD halbieren wollte”, muss sich das hinter die Ohren schreiben. Claudia Roth und ich haben dies schon 1992 in unserem Buch “Die Asyl-Lüge” nachgewiesen. Sobald die demokratische Mitte rechtsextreme Narrative übernimmt, profitiert das Original. All dies macht jede Entscheidung über soziale Auf- oder Abstiegsaussichten  hochpolitisch.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net