Gelegentlich habe ich die Boulevardisierung der Frankfurter Rundschau (FR) durch die Ippen-Gruppe gegeißelt. Davon nehme ich auch nichts zurück. Doch gelegentlich sind noch publizistische Perlen zu entdecken. Johannes Varwick ist so eine sichere Nummer, ein Friedensforscher, der Widerworte und Stigmatisierung nicht scheut, weil er sich seiner Vernunft sicher sein kann. Von solchen Leuten kann es gar nicht genug geben.

Diplomatische Möglichkeiten

Angriffskrieg gegen die Ukraine: Verhandeln, um eine weitere Eskalation zu verhindern – Weder die Ukraine noch Russland wollen sich jetzt an einen Tisch setzen. Welche diplomatischen Möglichkeiten es dennoch gibt.” titelt sein aktueller Diskussionsbeitrag. Wäre ich Regierung, wäre der Kerl mein Berater.

Erkennen der Wirklichkeit – in den USA?

Varwick ist ein hier zu seltenes Symptom, das Florian Rötzer/overton auch in den USA zu entdecken meint: Vom allmählichen Erkennen der Wirklichkeit des Ukraine-Kriegs im Westen – Vor allem in den USA beginnt man die ukrainischen Verluste und das Versagen der westlichen Militärstrategie zu sehen: Dämmerung für Waffenstillstandsverhandlungen? Und warum sollen wir den Schrecken des Kriegs nicht sehen?” Und die USA sind wahrlich keine Hochburg des Realismus, sondern eher eine Heimat des unbegrenzten Irrsinns, jedenfalls von Europa aus betrachtet. Aber Eva C. Schweitzer/overton schreibt gar nicht aus Europa, sondern aus New York, sie muss es also wissen: Das innere Licht – Donald Trump kommt vor Gericht. Und wie geht es dann weiter? Einsame Insel oder Israel: Hauptsache Flucht?” Meine Lieblingspassage: “Die eigentliche Frage aber ist, welche Chancen hat Trump? Die meisten meiner Freunde, die natürlich allesamt schwule jüdische Kommunisten sind, fürchten, dass er a) wiedergewählt wird und b) dann in Amerika der Faschismus ausbricht. Ich glaube beides nicht, das liegt aber nicht daran, dass ich irgendwelche besondere Insider-Informationen habe, sondern nur ein sonniges, optimistisches Gemüt.” Und ihr Schluss: “Jetzt gehe ich und gebe die zehn Dollar für Eiscreme aus. Im Schwimmbad.” Ich dagegen öffne gleich eine Flasche gut gekühlten italienischen Bio-Rosé für unter 10 €, während draussen in Beuel – der Weltpolitik angemessen – ein Gewitter donnert.

Spaltung statt Brückenbau verschärft die Klimakrise

Simon Zadek/ipg-journal trifft den Nagel auf den Kopf: Geopolitik trifft auf Umwelt – Die Klimakrise erfordert eine globale Antwort. Doch statt Brücken zu bauen, verschärft der Westen oft die Spaltungen mit dem Globalen Süden.” Es kann ja jede*r Eigentore schiessen, wie sie*er will – bei der Klimakatastrophe ist es nur leider kein Spass mehr.

Alte Männer: Wo keine Aufregung ist, muss sie einer erfinden

Stefan Niggemeier/uebermedien hat in der “Welt”, defizitäres Laberorgan des Springerkonzerns, eine “Kontroverse” entdeckt, die keine ist: ‘Welt’ erfindet Aufregung um ‘Rolling Stone’-Bestenliste – Wenn man dereinst auf die großen, furchtbar eskalierten Debatten des Sommers 2023 zurückblickt, wird eine vermutlich alles überschatten: die schlimme Kontroverse um die neue Liste der 500 besten Musikalben, gekürt vom ‘Rolling Stone’.” Niggemeier erwähnt richtig, dass beide Blätter in Deutschland lange Zeit demselben Konzern gehörten. Daran scheint sich beim “Rolling Stone” kürzlich was geändert zu haben. Als er noch nicht Springer gehörte, erschienen dort regelmässig Kolumnen der Ex-Grünen Herren Ebermann/Trampert – ein guter Grund, warum ich seinerzeit diese Hefte gekauft habe – ja, das ist sehr, sehr lange her, als bedrucktes Papier noch relevant war.

Gar nicht alte Frauen

Ein tolles Interview machte Klaus Walter/FR: Kersty Grether: ‘Sex muss ja nicht das Hauptmotiv sein’– Musikerin und Autorin Kersty Grether über Groupietum, Begegnungen auf Augenhöhe und Trotzreaktionen der Männer.” Was für eine intellektuelle Wohltat in diesem ganzen Rammstein-Mediengedöns. Ich kannte die Frau nicht, auch ihre Musik nicht. Die erwähnten “Slut-Walks” hatte ich aus der Ferne aber mitbekommen, und mich darüber fachlich mit unserer heutigen Oberbürgermeisterin ausgetauscht. Interviewer Klaus Walter ist mir über meinen Freund und Gastautor Dieter Bott ein publizistischer Begriff geworden.

Mauern und Bahn – manches bleibt, manches wird schlechter

Die Jungle World beliess ihre interessanteren Autoren Bernhard Schmid über Niger, und Georg Seesslen über KI in ihrer digitalen Mauer.

Christoph Jehle/telepolis kommentiert die Tatsachen, denen wir Bahnfahrer*innen ins Auge blicken müssen. Für Menschen meines Alters keine guten Aussichten: Deutsche Bahn: Wie das marode Schienennetz den Neustart verhindert – Infrastruktur der Deutschen Bahn ist sei Jahren defizitär. Netzsanierung verursacht großräumige Ausfälle. Ob das Budget ausreicht, ist fraglich.”

Reicht Ihnen das fürs Wochenende? Schönes Wetter soll erst später kommen – wenn in NRW wieder Schule ist und die Kinder von der Strasse sind.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net