mit Update 15,10.

Patrik Baab, den ich persönlich nicht kenne, der aber mit Sicherheit “ein schwieriger Typ” ist, drückt es so aus: “In meinem Buch ‘Recherchieren’ habe ich geschrieben, dass sich die bürgerliche Öffentlichkeit gewandelt hat zu einer Zensur- und Denunziationsöffentlichkeit. Dieser Prozess ist nun vollzogen. Bürgerkinder in Redaktionen, die ausgesprochen ungebildet sind und lediglich die Vorurteile ihrer Klasse, also des gehobenen Bürgertums, unters Volk bringen wollen, maßen sich in purer Selbstermächtigung an, bestimmen zu wollen, wer am öffentlichen Diskurs teilnehmen darf und wer nicht. Sie haben offenbar keinen Begriff von demokratischer Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich in meinen Augen um Journalisten-Darsteller, die deshalb den Mund so voll nehmen, weil sie sich ausrechnen können, dass sie selbst und ihre Gören nie an der Front landen. Sie schauen lieber den Ukrainern beim Verrecken zu und bedienen ansonsten ihre transatlantischen Karriere-Netzwerke. Ich wünsche diesen Leuten, dass sie mal 48 Stunden an der Front verbringen. Das wäre heilsam.”

Hmm ja, muss mann nicht so sehen, kann mann aber, insbesondere nach seinen Erlebnissen. Ich erlebe es als Leser, Hörer und Zuschauer. Medien ziehen gedanklich in den Krieg. It’s the economy, stupid! Je mehr Aufregung, umso mehr Klicks. Krieg ist also super fürs Mediengeschäft.

Im Film- und TV-Geschäft ist Gut und Böse notwendige Bedingung. Die*der Zuschauer*in muss ins Geschehen mental hineingezogen werden. Sonst schaltet er um oder ab. Es gibt sogar Handreichungen, die feststellen wie viele Sekunden dafür Zeit bleibt. So senden sie nicht nur, so schreiben sie auch. Die Profis.

Ein paar elementare Grundregeln freiheitlicher Länder, in denen “das Gesetz” gilt und von guten Sheriffs und US-Marshals verteidigt wird, habe ich allerdings schon in den schwarz-weiss-Western der 60er Jahre gelernt. Die Bösen werden nicht erschossen – das machen nur die Bösen selbst – sondern festgenommen und vor Gericht gestellt. Vor Gericht haben sie das Recht sich zu verteidigen. Und wenn sie zu Unrecht zum Tode verurteilt werden, dann kommt sehr, sehr oft ein guter Held, und schiesst mit einem gezielten Kunstschuss das Seil des Galgens durch.

Das Fiese am Krieg ist, dass diese Regeln – ob sie nun im Völkerrecht oder im Kriegsrecht stehen – dort ihre Macht verlieren, egal ob bei den Guten oder den Bösen. Es sterben die Unschuldigen – die verantwortlichen Schuldigen bleiben in Deckung, und wenn das Kriegsglück ihnen verloren geht, gehen sie irgendwo ins Asyl. Berühmt-berüchtigt dafür die deutschen Nazis in Südamerika – aber manche flohen auch schnurstracks ins Kanzleramt oder zum Geheimdienst.

Vieles davon war in meiner Kindheit noch familiäres Gesprächsthema. Die Grosseltern waren Sozis, bzw. (erzkatholisches) Zentrum, die Eltern (bei Kriegsende 13) traumatisiert von den Bombennächten ihrer Kindheit und den Hungersnöten der Nachkriegszeit. Die Menschen, die davon erzählen können, sind bald alle tot. Aus den Medienredaktionen sind sie nun schon 10-30 Jahre raus.

Das merke ich. Deutsche Radio- und TV-Nachrichten halte ich kaum noch aus. Ihre Quellen bestehen fast nur noch aus der ukrainischen bzw. der israelischen Seite. Es wird nichts ausgelassen, um die Grausamkeit der bösen Seite darzustellen. Die Grausamkeit der guten Seite bleibt “unbestätigt”.

Welche gruseligen Folgen diese Art Kriegshaltungsjournalismus haben kann, hat an einem weit weniger grausamen Fall gerade die SZ in ihrem – politisch legitimen und berechtigten – Kampf gegen den bösen Aiwanger erlebt. Oder hier ein Beispiel aus den USA, wie die Guten sich selbst ein Bein stellen.

So ergeht es auch der aktuellen Kriegspropaganda. Sie entfernt sich von immer mehr Menschen, für die Krieg kein “Mittel der Politik” ist, und die sich ihrerseits immer mehr vom Mediengebrauch entfernen. Verlust an Medienvertrauen = Verlust an Demokratievertrauen.

“Sicherheit”, verehrte Konservative aller Parteien, wird so nicht hergestellt.

Update 15.10.

Ein weiterer Fall, bei dem die SZ/SWMH über ihre eigenen Beine stolpert: Boris Rosenkranz/uebermedien: “Nahost-Konflikt: Wie sich der Kommentar des SZ-Korrespondenten zu Israel plötzlich veränderte”.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net