Christian Lindner weiss, wie der funktioniert
Das erfolgreiche Abschneiden der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in den Nationalratswahlen des Landes ist offenkundig in Deutschland mit Blick auf eine Übertragbarkeit des SVP-Vorgehens geprüft, „gecheckt“ worden, wie es heute heißt. Die SVP war vor diesen Wahlen in sich zerstritten zwischen bürgerlichem Konservatismus und völkisch-nationalen Mitgliedern. Die „Überfigur“ Christoph Blocher hatte längst abgewirtschaftet, ein Ersatz für ihn war nicht in Sicht. Der rechtsgerichtete SVP-Nationalrat Roger Köppel sprach von „Mitläufern, Profiteuren und Politakrobaten“, die sich „in die Karawane gemischt“ hätten (NZZ vom 30. Oktober, Seite 27). Dennoch hat diese Partei die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, die Mitte und vor allem die grünen Gruppierungen weit hinter sich gelassen.
Was ist da passiert? Es ist auffällig, dass die SVP im Laufe des Jahres 2022 und erst Recht 2023 das Thema Zuwanderung und Migration in einer bestimmten Weise genutzt hat: Nämlich als „Hebel“-Thema. Die „Mechanik“ eines solchen Vorgehens geht so: Probleme in anderen Bereichen als der Migration, im Sozialstaat, in der Gesundheitspolitik, Infrastruktur und Baupolitik, in der Bildungs- und Regionalpolitik werden konsequent als Ausfluss der Zuwanderungsprobleme interpretiert und gekennzeichnet. Mit einem solchen „Hebel“-Mechanismus wurde darüber hinaus in der Schweiz die Außen- und dabei vor allem eine veraltete Neutralitätspolitik „gewuchtet“.
Nun hat man sich in unserem Land offenkundig genau angeschaut, wie es
– eine in sich keineswegs einige Partei,
– mit der deutlichen Tendenz zu geringer werdenden Anziehungskraft,
– ohne herausragende Führungspersönlichkeiten,
– mit einem Programm-Besatz ohne Zukunftstauglichkeit
schafft, die politische Konkurrenz auf deutlichen Abstand zu halten. Für ein Übertragen auf die Bundesrepublik gibt es deutliche Indizien. Der AfD dient das seit längerem als eine Art „Geschäftsmodell“.
Aber leider nicht mehr allein der AfD. FDP- Parteichef Christian Lindner ließ kürzlich über die Pressestelle seiner Partei verbreiten: „Die Kontrolle an den Grenzen zurückzugewinnen, ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zentral. Das reicht weit über Wahltermine hinaus. Übrigens kostet uns ungeordnete Migration inzwischen viele Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt für Investitionen, weil viele Jahre seit 2015 der Mut zur Konsequenz fehlte. Deshalb brauchen wir eine Wende in der Migrationspolitik, die vergleichbar ist mit dem Asylkompromiss Anfang der 1990er Jahre. Ich nehme große Offenheit für die Zuwanderung qualifizierter Menschen wahr, aber keinerlei Bereitschaft mehr, ungeordnete Migration in unsere Sozialsysteme zu tolerieren.“
Nur zur Klarstellung: Einen Asylkompromiss hat es Anfang der 90er Jahre nicht gegeben. Es gab eine Reduzierung des Einreisens in die Bundesrepublik, weil in Hoyerswerda und in Rostock-Lichtenhagen Pogrome stattfanden, Morde in Mölln und Solingen und anderswo. Der Staat sah sich offenkundig außerstande, weitere solcher Mordaktionen ohne Änderung des Asylrechts zu unterbinden. Das war kein Kompromiss.
Und heute? Folgen wir der Tagesschau am 2.März 2023: „Im vergangenen Jahr hat die Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte deutlich zugenommen. 2022 gab es 121 Überfälle, Anschläge, Sachbeschädigungen und tätliche Angriffe. Das ist ein Plus von 73 Prozent im Vergleich zu 2021, als es 70 derartige Straftaten gegeben habe.“
2023 ist die Zahl der Anschläge weiter gestiegen, meist aus rechtsextremer Überzeugung heraus. In den entsprechenden Verlautbarungen heißt es dazu immer „Hintergrund“ statt Überzeugung. Nun kommen in den letzten Wochen vermehrt Hass und Verbrechensbereitschaft zum Vorschein, die sich gegen Jüdinnen und Juden und deren Einrichtungen richten. Es ist 23 Jahre her, dass die Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch erklärte, die Juden säßen nicht mehr auf gepackten Koffern – „und die Koffer werden auch nicht wieder hervorgeholt“. Ob dieser Optimismus noch Geltung hat, das ist zweifelhaft.
Zentral für den Zusammenhalt soll nun die Kontrolle an den Grenzen sein; ungeordnete Migration koste „uns“ viele Milliarden Euro, die bei den Investitionen fehlten. Assistiert vom Bundesjustizminister erklärte Lindner in der Welt am Sonntag, unter „besonders engen Bedingungen wäre sogar eine Absenkung von Leistungen quasi auf ‘null’ denkbar“. Und weiter: „In der Vergangenheit sind hier viele Debatten mit pauschalen Verweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgeblockt worden“….„Doch sind die Spielräume für Anpassungen möglicherweise größer, als viele meinen.“
Ich fasse zusammen: Über den Zusammenhalt wird an der Grenze entschieden und nicht durch Achtung und Beachtung der Ordnung des Grundgesetzes – mag das Bundesverfassungsgericht auch noch so oft auf die geltende Werteordnung pochen. Das Volk steht meinungsmäßig auf meiner, Lindners Seite. Die Fehler des Jahres 2015 sind nie behoben, Spar-Spielräume in den Transfers für Asyl- und Schutzsuchende nie genutzt worden. Jetzt ist die Zeit dazu gekommen. Migration schadet den Investitionen, weil sie so viel Geld kostet.
Auch hier nur zu Erinnerung: Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält Mensch im laufenden Jahr je Monat 410 Euro. Der Mensch aus Syrien oder aus Afghanistan bekommt eine Art „Taschengeld“ von 182 Euro im Monat, außerdem sachbezogene Mittel in Höhe von 228 Euro je Monat. Für Babys und Kleinkinder werden 278 Euro ausgezahlt. Im Jahr 2021 leistete der Bund knapp 22 Milliarden Euro an flüchtlingsbezogenen Ausgaben. Das entsprach rund 3,9 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes in Höhe von 556,6 Milliarden Euro. 2022 waren laut in der Finanzplanung des Bundes 22,2 Milliarden Euro an asylbezogenen Ausgaben vorgesehen – die Angaben sind einer Übersicht der Bundeszentrale für Politische Bildung entnommen. Als Merkposten: Die Summe der Wertschöpfung im Land betrug 2022 knapp 3,9 Billionen Euro. Und würde Herrn Lindners Partei zustimmen, das sogenannte Dienstwagenprivileg abzuschaffen, um dem Klima etwas Gutes zu tun, hätte er rund acht Milliarden Euro mehr in der Kasse.
Aber das passt eben nicht zur eingangs beschriebenen Hebel-Mechanik.
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