Die Aufmerksamkeitsökonomie überdreht, diese Feder wird brechen – und bricht jetzt schon zahllose Menschen
Warnhinweis: dieser Text schlägt einen grossen Bogen und endet zwar bei zwei starken Frauen, aber ohne Happyend. Johannes Kopp/taz meditiert über “Martina Voss-Tecklenburg: Immer weiter performen – Ex-Bundestrainerin Voss-Tecklenburg hat erstmals über ihre psychische Erkrankung gesprochen. Ihr Fall zeigt die Gnadenlosigkeit des Leistungssports.” Bundestrainer*innen im Fussball übertreffen gelegentlich in ihrer Medienwahrnehmung gewählte Bundeskanzler*innen. Weswegen Letztere sich so gerne zusammen mit ihnen sehen lassen.
Ob das nach gestern Abend noch eine gute Idee ist? In der Spiegel-Paywall heisst es dazu: “DFB-Pleite in Wien: Wie das Land, so die Nationalelf – Die deutsche Nationalmannschaft hat eines ihrer schlechtesten Jahre hinter sich, es gibt wenig Hoffnung, dass sich das im EM-Sommer ändert. Das Team passt sich damit perfekt der allgemeinen Gemütslage im Land an.” Ich neige gewöhnlich nicht zu den Ansichten dieses dubiosen Mediums. Hier mache ich mal eine Ausnahme.
Warum bringen die jungen Multimillionäre nun schon seit Jahren nicht die Leistung, für die sie grosszügig bezahlt werden? So ein 20-jähriger steht schon von Kleinkindsbeinen an unter dem Druck seiner ehrgeizigen Eltern. Nicht nur soll er es “einmal besser haben”, sondern insbesondere sie selbst. Eine schöne Kindheit ist das nicht. Die Kinder sind ja nicht doof – sie wissen, womit sie beladen sind. Darum scheitern die meisten im Leistungssport. Die Öffentlichkeit sieht nur einen mikroskopischen Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit des kommerzialisierten Sports.
Die Übeltäter sind die zahlenden Medien und die korrupten Sportorganisationen. Wenn deren System aber so wurmstichig ist, wie im Bezug auf den DFB jedes Kind und auf die DFL jede*r Fan weiss, geht das an den 20-jährigen Jungunternehmern nicht vorbei. Sie wissen genau: selbst ohne Verletzung ist ihre Karriere in 15 Jahren vorbei. Bis dahin muss für alle gesorgt sein: Eltern, Kinder, geschiedene und verehelichte Spielerfrauen, Berater*innen, Mediziner*innen, Psycho-Klempner*innen u.v.m. Das macht Stress und erzeugt Gier. Die wenigsten Charaktere sind dem gewachsen.
Und nun soll die Nation von diesen reichen Deppen im nächsten Jahr bei Laune gehalten werden? Mit einem EM-Sommermärchen? Verzweifelt betet die Entertainmentbranche das herbei. Und je mehr sie beten, umso ferner wird das Ziel. Die versagenden Jungmillionäre sind intelligent genug, das präziser und früher als alle Andern zu begreifen.
Das Land hat eine von Panne zu Panne taumelnde Regierung, die sich selbst ihr gefährlichster Gegner ist. Der Deutsche Fussballbund (DFB) und die Deutsche Fussball-Liga (DFL) sind getreue Repräsentanten ebendieses Landes. Statt vor dem heranwachsenden Faschismus fürchtet es sich vor ein paar tausend dunkelhäutigen Migranten*inn*en. Die sich selbst lobenden “Demokratien” bauen Mauern um sich selbst, und merken nicht, dass sie sich weltweit mit ihrer angeblichen Werteleitung immer mehr isolieren.
Die Despot*inn*en dieser Welt lachen sich – kaum noch heimlich – ins Fäustchen.
Aufmerksamkeitsökonomie treibt Demokratien an den Abgrund
Warum ist die Qualität von Politik und Management in unserem reichen Land so schlecht geworden? In den letzten Jahren habe ich mich über kaum eine Frage so ausgelassen wie diese. Ich war viele Jahre dabei und habe mehr gesehen, als ich wissen wollte.
Ich fasse es heute so zusammen. Stresssituationen, wie sie z.B. in der heutigen Ampelkoalition für alle sichtbar sind, hat es immer gegeben. So wie Kriege oder Massenmorde, über die in früheren Mediensystemen nur weniger zu erfahren war. Der Umgang mit Krisen war früher nicht nur anders, sondern auch besser.
Ich erinnere mich an eine tiefe Krise und Kontroverse in den Jungdemokraten 1977. Der Kern des Bundesvorstandes trat zurück. Tage- und nächtelang wurden Sitzungen abgehalten und die Gegenseite beschimpft und persönlich verletzt. Nichts davon war besser als heute. Aber es geriet nicht in Massenmedien. Es war eine interne – und alle Beteiligten aussgerwöhnlich belastende – Angelegenheit. Warum spaltete sich die Organisation nicht (wie z.B. heute “Die Linke” oder demnächst die Ampel)? Weil mehr Zeit zum Nachdenken und Diskutieren war. Es war die Zeit von Festnetztelefonen und elektrischer Schreibmaschine. Das bedeutete praktisch: vor dem nächsten Angriff gegen die Andern war – konservativ geschätzt – 20mal mehr Zeit zum Nachdenken.
Koalitionen gingen damals ungefähr so. Wer die Mehrheit bilden will, setzt sich zusammen, redet miteinander – lieber einmal mehr als weniger. Dabei legen alle auf den Tisch, was sie wollen, Dann wird gedealt, und zwar so, dass jede*r einen Erfolg mitnimmt. Dieser Erfolg wird in der anschliessenden Amtszeit so gut wie möglich vermarktet. Angriffe und Beschwerden gegen Koalitionspartner*innen werden zuerst intern vorgetragen, und nur bei feindlicher Nichtbefassung an nahestehende Medien durchgestochen.
Dass das alles heute nicht so ist, so meine steile These, dürfte den einen oder anderen Krieg, und damit nicht wenige Todesopfer, beschleunigt herbeigeführt haben. Weil alles “ganz oben” in der Weltpolitik angekommen ist. Wo nichts mehr zählt, als eine gute Medienperformance. Die bei Bedarf auch diktatorisch herbeigeführt wird.
Wo endet das?
So lange es menschliche Gesellschaften gibt, endet nichts. Es geht immer weiter. Und nie immer in eine Richtung. Es ist beeinflussbar. Wenn die Mehrheit der Menschen so zurückhaltend und desinteressiert, so deprimiert und deklassiert verharrt, dann ungefähr da, wo sie in Indien, dem grlössten Land der Welt, schon sind. Arundhati Roy/Blätter: »Wir sind zu Nazis geworden« – Indiens Weg in den Faschismus”. Die wertegeleitete deutsche Aussenpolitik nimmt das ganz schmerzfrei zur Kenntnis. Jedenfalls tritt sie öffentlich so auf. Wo soll das enden?
Die deutsche Gegenwart überbringt Ihnen die starke Annika Schneider/DLF: “Nahezu faktenfrei: Mediendiskurse zur Migration seit 2015” (Audio 7 min). Aus gesundheitlichen Mediendiätsgründen höre ich mir die morgendliche Radioprimetime (6-9 h) nicht mehr an, und weiss darum nicht, ob der DLF diesen Beitrag auch an vielgehörten Sendeplätzen eingesetzt hat. Seine Homepage hat er jedenfalls nicht damit aufgemacht, eine Schriftfassung auch nicht online gestellt. Gehört habe ich es nachmittags in der Nische @mediares. Ausser mir und ein paar Dutzend was-mit-Medien-Nasen hört das niemand.
Der Intendant Raue und die Programmdirektorin Teichmann könnten bei Gelegenheit mal erklären, wie sie sich die Existenzrettung ihres Senders vorstellen, wenn die ersten AfD/CDU-Landesregierungen ihn killen wollen.
@extradienst Danke für deinen guten Text. Der O-Ton von Höcke ist sehr aufschlussreich. (https://www.deutschlandfunk.de/nahezu-faktenfrei-mediendiskurse-zur-migration-seit-dlf-d88b1e36-100.html)