Beueler-Extradienst

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Der Anfang vom Ende?

Am Anfang vom Ende einer Koalition steht immer ein Papier. Als die FDP Genschers 1982 die sozialliberale Koalition verließ und ohne Neuwahlen Helmut Kohl zum Bundeskanzler machte, gab es das “Lambsdorff-Papier”, eine Ansammlung von sozialen Streichungen und Steuervergünstigungen für Wohlhabende, sowie jede Menge Privatisierungsforderungen. Nun wird in der Berliner FDP, so raunen es zuverlässige Quellen, wieder an einem Papier gebastelt, das angeblich die Projekte ultimativ zusammenfasst, die umzusetzen die FDP noch in der Ampelkoalition bereit sei.

Während der Parteivorsitzende Christian Lindner in den “Tagesthemen” am 22. Februar angesprochen auf die Kindereien der Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, in Sachen Taurus mit der CDU zu stimmen und des verbalen Schienbeintritts von “General” Bijan Djir-Sarai gegen die Koalitionspartner, man wolle doch viel lieber mit der CDU/CSU koalieren, von einer Koalitionskrise oder gar einem Austritt aus der Regierung nichts wissen wollte, wird – entweder mit seiner Billigung oder hinter seinem Rücken – an einem “Knackpunktepapier” geschrieben. Da das Abstimmungsverhalten der Vorsitzendes des Verteidigungsausschusses und Djir-Sarais Tiraden auf der gemeinsamen Montags-Pressekonferenz der FDP von Fraktion und FDP stattfanden, ist davon auszugehen, dass es sich um eine abgesprochene Aktion handelt.

Kamikaze, Verzweiflung oder Orientierungslosigkeit?

Angesichts der mächtigen Unterstützung von zwischen drei bis fünf Prozent, der sich die FDP inzwischen in Umfragen erfreut, muss schon die Frage gestellt werden, ob es sich hier um eine politische Kamikaze-Aktion handelt. Dass die FDP selbst in ihrer Hybris für ihre Umfrageergebnisse verantwortlich sein könnte, auf diese Idee scheint man in der Berliner Reinhardstraße erst gar nicht zu kommen. Der Finanzminister beharrt  gegen den Rat von großen Teilen der Wirtschaft auf der Schuldenbremse, hält wider aller ökonomischen Erkenntnisse und Vernunft die Illusion der “synthetischen Kraftstoffe” aufrecht,  brachte das Lieferkettengesetz auf EU-Ebene ebenso zum Scheitern, wie das Verbot des gesundheitsschädlichen Glyphosat, das den Bayer-Konzern Milliarden an Entschädigungen in den USA kostet.  Dass man damit teils irrlichternde Positionen vertreten hat, die die gebildete und gut situierte, zum Teil mit dem bürgerlichen Klientel der Grünen sich überschneidende  Wähler*innenschaft der FDP abschreckt, kommt in der Wahrnehmungsblase der Regierungs-FDPisten erst gar nicht vor.

Inhalte: Fehlanzeige

Während sich der politisch Altliberale Gerhart Baum in Interviews und Artikeln den Mund fusselig redet, dass die größte Gefahr für die Demokratie von der AfD ausgeht, weigern sich manche Ortsverbände der FDP, zu den Demonstrationen gegen Rechts aufzurufen. Von der Bundespartei kommt dazu wenig. Das Bild der FDP ist von Orientierungslosigkeit gekennzeichnet. Das zeigt sich auch in der programmatischen Leere, die von der Parteispitze, insbesondere vom Generalsekretär ausgeht. Außer als Verhinderungspartei und Schuldenbremse hat die FDP in zwei Jahren Koalition noch nicht klar gemacht, für welche Ziele sie eigentlich steht. Etwa eine Utopie vom demokratischen Europa 2050, einer marktwirtschaftlichen Ökologie, Rechtsstaat, Wahrung der Bürgerrechte trotz Digitalisierung und KI oder kultureller Vielfalt unserer Gesellschaft. Hier herrscht große Leere.

Handwerklicher Murks, Streit dominiert, Ansehen zerrüttet

Seit Beginn des Ukraine-Überfalls Wladimir Putins versucht nun Strack-Zimmermann mit Billigung von Lindner, die eigene Regierung und vor allem Kanzler Scholz vor sich her zu treiben. In zwei Jahren gingen diese Schüsse überwiegend nach hinten los, weil die FDP eine Regierung bloßzustellen versucht, der sie angehört. Zum X-ten mal seit der Diskussion um die Haubitze 2000, Flugabwehrpanzer Gepard, Kampfpanzer Leopard 1, Leopard 2, entfesselt Strack-Zimmermann – der grüne Hofreiter ist auch wieder dabei – absurde öffentliche Diskussion über das Klein-Klein bestimmter Waffen und Waffengattungen, die in Kriegszeiten tunlichst innerhalb der Regierung gehalten werden sollten. Das Niveau ist unterirdisch. Wenn ich als Mitglied der G10-Kommission des Landtages (die über Überwachungsmaßnahmen gemäß Artikel 10 Grundgesetz geheim beschließt)  eine öffentliche Diskussion darüber anzetteln würde, ob der Geheimdienst bei dem Extremisten A oder der Terroristin B nicht ein anderes oder ein ganz bestimmtes geheimdienstliches Mittel anwenden sollte, würde die Zielpersonen sich ins Fäustchen lachen.  Das wird Putin angesichts des unprofessionellen öffentlichen Hickhacks über Waffen auch.

Was hat die Konfrontationsstrategie erreicht?

In der Sache nichts. Alle als “Game-Changer” gehandelten Waffensysteme haben diese Funktion bisher nicht erfüllt. Den “Geparden” fehlt es an Munition, die “Leos” sind zumeist Schrott, weil sie nicht vor Ort repariert werden können, es kein Know-How, keine Reperaturinfrastruktur und keine Ersatzteile in der Ukraine gibt. Ob die Haubitzen 2000 noch schiessen, ist nicht bekannt. Tatsache ist, sie brauchen nach etwa 100-150 Schuss eine neue Kanone. Was der Ukraine wirklich fehlt, ist vor allem Munition und Nachschub an allen Ecken und Enden – und da passiert insgesamt viel zu wenig. Dieses Manko verantworten vor allem die USA, die anderen EU-Staaten und am wenigsten Deutschland, dass sich zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine nach den USA gemausert hat.  Diesen positiven Aspekt zu zerstören, scheint das vordingliche Ziel Strack-Zimmermanns und der FDP zu sein.  Dabei fällt die Strategie letztlich auf sie selbst zurück: Wer ständig öffentlich solches Theater machen muss, um sich durchzusetzen, signalisiert damit, dass er oder sie keinen Einfluss im eigenen Laden hat. Und sich fragen lassen muss, wieso sie denn mitmacht, wenn alles immer so schlecht ist. Die FDP sitzt in der Falle, die sich selbst gestellt hat.

Menschen achten weniger auf Worte als auf politische “Körpersprache”

So gesehen ist das Verhalten Strack-Zimmermanns und der FDP ungefähr so, als wenn der Vorstand des abstiegsgefährdeten 1. FC Köln vor jedem Spiel darüber abstimmen würde, wieviel Tore die Geißböcke schießen – was natürlich dann nicht eintrifft. Diese politische Strategie hat wiederholt der gesamten Koalition und insbesondere der FDP geschadet, wie man an den Umfrageergebnissen sieht. Dabei muss ins Auge fallen, dass die Grünen auf dem Nieveau von 15% trotz Söder- und Merz-Bashing konstant stabil bleiben, während die SPD und vor allem die FDP den Bach herunter gehen. Weil es gerade in der Politik nicht nur auf Rhetorik, sondern auf politische Signale ankommt, die durch Handeln und die Art des Auftretens gesetzt werden. Wer sich alte Videos und Aufzeichnungen mit Helmut Schmidt anschaut, kann erkennen, was ich meine: Ein Kanzler, der wie Olaf Scholz nach Meinung einiger Berliner Journalist*inn*en arrogant auftritt, aber keine Dominanz und Kompetenz ausstrahlt, wirkt nicht. Das gilt auch für Robert Habeck, der größtes Lob für seine leidenschaftliche Rede nach dem Massaker der Hamas erntete. Die sprachliche Wurschtigkeit, die Habeck manchmal an den Tag legt, mag bei Kreuzberger Tagesmüttern Barrieren abbauen – bei der Präsentation des Jahreswirtschaftsberichts kann sie zum kommunikativen GAU werden, weil die Alphatiere der Wirtschaft zuschauen.

Spekulation auf Mitleidseffekt und Zweitstimmen?

Sollte es die FDP darauf anlegen, einen Koalitionsbruch zu provozieren, ist die Situation anders als 1982. Bei den derzeitigen FDP-Prognosen gäbe es weder Mehrheiten für ein konstruktives Mißtrauensvortum. Um Merz zum Bundeskanzler zu wählen, müsste die CDU/CSU gemeinsame Sache mit AfD und FDP – Thüringen in Zweitauflage – machen. Die hätten 371 Stimmen – drei mehr als die Kanzlermehrheit von 368 Stimmen. Ein politischer Dammbruch, Verrat der “Brandmauer” und sicher ein feuchter Traum von Bernd Höcke – eigentlich undenkbar. Schaumermal.

Skandalkoalition – für die FDP nichts zu holen

Die zweite Möglichkeit wäre eine “Große Koalition”, mit der die SPD die CDU einbinden könnte – 403 Stimmen dieser Koalition und unter einem Kanzler Scholz. Nicht undenkbar, weil dem “Fuchs” Scholz zuzutrauen ist, Merz so einzuhegen, mit der Aussicht, endlich wieder regieren zu können.  Weder Grüne noch FDP können das wollen, wobei die Grünen sich in dieser Konstellation von der Last der Regierungskompromisse befreit wieder in den Kampf gegen Klimawandel und inkonsequente Kompromisse stürzen könnten – gut für 20%plus. Ob die FDP gleichzeitig von Mitleids- oder Zweitstimmen der CDU-Wähler*innen bei der nächsten Bundestagswahl profitieren könnten, ist mehr als zweifelhaft.

Minderheitsregierung – auch eine Falle für die FDP

Außerdem könnten die verbleibenden Partner Grüne und SPD durchaus Freude an einer Minderheitsregierung finden, die sich von Fall zu Fall Mehrheiten im Bundestag sucht. Denn 324 von 368 Stimmen bedeutet, dass eine solche Regierung jeweils “nur” 44 Stimmen braucht, um ein Gesetz oder einen Haushalt durchs Parlament zu bekommen. Da sind 39 ehemalige “Linke”, 91 FDPisten und 197 CDU/CSU Stimmen, von denen die 44 zu gewinnen wären. Auch da würde die FDP von Fall zu Fall inhaltlich begründen müssen, warum sie denn jetzt gegen die Gesetze stimmt, die sie in der Koalitionsvereinbarung 2021 mit den Partnern vereinbart hat. Es wäre für die Minderheitsregierung ein leichtes, etwa einen Haushalt aufzustellen, der 2025 zusätzliche 30 Mrd. für die Bundeswehr und 20 Mrd. für die Ukraine und eine diesbezügliche Lockerung der Schuldenbremse beinhalten würde. Es wäre spannend, die politischen Verrenkungen der FDP und  CDU/CSU dagegen zu beobachten, Gründe gegen die Zustimmung zu einem solchen Haushalt zu konstrutieren.

Jeder ruiniert sich, so gut er kann!

Ein Koalitionsbruch hätte also nur Verlierer, allen voran aber die FDP. Neuwahlen würde es nicht zwangsläufig geben, auch wenn Friedrich Merz davon träumt, es sei denn, er beginge den Tabubruch, sich von AfD und FDP zum Kanzler wählen zu lassen. Alle derzeitigen Aktionen von Strack-Zimmermann bis Djir-Sarai sind symbolisch, setzen auf Bluff und Knalleffekte, aber politisch durchdacht sind sie nicht. Mit dem Ende der Koalition drohen kann nur ein Partner, der eine Perspektive fürs “Danach” hat. Das aber hat die FDP nicht. Ihr bleibt als einzige Perspektive, diese Koalition, die sie begonnen hat, mit Anstand und Berechenbarkeit, mit Fairness und Redlichkeit zuende zu führen, den Erfolg im gemeinsamen Erfolg zu finden, anstatt die Partner zu bashen. Sie muss die eigene Seriosität wieder herzustellen.  Die Alternative ist der Sturz der FDP ins Bodenlose, den im Interesse der Demokratie  niemand mit Vernunft wünschen kann. Je eher Christian Lindner und seine Freunde das erkennen, um so besser.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. W. Nissing

    ich nehme an mit Gau ist das hier gemeint oder gibt es da noch mehr? Mit “kommunikativer” ist das ja nett umschrieben. Für mich ist das ein mentaler Gau.
    Aber hört selbst, der (G) au dauert nur 3 min
    https://youtu.be/1MYQFDmrchk

  2. Peter Kramer

    Lieber Roland,
    du schreibst: “Die Alternative ist der Sturz der FDP ins Bodenlose, den im Interesse der Demokratie niemand mit Vernunft wünschen kann.” Ich sehe mich selbst als zumindest zeitweise mit Vernunft behaftet an, aber der Absturz der FDP wäre mir nicht nur schnuppe, ein bißchen Häme käme auch hinzu.
    Leider bin ich mit meinen politischen Zielvorstellungen (nennen wir es mal grob vereinfacht Ökosozialismus) so dermaßen in der Minderheit, dass mich die von dir treffend beschriebenen Alternativen zur Ampel-Regierung auch nicht beglücken würden.
    Für so irrational wie du halte ich die FDP-Positionen übrigens nicht, es gibt Fraktionen der Besitzenden, für die das bares Geld bedeutet (Lieferkettengesetz, Auto-Lobbyismus). Zum Leidwesen der FDP bringen diese Begünstigten nicht genug Stimmen auf die Waage, aber ein paar gutbezahlte Jobs werden schon drin sein.
    Wo ich auch komplett anders ticke:”Was der Ukraine wirklich fehlt, ist vor allem Munition und Nachschub an allen Ecken und Enden – und da passiert insgesamt viel zu wenig. Dieses Manko verantworten vor allem die USA, die EU und am wenigsten Deutschland, dass sich zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine nach den USA gemeusert hat.”
    Ich glaube, was der Ukraine in den letzen Jahrzehnten wirklich fehlte, war eine politische Führung, die zumindest versucht hätte den Instrumentalisierungen von aussen (NATO und Russland) und einem große Teile der eigenen Bevölkerung diskriminierenden nationalen Chauvinismus (laut Bandera: Moskowiter, Polen und Juden) entgegen zu treten.
    Die von dir angemahnte Munition macht ja nur Sinn, wenn es ausser militärischen auch politische Ziele gibt.
    Solange niemand erklärt, ok, Ukraine in der NATO ist wie Atomwaffen auf Kuba keine gute Idee, lasst uns darüber reden, sehe ich nicht, wo der Abwehrkampf hinführen soll.
    Was meine eigene Sicherheit und meinen Geldbeutel angeht, verzichte ich gerne mit der FDP auf neue Schulden für Aufrüstung, wie sagte ein alter Kumpel von mir: “Keine neuen Atomraketen solange die alten nicht aufgebraucht sind!”

    • Roland Appel

      Letzterem kann ich nur zustimmen und natürlich fehlt mir die Verhandlungsoption.

    • w. nissing

      “Ich glaube, was der Ukraine in den letzten Jahrzehnten wirklich fehlte, war eine politische Führung, die zumindest versucht hätte den Instrumentalisierungen von aussen ”
      Selensky ist doch wegen seinem Versprechen VOR der Wahl Minsk 2 umzusetzen gewählt worden. Das das nur Fake war oder die Banderafaschos im Verbund mit den USA die Knarre an die Stirn gehalten haben gehört ja hierzulande als Geschwurbel oder Putinismuß…..
      boah, wir sind hier (zumind was die Veröffentlichte MainMeinung an geht) sowas von im Ar….. Ich weiß gar nicht wie wir aus dieser Nr wieder raus kommen könnten.
      Petit appercü: Letzte Nacht auf arte diese “unsägliche” Sendung 28minute gesehen…. ein Bankrott auf ganzer Linie und als der Regisseur des Films ( https://en.wikipedia.org/wiki/Black_Tea_(film) ) was zu “unserer” verengten Westbezogenheit sagte…..die Gesichter der versammelten Journalisten sprachen Bände

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