Beueler-Extradienst

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Lächerliches Schattenboxen

Vier Generäle der Bundeswehr haben gegen Dienstvorschriften verstoßen und über die Plattform “Webex”, vielbenutzt, aber praktisch öffentlich, über theoretische Szenarien eines Taurus-Einsatzes geplaudert. Offensichtlich hat sich der russische Geheimdienst oder ein von ihm bezahlter Hacker ins Gespräch mit eingewählt, alles mitgeschnitten und Putin ließ es nun veröffentlichen. “Skandal” trompetet die CDU/CSU, wiederholt Vorwürfe gegen den Kanzler, Pistorius und fordert schon wieder die Lieferung von “Taurus” als wäre es die “V2” des Ukrainekriegs. Welch ein Theater! was ist denn wirklich passiert?

Vorwurf 1: Haben sie Geheimnisse verraten?

Die Generäle könnten im Gesprächsinhalt Geheimnisverrat begangen und der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt haben. Ich kenne nur Ausschnitte des Gesprächs und die enthielten in meiner Wahrnehmung nichts, was ich nicht öffentlichen Informationen über die “Taurus” entnehmen konnte. Reichweite, Sprengkraft, Abschußrampe an Flugzeugen, Programmierung und Nachverfolgung – alles Details, die längst öffentlich diskutiert sind. Die Bundesanwaltschaft möge ermitteln, ob da etwas strafrechtlich bleibt. Die Bundeswehr, MAD und die Spionageabteilung des Verfassungsschutzes sollten vor allem die systemischen Begleitumstände prüfen und die Möglichkeiten, dass dies noch an anderer Stelle geschehen ist.

Vorwurf 2: Durften die überhaupt darüber reden?

Die Wahrscheinlichkeit ist in einem Krieg, in der im deutschen Fernsehen seit zwei Jahren eine skurrile Diskussion um Waffensysteme tobt, die jeweils als messianische “Gamechanger” verkauft werden, dann aber in der Praxis keine entscheidende Rolle spielen, gering. Ein wohl für östliche Propaganda empfänglicher Anrufer im WDR 5 verstieg  sich gar heute zur Behauptung, die Soldaten hätten unerlaubt über einen “verbotenen Angriffskrieg” gemäß Artikel 26 Grundgesetz diskutiert. Solch blühender Unsinn angesichts des völkerrechtswidrigen Überfalls Putins auf die Ukraine zeigt schon, wie tief die russische Propaganda über Schwurbelkanäle bei uns anlangt. Natürlich durften die Generäle das erörtern, ich erwarte das von emanzipierten “Bürgern in Uniform” sogar, dass sie sich eigenständige Gedanken machen und die erörtern, denn schließlich hatte Minister Pistorius um eine Einschätzung gebeten. Aber selbst wenn nicht, wäre das doch jederzeit geboten und erwünscht. Natürlich nicht öffentlich.

3. Wie konnten Generäle diesen  Verstoss gegen Vorschriften begehen?

Derartige Verhaltensweisen vor allem von Führungspersönlichkeiten sind nicht unüblich, wenn auch nicht an der Tagesordnung. So hat die Bundeskanzlerin zu ihrer eigenen Abhöraffäre durch die NSA “Abhören unter Freunden geht gar nicht” beigetragen, indem sie ihr Kryptohandy nicht benutzte. Vielleicht wars ihr zu kompliziert oder sie wollte keine öffentliche Rechenschaft vor der Geschichte ablegen, mit welchen Kreisvorsitzenden der CDU sie vor Abstimmungen telefoniert hat. Auch Vorstandsmitglieder von deutschen Großkonzernen haben solche Diensthandys und lassen diese regelmäßig in der Schublade oder lehnen die Anwendungen von Verschlüsselungstechniken ab. Viele Unternehmen haben immer wieder versucht, verschlüsselte Emails zum Standard zu machen und sind daran sogar intern, vor allem aber bei Lieferanten und Kunden gescheitert.

4. Was bleibt also aufzuklären?

Natürlich müssen die Vorschriften eingehalten werden. Webex vom Hotel in Singapore aus geht gar nicht. In der nicht weit entfernten deutschen Botschaft hätte es einen abhörsicheren Raum mit sicherer Leitung gegeben, der dem General rund um die Uhr zur Verfügung stand. Jeder Bundeswehrsoldat und jede Soldatin sind gehalten, außer Prvatgesprächen – und auch während dieser darf es keine sensiblen Informationen geben –  alles Dienstliche über vorhandene gesicherte Leitungen, Handys und Internetgeräte abzuwickeln. Alle Soldaten wissen das und diese Vorgesetzten sind wahrlich keine Vorbilder. Jederzeit stehen sichere Geräte und Leitungen zur Verfügung. Für diese Ignoranz der Generäle muss es Konsequenzen geben – und seien es  Bußgelder oder andere Disziplinarmaßnahmen. Denn hier haben Vorgesetzte, die auch Vorbilder sind, Mist gebaut – das muss Konsequenzen haben. Rechtstaatlich aufgeklärt und in aller Ruhe durch Disziplinarinstanzen, Politik  und Justiz.

5. Wie wichtig ist das alles?

Die Berliner Opposition und sämtliche Journalist*inn*en, die nun wieder Zeter und Mordio schreien, wie schlimm diese Affäre oder wie schlecht diese Regierung sei, sollten ihr eigenes Verhalten überprüfen. Welches Abgeordnetenbüro nutzt ausschließlich vertschlüsselte Emails? Welche Mandatierten und Vorstände vermeiden es, ihre persönlichen Daten auf asozialen Netzwerken wie Facebook, Whatsapp, Instagram oder gar TikTok ständig preiszugeben? Wer surft mit einem sicheren anonymen Browser wie “Startpage”? Welche Journalist*inn*en nutzen Kryptografie bei ihren Recherchen und Berichten? Ich kennen keine/n. Deshalb sollten alle, die nun mit Fingern auf den “Skandal” zeigen, beachten, dass mindestens drei  Finger ihrer Hand auf sie selbst zurück gerichtet sind. Es ist wichtig zu sehen, dass Datenschutz und Datensicherheit, die das Bundesverfassungsgericht vor genau vierzig Jahren im Urteil zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erhoben hat, heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, weil Sorglosigkeit und Naivität gegenüber asozialen Netzwerken dominieren und Bequemlichkeit und unkritisches Verhalten gegenüber Datenschutzrisiken Alltag geworden sind. Das muss sich dringend ändern.

6. Friedrich “Kriegsgewinnler” Merz hat wieder nix kapiert

Friedrich Merz, sein Paladin Kiesewetter und die Paladina Serap Güler bei “Hart aber Fair” plustern sich schon wieder auf. Geheimnisverrat, Sondersitzung, Untersuchungsausschuss, Rücktritt von Pistorius und Kanzler – der gefühlt 126. Sturm im Zahnputzbecher. Genau das, was Putin mit seiner Desinformationskampagne, in der die Ukraine gar nicht mehr vorkommt, sondern nun deutsche Generäle die Krimbrücke angreifen wollen, verbreitet. Wie dankbar kann das Land Olaf Scholz dafür sein, dass er seit Monaten den “Taurus” zurückhält und für seine klaren Worte bezüglich deutscher Beteiligung lange vor diesem Propagandatheater. Denn die werden auch von der Opposition in Russland kommuniziert werden. Das parteipolitisch motivierte und Putin rechtfertigende Geplapper von Merz & co. sowie “Hofreiter-Leo”  sind da so überflüssig wie schädlich.

Wie also reagieren….

Gelassenheit gegenüber Aufgeregtheiten der Opposition, Gelassenheit gegenüber Putins Propaganda, Gelassenheit gegenüber den diversen Medienaufregungen und der Desinformation der Schwurbler- RT und Rechtspresse – einfach Kurs halten und weiter die Bundesrepublik vor einem Kriegseintritt bewahren, dabei die Ukraine nach Kräften im Rahmen des Völkerrechts unterstützen. Nichts anderes macht Olaf Scholz.

Es wäre wichtig, dass die Koalitionsparteien das jetzt geschlossen begreifen, denn das, was jetzt kommuniziert wird, ist kein kleinlicher Streit unter Regierungsparteien, das ist ein Propagandakrieg von Russland im Wahlkampf Putins. Säbelgerassel, die üblichen Drohungen mit Atomwaffen, die in Europa auch Russland schädigen würden, die dümmlichen Provokationen gegen die NATO – alles Getöse, um den kleinen Mann im Kreml 10 cm größer erscheinen zu lassen.

…und vor der Geschichte bestehen?

Denn gerade nach Nawalnys Tod muss der kleine Diktator und Strippenzieher um Stimmenverluste, sei es durch mangelnde Wahlbeteiligung oder ungültige Stimmen bangen. Wäre alles so, wie seine Propagande verkündigt, bräuchte er das ganze Theater um den Leak gar nicht. Was also entgegensetzen? Ob Putin als ein König ohne Kleider erkannt wird, hängt auch an der Reaktion des Westens. Nicht dämonisieren, sondern lächerlich machen ist das Gebot der Stunde. Selbst Marie-Agnes  Strack “Flak”  Zimmermann scheint das begriffen zu haben – jetzt muss im Regierungslager nur noch der Hofreiter-Leo zur Vernunft gebracht werden.

CDU/CSU möchte Putingewinnler sein

Merz und Co. nebst Söder bringt man leider nicht zur Vernunft. Das könnten nur Laschet, Laumann, Wüst und Daniel Günther. So, wie Merz die AfD verdoppelt hat, indem er sich in der Flüchtlingspolitik fast sämtliche ihrer Forderungen zu eigen gemacht hat und immer weiter eskaliert. So wird Merz auch keine Skrupel haben, diesen Propagandaangriff Putins für seine vergeblichen Kanzlerambitionen zu instrumentalisieren. Der Mann ist blind vor Ehrgeiz seiner Karriere – schließlich ist er fast so alt wie Konrand Adenauer, aber wesentlich umsrtrittener in der Union und weiss, dass er ein Auslaufmodell mit letzter Chance ist. Er sieht nur sich, aber nicht das Land – und das in Kriegszeiten.  Das macht ihn klein, aber gefährlich. Aber auch das ist im Grunde genauso lächerlich wie die Kriegspropaganda Putins.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    “Denn gerade nach Nawalnys Tod muss der kleine Diktator und Strippenzieher um Stimmenverluste, sei es durch mangelnde Wahlbeteiligung oder ungültige Stimmen bangen. ”
    Meinst Du ernsthaft, dass das sein Regime juckt? Im Iran waren es offiziell “knapp 41%” – na und? Wie viele wählen denn einen US-Präsidenten? Und auch hierzulande juckt die Wahlbeteiligung niemand – ausser mich (und viele, die niemand kennt).

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