Antisemit werden für Anfänger – und wenn die Unfähigkeit zu Humor doof macht

Fangen wir lieber mit dem Guten an. Weiter unten wirds dann schlimm … In New York ist ein gutes Buch erschienen: Tom Navon: Radical Assimilation in the Face of the Holocaust. Otto Heller 1897–1945. Suny Press, New York 2024, 312 Seiten, ca. 37 Euro. Und Olaf Kistenmacher/Jungle World war so freundlich, dazu eine deutschsprachige Rezension zu schreiben: Tom Navon legt die erste Biographie des Kommunisten Otto Heller vor: Im Angesicht der Katastrophe – Otto Heller schrieb als erstes KPD-Mitglied eine marxistisch-leninistische Abhandlung zur »Judenfrage«. Er floh vor Stalin, kämpfte bis zuletzt gegen die Nazis – und ist heute fast vergessen. Nun untersucht der israelische Historiker Tom Navon in seiner Biographie »Radical Assimilation in the Face of the Holocaust« die Auseinandersetzung Hellers mit dem Judentum.” Dank an die Jungle World für den Verzicht auf die nervenzerfetzende Paywall.

Warum meine Freude? Ich wusste nichts davon. Es hat meine politische Bildung vorangetrieben. Die Geschichte zeigt, wie voller Widersprüche nicht nur Politik, Gesellschaften, Parteien und Organisationen sind, sondern auch Menschen, Individuen. Welcher Lebenslauf geht geradeaus? Bei psychisch gesunden Menschen keiner (in der FAZ-Paywall gibts gerade was über “Psychopathen” – da ist es anders). Otto Heller hat nicht überlebt.

So blieb ihm erspart, was ein Sohn von Holocaust-Überlebenden soeben erlebt hat. Florian Rötzer/overton: “Warum Moshe Zuckermann von der Bundesregierung als Antisemit bezeichnet wurde”. Lesen Sie selbst. Mir fällt dazu nichts mehr ein …

Reingefallen: die Nachdenkseiten und Sarah Bosetti

Wissen Sie, warum ich hier nie über einen Kabarettisten schreibe, der seit Jahrzehnten einen fetten ARD/RBB(!)-Vertrag hat, und dessen Name mir einfach nicht einfallen will? Weil er es nicht wert ist. Zum Geschäftsmodell solcher Darsteller*innen ist eine notwendige Bedingung, öffentliche Aufregung zu produzieren. Nichts ist schlimmer, als eine Show, über die anschliessend niemand spricht (oder schreibt, oder sonstwie sendet).

Die Frau Bosetti z.B., die fand ich anfänglich ganz interessant. Und sie schmiss den richtigen Reaktionären Knochen hin, auf dass lautes Gebell einsetzte. Mittlerweile bin ich ermüdet. Es war wohl so erfolgreich – immerhin bekam sie prompt eine eigene Show – dass sie mit der bewährten Methode nicht mehr aufhören wollte. Immerhin, bemerkte sie selbst – ganz ernst! – kürzlich in der “Anstalt”, sind die AfD-Umfragewerte “seitdem um 3% gefallen”. Mir ist bei ihr mittlerweile eher langweilig.

Bei den Kollegen von den Nachdenkseiten haben sie aber noch ganz viel Zeit sich aufzuregen. Dort verteidigt ein Autor Rechtsextremisten dagegen, von Bosetti als Blinddarm “diffamiert” zu werden. Auf die Idee muss ein Linker erstmal irgendwie kommen. Und die Sehnsucht nach “Versöhnung statt Spaltung” – ist die Klassengesellschaft schon überwunden? War das nicht irgendwas von Johannes Rau? War der links? Ach so. Hatten Klaus Matthiesen und Wolfgang Clement (“Der Kerl muss weg”, Der Spiegel) also doch Recht …

Haben Sies gemerkt? Ich schweife ab.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net