DDR-Vertragsarbeiter: Verfehlte Rassismusvorwürfe und blinde Flecken der BRD – Unser Autor findet: Statt kolonialem Mitleid braucht es eine offene Debatte. Warum wollten Mosambikaner in die DDR kommen? Und wie ging es ihnen dort wirklich?

Kürzlich war in einem Text in der Berliner Zeitung zur Situation der DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik von „verordneter“ und „viel beschworener“ Solidarität die Rede, die letztlich als „Mythos“ entlarvt werden sollte. Die beiden Autoren Almuth Berger und Hans-Joachim Döring forderten in ihrem Beitrag „Empathie“ und „Respekt“. Das klingt gut, nur leider wurden sie in ihrem Text ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht.

Zunächst einmal gehen die Autoren über die damaligen politischen und wirtschaftlichen Motive der Mosambikaner, in die DDR zu kommen, einfach hinweg. Das ist paternalistisch, man könnte gar koloniale Kontinuität unterstellen. Was aus dem Blick gerät, ist die Frage: Warum suchten überhaupt junge Menschen aus dem globalen Süden in der kleinen DDR Schutz und Arbeit? Und wie ging es ihnen wirklich in der DDR?

Die mosambikanischen Vertragsarbeiter selbst nahmen in der DDR kein „staatlich verursachtes Unrecht“ wahr. Das haben etwa Befragungen der Mosambikaner gleich nach der staatlichen Einheit Deutschlands ergeben. Ich selbst habe darauf in unzähligen Publikationen hingewiesen, zuletzt 2019 in „Das gescheiterte Experiment. Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR-Wirtschaft“. Aber auch bereits vor mehr als zehn Jahren in meinem Artikel: „‚Unsere Regierung hat das im Abkommen gewollt.‘ Die Darstellung des Einsatzes von Vertragsarbeitern aus Mosambik in der Literatur“.

Fragwürdige Rassismusvorwürfe

Viele Mosambikaner gaben nach der Wende gar zu Protokoll, dass es sich um die schönste Zeit ihres Lebens gehandelt habe oder sie ein „Paradies“ erlebt hätten, was man in verschiedenen Selbstzeugnissen nachlesen kann, zum Beispiel in dem Bericht von Inocencio Domingos Honwana: „Erinnerungen an ein Paradies“, erschienen im Sammelband „Mosambik–Deutschland, hin und zurück. Erlebnisse von Mosambikanern vor, während und nach dem Aufenthalt in Deutschland“.

Berger und Döring zitieren in ihrem Text die „üblichen Benennungen von Vietnamesen als ‚Fidschis‘ oder Mosambikanern als ‚Braunkohle‘“. Nachforschungen meinerseits haben jedoch ergeben, dass „Fidschi“ erst nach der Wende durch einen Hamburger Journalisten verschriftlicht, verbreitet und als rassistisch bezeichnet worden ist und dass befragte DDR-Bürger und Mosambikaner nicht bestätigen, dass der erwähnte Begriff „üblich“ gewesen sei.

Die Mosambikanerin Francisca Raposo hat 2023 ein lesenswertes autobiografisches Buch veröffentlicht: „Von Mosambik in die DDR. Meine Zeit an der ‚Schule der Freundschaft‘“. In einem in dem Buch abschließend publizierten Interview wurde sie geradezu penetrant nach erlebtem Rassismus in der DDR gefragt. Zunächst versuchte Raposo zu erklären, dass sie davon nichts bemerkt hätte. Dann verstand sie: „Es gab aber damals Erlebnisse, bei denen ich nicht wusste, dass es Rassismus war: Zum Beispiel, wenn die Leute auf uns zukamen, um zu sehen, ob unsere dunkle Haut schmutzig war oder nicht, oder ob die Farbe herauskam.“

Was die Mosambikaner hingegen sehr wohl als unrechtmäßig wahrnahmen, war die Beendigung ihrer ursprünglich vertraglich festgelegten Arbeitsverhältnisse ab 1990. Sie wurden quasi nach Hause geschickt, weil sie in den neuen kapitalistischen Verhältnissen nach der Wende nicht mehr benötigt wurden beziehungsweise im staatlich vereinigten Deutschland kein Geld mehr für ihre Ausbildung vorhanden war.

Die überraschende Anordnung zur „Rückführung“ der Vertragsarbeiter wurde von einer Delegation unter Leitung der damaligen Ausländerbeauftragten der letzten beiden DDR-Regierungen, Almuth Berger, durchgesetzt oder zumindest abgesegnet. Solidarisch war das nicht.

Ganz grundsätzlich muss man sich fragen, warum lieber über angeblichen Rassismus berichtet wird als darüber, wie Hunderte von Betriebs- und Sportkollektiven, Jugendclubs und Kirchengemeinden auf die jungen Afrikaner zugegangen sind, diese zu Feiern und in Familien eingeladen haben. Vielleicht gab es dies nicht an jedem Ort und in jedem Betrieb, aber insgesamt bemühte man sich um Verständnis, Begegnungen und Kommunikation auf Augenhöhe. Viele DDR-Bürger zeigten solidarischen Einsatz, von der stoischen Bezahlung der „Soli-Marken“ bis zum Engagement für in ihrer Nachbarschaft arbeitende und lebende Mosambikaner. Auch das verdient im Übrigen „Respekt und Anerkennung“.

Die kleine DDR scheute keine Kosten und Mühen

Pro Jahr kostete ein mosambikanischer Vertragsarbeiter die DDR für die Ausbildung inklusive des Learning by Doing mehr als 7000 DDR-Mark plus 800 „Westmark“. Allein durch ein angereistes Ärzteteam für die ärztlichen Untersuchungen vor dem Reiseantritt der jungen Menschen im Jahr 1985 mussten circa 40.000 Mark bereitgestellt werden. Ebenso ein Fakt: Die „Arbeiterwohnunterkünfte“ kosteten den Staat, also die DDR-Bürger, pro Person weit mehr als 20.000 Mark. Die Mosambikaner zahlten lediglich eine Monatsmiete in Höhe von 30 Mark. Zu den angeführten und weiteren Kosten (so für Heimreisen) muss noch die Summe hinzugerechnet werden, die die DDR zur Entwicklungshilfe direkt in Mosambik beisteuerte. Die lag für die kleine DDR sehr hoch.

Auch um die Ausbildung der Mosambikaner bemühte sich die DDR ernsthaft. Berger/Döring behaupten, ich hätte geschrieben, dass von den circa 17.100 Vertragsarbeitern „lediglich 601 zu Facharbeitern und 70 (ich schrieb 78) zu Lehrmeistern ausgebildet“ worden seien. Das stimmt nicht, sie zitieren mich falsch.

Richtig ist: Zusätzlich zu den Vertragsarbeitern weilten etwa 750 junge Mosambikaner ausschließlich zu beruflichen Aus- und Weiterbildungen in der DDR, vollkommen kostenfrei. Von den Vertragsarbeitern haben mehr als zwei Drittel einen Facharbeiterabschluss erworben, was etwa eine Gesamtzahl von mehr als 12.000 entspricht. Daneben erhielten direkt in Mosambik junge Menschen von DDR-Ausbildern eine berufliche Qualifikation.

Auch die von Berger/Döring behauptete „antisolidarische Wende“ gab es so nicht. Die Autoren schreiben: „1977 kippte somit die Solidarität – man könnte auch von einer antisolidarischen Wende in den Mosambik-Beziehungen der DDR sprechen: Die Interessen der DDR rückten an die erste Stelle und dominierten die Beziehungen.“ Beide ignorieren, was unter Solidarität verstanden wird und wurde.

Die DDR konnte nicht vollständig die gesamte Volkswirtschaft Mosambiks übernehmen – wenn dies damit gemeint sein soll. Es existiert wohl kein Land, welches Entwicklungshilfe über das eigene Finanzvolumen hinaus bereitstellt. Deshalb gab es auch immer kommerzielle Geschäfte, wie sie zwischen Maputo und anderen Regierungen vereinbart waren. Dennoch, im Zeitraum von 1987 bis 1990 betrug der jährliche Export aus der DDR etwa 20 Millionen US-Dollar, wovon lediglich bis zu zwölf Millionen Dollar zu den vereinbarten kommerziellen Kreditbedingungen realisiert wurden. Die andere Summe wurde als Solidarität „verbucht“.

Die damalige Zeit aufarbeiten – auch die Rolle des BND in Mosambik

Das von Berger/Döring behauptete Umkippen der Solidarität lässt sich anhand der Fakten nicht bestätigen. Zustimmen kann man ihrer Forderung, dass die vielfältigen Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen der DDR und Mosambik in Wissenschaft, Medien und Politik viel stärker thematisiert werden müssten.

Um ein vollständiges Bild der damaligen Zeit zu erhalten, gehören in diesem Zusammenhang allerdings auch die Aktivitäten der BRD thematisiert. Man muss sich hierfür die politische Situation klarmachen: Die Apartheidstaaten Südrhodesien und Südafrika sowie die ehemalige Kolonialmacht Portugal hatten eine schlagkräftige „konterrevolutionäre“ Bande (RENAMO Resistencia Nacional Mocambicana; Nationaler Widerstand Mosambiks) aufgebaut, um die sozialistische Volksrepublik Mosambik zu bekämpfen. Andere westliche Staaten und auch die Bundesrepublik in Gestalt ihres Auslandsgeheimdienstes BND unterstützten das, was jedoch lange Zeit geleugnet wurde.

Erst 2012 machte der Geheimdienstexperte und Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V. Erich Schmidt-Eenboom die Verwicklung des BND in den Terror der RENAMO in einem Interview öffentlich. Er stellte klar, dass der BND in diverse Stellvertreterkriege involviert war, auch in Mosambik: „Durch die Unterstützung der RENAMO … sollte der sozialistische Staat destabilisiert werden, um nicht als Modell für die Region Südafrika wirken zu können. Die westdeutsche Hilfe für die Terroristen begann Mitte der 70er-Jahre, als Angehörige der RENAMO an einer bayerischen Polizeischule in Augsburg ausgebildet wurden. Anschließend, ab 1983 forciert, erfolgte die Lieferung von Waffen und Fernmeldegerät – bezahlt vom BND, geliefert durch Südafrika. In den Jahren 1988 und 1989 steuerte auch die BND-Residentur in Kenias Hauptstadt Nairobi Unterstützungsmaßnahmen. Sie vermittelte hochrangige Kontakte zwischen RENAMO-Führern und der Leitung des BND.“

In dem daraus resultierenden Bürgerkrieg starben 900.000 Menschen und fünf Millionen mussten fliehen, einige junge Mosambikaner suchten Schutz in der DDR. Sie wollten hier lernen und ihren Familien helfen.

Dieser Skandal lässt sich bis heute nur unvollständig anhand von Zeitungsartikeln rekonstruieren. Um ihn wirklich aufzuarbeiten, müsste der BND seine diesbezüglichen Akten offenlegen. Würden Berger und Döring dabei helfen?

Prof. Dr. mult. Ulrich van der Heyden ist Historiker, Politikwissenschaftler und Spezialist für die Kolonialgeschichte Afrikas, tätig an FU, HU und in Südafrika, sowie Autor zahlreicher Bücher. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

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