Wundersame Bahn CXCIX
Das strukturelle Grundübel in den öffentlich-rechtlichen Medien ist die Niederschlagung der Fachkompetenz. Fachredaktionen werden geschlossen, spätestens wenn ihre Leitung in Rente geht. Gesucht und gefragt, und Karrieren gefördert, werden elastisch-biegsame Charaktere, für alles flexibel verwendbar, was gerade anliegt, oder wo es gerade brennt. Was glauben Sie denn, warum WDR-Lokalzeiten so begeistert Polizei- und Feuerwehrberichte verfilmen? Entsprechend informiert werden wir denn auch von solcherart Medien. Die Macher*innen meinen, wir wollten nicht unterrichtet sondern -halten werden. Die Mehrheit von uns sei sowieso debil …
So geschah es z.B. schon 2003, dass der WDR sein politisches Feuilleton “Kritisches Tagebuch” nach der Verrentung seines letzten festangestellten Redakteurs Eberhard Rondholz, einstellte. Ersatzformate unter anderen Titeln wurden von engagierten freien Mitarbeiter*inne*n weitergeführt, verloren aber an Format und Beachtung. Das war wohl auch die Absicht.
Dieser Tage hörte ich – ohne jegliche Veröffentlichung – dass dem TV-Format des SWR “Eisenbahnromantik” ein ähnliches Schicksal beschieden sei. Hier war 2015 Begründer und Moderator Hagen von Ortloff in den Ruhestand gegangen. Engagierte Mitarbeiter*innen machten weiter – und nun soll ihnen der Hals umgedreht worden sein. Der Programmkalender für die nächsten drei Monate enthält ausschliesslich Wiederholungen. Die letzte frisch gedrehte Folge lief im März diesen Jahres. Auf der Homepage der Sendung heisst es lakonisch “2024 – Folge 1062 bis Ende”.
Der Titel “Eisenbahnromantik” war erfreulicherweise irreführend. Geschichtsschreibung erfolgt hier nicht nostalgisch, sondern fundiert und faktenreich. Die Gegenwarts-Berichterstattung war global orientiert – kaum jemand machte bessere Reisefilme. Sie war aber vor allem – ohne sich von tagesaktuellen durchs Dorf getriebenen Säuen trietzen zu lassen – hochpolitisch und aufgrund der Faktendurchdringung ein Risiko für alle Politiker*innen, die in diesem Zusammenhang auftreten wollten und auftraten. Also 1a-Journalismus, und das im deutschen Fernsehen. Sensationell.
Klar, dass sowas Spitzenkandidat für Spar- und Rationalisierungsmassnahmen ist.
Der Irrsinn daran springt allen Bahnpendler*inne*n brutal ins Gesicht. Was läge aktuell näher, als ein fachkompetentes bahnpolitisches Magazin? Nicht 9, für jeden ARD-Sender eins. Sondern da ist schon eins, im SWR. Es müsste gestärkt, ausgebaut, mit mehr Mitarbeiter*inne*n und attraktiveren Sendeplätzen versorgt werden. Statt plattgemacht.
Denn sonst macht es ja keine*r. Aber wie soll eine Intendantenetage das bemerken? Fährt der etwa Bahn?
Es genügt doch, Excel-Tabellen zu lesen
Damit kann mann als weisser junger Mann Generalsekretär von irgendwas werden. Der Herr Linnemann z.B. hat Tabellen gelesen: “die Statistik lege nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit sei, eine Arbeit anzunehmen.” Zackzack, was der Trump kann, können “wir” schon lange: ohne Nachdenken schnell kariert daherreden, damit mann auffällt – wer zuerst schiesst, hat gewonnen. Bei den niedergesparten Medien, und dann auch bei Wahlen …
“Stars” sind die, die tun, wovor Ernst Huberty immer gewarnt hat
Die heutigen Lärmer im TV können den Profi besserer TV-Tage nur belächeln. Sie müssen nur wissen, und wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass der erzkonservative, gescheitelte Mann drei bis 10mal mehr Zuschauer*innen versorgte, als sie. Sein Rat als Reporter-Ausbilder war: “Erzählen Sie den Leuten nicht, was die schon sehen.” (Fernsehen ist nicht Radio). “Stellen Sie sich vor, Sie stehen bei denen im Wohnzimmer und sprechen dort zu ihnen.” Also NICHT BRÜLLEN! Heutige Schwätzer sehen in den mediterranen Reporter*inne*n Vorbilder, die eine Soundtapete verlegen, weil ihre Zuschauer*innen die Kiste den ganzen Tag lang unbeachtet laufen lassen. Und wenn ein Tor fällt, kommen sie aus der Küche … Hier in Mitteleuropa aber ist schlechtes Wetter entscheidend für die Einschaltquote. Wenns draussen schön ist, glotzt keine*r.
Fachkritik bleibt unbemerkt – ist aber gut
Zum Abschluss konstruktiver Journalismus von meiner Seite: ein Musterbeispiel fachlich gelungener Architekturkritik am Beispiel des Georg-Melches-Stadions an der Hafenstrasse in Essen. Kritiker ist der sympathische Kollege Friedrich Küppersbusch/taz (“Und was macht der RWE?”). Um streng fachlich zu bleiben und nicht polemisch zu werden, hat er den politischen Hinweis unterlassen. Der Bauskandal um dieses Stadion war es, der die kommunalpolitische Macht in der Stadt von der SPD zur CDU wechseln liess. In der Stadt, die in ihrem Norden einst den sichersten SPD-Wahlkreis in der ganzen BRD beherbergte (Peter Reuschenbach, 69,7%). Der langjährige Nachfolger Reuschenbachs, Rolf Hempelmann, war praktischerweise gleichzeitig Präsident von RW Essen, und schaufelte das SPD-Grab in Essen persönlich mit.
Die AfD freut sich.
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