Ich will versuchen es ohne Häme hinzukriegen, “constructive journalism” ist der aktuelle Hype.
Dass die Bahn während der Osterferien die Strecke Duisburg-Essen wg. Brückenbauarbeiten sperrt, die vielleicht meistbefahrene Personenverkehrsstrecke der Republik – wir hier im Rheintal übertreffen sie nur durch unseren so liebgewonnenen, auch viel besser hörbaren Güterverkehr – jut. Man ist ja froh, dass überhaupt noch in Bahnstrecken investiert wird.
Die Sperrung war auch anständig angekündigt. Wer sich überhaupt für die Bahn interessiert, konnte entsprechende Nachrichten kaum übersehen. Ich wusste also, als ich gestern nach Gelsenkirchen-Horst wollte, dass ich nicht Essen Hbf. sondern Essen-Altenessen anpeilen musste, mit einem Umstieg in Duisburg. so weit so klar, gar nicht schwer. Feiertagsvormittags gibts aus Bonn quasi keine umsteigefreien Verbindungen ins Ruhrgebiet, daran mussten wir uns seit der Fertigstellung der ICE-Strecke Köln-Frankfurt, also seit 2002 gewöhnen. Das ist im von Demenz ungefährdeten Langzeitgedächtnis gut abgelegt. Aus Versehen ab Köln Hbf. in den falschen Zug nach Wuppertal setzen, und den richtigen bis Köln-Mülheim neben sich herfahren sehen – sowas passiert nur einmal im Leben. Dann ist es gelernt.
Böse Überraschung – was nützt das Netz?
So achtete ich gestern in Köln Hbf. darauf, dass der ICE am gegenüberliegenden Gleis nach Dortmund über Düsseldorf fuhr – am Rhein, nicht ins Bergische Land. Vor Düsseldorf Hbf. machte eine der Zugdurchsagen, es sind mir zu viele und immer zu laut ausgesteuert, darauf aufmerksam, dass in Düsseldorf ausnahmsweise Gleis 9 angesteuert werde. Dass der Zug nach der Ausfahrt aus dem zugigen Düsseldorfer Hbf. auf S-Bahngleisen nach rechts Richtung Hilden abbog, war dann doch eine böse Überraschung.
Dann erschien auch – heute aussgewöhnlich aber immerhin – eine Zugbegleiterin, von der ich erfuhr, dass bis Dortmund kein weiterer Halt vorgesehen sei, Wuppertal und Hagen als Ausstiegspunkt nach Essen also ausser Betracht waren. Was nützt das schönste Netz, wenn nicht gehalten wird, und nicht umgestiegen werden kann?
Die vorhandene Gleisinfrastruktur ist so überlastet, dass Überholungen, Begegnungs- und Parallelverkehre unmöglich sind. Ausserplanmässige Fernverkehre müssen durchgeprügelt werden; Nahverkehre werden angehalten, sammeln Wartezeiten bei Überholungen an, ein Taktverkehr wird unmöglich, weil sie nur in schmalen Lücken der vielen Gleisnutzungen eingepasst werden können. Wenn Sie durchs Ruhrgebiet fahren, aber auch auf vielen Strecken im Rheinland sehen Sie reichhaltige Birkenwald-Vegetation. Das sind alte Gleisfelder, die die auf Privatisierung (politisch bisher nicht vollzogen aber vom Sellbstbild her) gedrillte Deutsche Bahn AG in den letzten Jahrzehnten aufgegeben hat. In Düsseldorf sind es keine Birken, sondern SchickiMickiLuxuswohnblöcke, mit denen Aurelis, der Immobilienhai der Bahn, Cash gemacht hat.
Essen-Altenessen – ein “Bahnhof” wie eine Apokalypse
So musste es bei meiner Rückfahrt auch so kommen, wie es kam. In Essen-Altenessen, früher ein lebhafter Fernbahnhof mit “Interzonenzügen” nach Moskau, Warschau, Görlitz und Berlin, ein Bahnhof mit Kiosk, Zeitungsladen, Post – alles abgerissen. Es gibt noch einen bahnpersonalfreien zweigleisigen Bahnsteig, von dem aus eine grosse Bauruine (“Wohn- und Geschäftshaus”, fertiggestellt und leerstehend) seit 20 Jahren betrachtet werden kann. Ein so von seiner Betreiberin vernachlässigter Ort wird von seinen Nutzer*innen ebenso behandelt – Müll und Essensreste werden fallengelassen, nachts auch mal gekotzt. Im Dunkeln ein permanenter Angstraum, im Hellen noch gemässigt, weil durch den Umleitungsverkehr jetzt zahlreichere Menschenansammlungen für Öffentlichkeit (=Sicherheit) sorgen. Für eine Zuganzeige, Durchsagen oder gar beratendes Personal in Altenessen waren wohl auch Ostern keine Ressourcen mehr frei.
Während die oben erwähnten früheren Fernzüge an allen Hauptbahnhöfen hielten, fährt der umgeleitete RE1 (vergleichbar damaligen “Eilzügen”, die Älteren wissen noch, was das war) heute an Castrop-Rauxel, Wanne-Eickel und Oberhausen ohne Halt vorbei. Entsprechend abgewrackt sehen diese Hauptbahnhöfe auch aus.
Wenn die Deutsche Bahn AG als Eigentum dieses Staates das nördliche Ruhrgebiet so verlässt, wie sich viele Menschen dort fühlen – die Bahn macht ja nur, was Einzelhandel u.a. Gewerbe und staatliche Infrastrukturen (Post, Sparkasse, Polizei, Schulen, Kindergärten) auch tun – dann darf sich die mitregierende SPD über die Wahlergebnisse dort nicht wundern. Wer will heute noch in autogerechten Städten wohnen? Nur die, die es müssen – wg. der Mieten.
Das nur zu Altenessen.
Jetzt verwöhnen sie mich aber
Schöne Überraschung, dass der eingefahrene RE von Altenessen bis zum Flughafen Köln/Bonn durchfahren sollte, umsteigefrei. Ich dachte: jetzt verwöhnen sie mich aber. Hätte ich doch geschwiegen. In Düsseldorf wurde der Zug geschlagene 15 Minuten am Gleis geparkt. In Benrath fuhr er dann durch, um in Leverkusen erneut geparkt zu werden – Überholung durch einen ICE. Eine Zuganzeige in Leverkusen gab es nicht, Ein- und Ausstieg war trotz Halt nicht vorgesehen. Desgleichen anschliessend in Köln-Mülheim.
In Deutz gelang mir dann ein tadelloser Umsttieg nach Beuel.
Im Alltag macht das krank
Ist das Jammern auf hohem Niveau? Vielleicht.
Von 1990 bis 2005 war ich beruflich bedingter Bahnpendler von Bonn nach Düsseldorf. Bis 2002 habe ich das regelrecht genossen. 3 umsteigefreie Fernzugverbindungen in der Stunde, bequeme IC-Sitzplätze, oftmals mit Speisewagenservice, was wir insbesondere nach Feierabend gerne zur Nachbereitung des Arbeitstages genossen haben; Lesen, Arbeiten, Schlafen, Essen, Trinken – alles besser als Autofahren im Stau auf dem Kölner Ring.
Mein Urteil heute: die Bedienung ist zu heutigen Bedingungen in jeder Hinsicht radikal verschlechtert. In meinem seitdem fortgeschrittenen Alter könnte ich das nicht mehr. Als Alltag macht das krank.
Für einen Abenteuer-Ausflug am Wochenende mit anschliessender Selbsttherapie im Blog geht es. Im Kühlschrank wartet Trost.
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