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Was Demagogen bedroht

Warum Trumps groteske Tweets und eine AfD, die ihre Schrauben überdreht, auf Dauer Ablehnung erzeugen könnten. Nur im Falle Boris Johnsons greift der Mechanismus noch nicht
Andere Völker, andere Kulturen – manchmal schon fremd. Sehr fremd. Westminster, London, beispielsweise. Die Wiege der modernen Demokratie. Für die Details habe ich mich lange nicht so sehr interessiert. Freie Wahlen, Parlamentarismus, das reichte mir. Andere Einzelheiten waren mir nicht wichtig.

Nun lerne ich, dass es möglich ist, Regierungschef in Großbritannien zu werden, ohne von der Bevölkerung oder dem Parlament gewählt worden zu sein. Dass ein Premierminister, der als Legitimation nur die Mehrheit seiner Parteibasis vorweisen kann, die Abgeordneten einfach nach Hause schicken darf, bis er durchgesetzt hat, was er durchsetzen möchte. All das angeblich im Namen des Volkswillens. Das ist also das noble Vorbild für demokratische Staaten? Was für eine Enttäuschung.

Der Schauspieler Hugh Grant hat den britischen Premier Boris Johnson wüst beschimpft: „Hau ab, du überschätztes Gummi-Badespielzeug“, tweetete er. Und: „Du wirst die Zukunft meiner Kinder nicht versauen.“ Doch, vermutlich wird Johnson genau das tun. Zumindest werden ihn Kraftausdrücke seiner Gegner daran nicht hindern. Was auch daran liegt, dass der persönliche Erregungslevel nicht konstant auf dem höchsten Niveau gehalten werden kann. Irgendwann, vermutlich schon sehr bald, wird Hugh Grant keine Lust mehr haben, über den Brexit zu reden und stattdessen lieber schwimmen gehen. Gut für Boris Johnson, schlecht für alle, die wie EU-Kommissar Günther Oettinger auf einen „demokratischen Aufstand“ hoffen.

Niemand will in dauerhaftem Alarmzustand leben

Der einzige Trost: Die Tatsache, dass niemand im dauerhaften Alarmzustand leben kann und will, ist langfristig eine Bedrohung für Demagogen, jedenfalls in Demokratien. Beispiel: Donald Trump. Analytiker haben inzwischen verstanden, dass der US-Präsident nicht einfach spinnt, sondern mit seinen absurd erscheinenden Tweets einer kühlen Strategie folgt. Sogar, wenn es um den Ankauf von Grönland geht.

Lange war der Mechanismus stets derselbe. Trump setzte einen grotesken Tweet ab, seine Gegner schlugen aufgeregt mit den Flügeln, und er hatte sein Ziel erreicht. Diskutiert wurde über das Thema, das er gesetzt hatte, nicht über eines, das ihm tatsächlich unangenehm war oder werden könnte. Cleveres Ablenkungsmanöver. Aber es gibt Anzeichen, dass das nicht länger funktioniert. Irgendwann ruft auch der blödeste Tweet nur noch ein müdes Achselzucken hervor. Gegenwärtig sinken die Beliebtheitswerte von Donald Trump, die Wirtschaft schwächelt. Ein erneuter Wahlsieg des Amtsinhabers scheint derzeit keineswegs gesichert zu sein.

Weiteres Beispiel: die AfD. Es wird schlimm genug werden bei den Landtagswahlen, schon klar. Aber wohl doch nicht ganz so schlimm wie noch vor einigen Wochen befürchtet. Woran liegt das? Vielleicht haben die Rechtsextremen die Schraube überdreht. Nicht alle, die in jeder Hinsicht – auch im Hinblick auf das demokratische System – gern vor sich hin nörgeln und „alles“ ändern wollen, sind Neonazis. Nicht alle wollen im permanenten Revolutionsmodus leben. Ja, vielleicht hat die AfD es übertrieben. Hoffentlich.

Hat Johnson sich verzockt?

Bedeutet dies, dass sich auch Boris Johnson verzockt hat? Nein. Vermutlich nicht, leider. Das Zeitfenster ist zu eng, die institutionellen Hürden für seine Gegner sind zu hoch, außerdem sind diese zu blöd. Oder zu opportunistisch. Wie sie in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen haben. Pech für die Kinder von Hugh Grant. Und für andere Kinder. Und für ziemlich viele Erwachsene.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Boris Johnson hat einen Coup gelandet – was ich nicht verstehe ist, dass es offensichtlich niemanden im Land gibt, der sich mit der Geschäftsordnung des Parlaments hinreichend auskennt, wiederum Johnson auszutricksen. Was ist mit “Filibustern”? Dabei reden Redner so lange und oft zu Themen, die auf der Tagesordnung stehen, dass es nicht möglich ist, die Debatte zu beenden. Was ist mit Demonstrationen, Blockaden von Downning Str. No.10 durch Sitzblockierer? Warum lässt sich die EU von Johnson über den Hof treiben nach dem Motto: Ich will sonundsoviele Tage pro Woche verhandeln? Will er doch gar nicht, macht er nur, um die Schuld für den harten Brexit der EU zuschieben zu können. Wie naiv können seine Gegner alle sein, dass sie keinerlei Phantasie entwickeln, um diesem Demagogen und Hazardeur das Handwerk zu legen oder zumindest in die Suppe zu spucken?

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