Der neue heisse Scheiss der sexpositiven Debatte wirft die Frage auf: wie autonom ist das Ich?
Die gegenwärtige Politik der wichtigsten Staatsführungen veranlasst dazu, kein Vergnügen und keine Wohltat aufzuschieben. Sie wissen schon: “wilde 20er Jahre” – vor hundert Jahren noch ohne Atomwaffen. Wer hat noch Zugang zu Vergnügungen und Wohltaten? Und wem sind sie versperrt? Weitgehend geklärt ist: die Mehrheit der Deutschen jammert auf hohem Niveau; die extrem Bekloppten sind schon beleidigt, weil sie sich nicht mit Jüdinnen und Juden vergleichen/gleichsetzen sollen.
Es gibt Millionen in diesem reichen Land, denen es objektiv dreckig geht, denen aber das publizistische Megaphon zum Jammern fehlt. Denen nimmt sich zumindest sporadisch die Deutschlandradio-Denkfabrik “Auf der Suche nach dem Wir” an. Das setzt in diesem öffentlichen Medium beachtenswerte Impulse.
Ein Scheinwerfer ging dieser Tage auf Depressionen. Einerseits eine Modediagnose, weil die Krankheit nicht mehr öffentlich tabuisiert ist (= Fortschritt!). Andererseits unterbleibt oft eine materialistische Analyse, wie es zu Depressionen kommt. Sie finden nämlich nicht ausschliesslich in einem kranken Kopf statt, sondern werden gesellschaftlich (= politisch) ausgelöst und verstärkt. Das findet ebenfalls bei DLF-Kultur z.B. hier und hier eine Stimme. Gut gemacht.
Diese Beispiele dürfen selbstverständlich nicht verallgemeinert und banalisiert werden. Es gibt kein gesetzmässiges Muster, weil jedes Individuum anders funktioniert. Ich bin selbst Betroffenen von Psychose, Borderline und Depressionen schon begegnet. Wer das mit einem Schema im Kopf tut, scheitert.
Nicht wenige dieser Betroffenen haben erlebt, wurden mglw. partiell traumatisiert, von Erlebnissen, die im vorigen Jahrhundert als “normal” angesehen wurden, und heute als krasse #metoo-Fälle klassifiziert werden (= Fortschritt!).
Das Bild des Tages
Schauen Sie nur mal diese dummen Jungs. Sie haben so viel geleistet, tragen derartige Tonnen an Verantwortung, nur weil sie sonst niemand tragen will, haben das ein Leben lang getan. Und jetzt soll das alles falsch sein? Selbst der kluge Stefan Reinecke ist sichtlich irritiert, wie unvernünftige Jusos einen SPD-Landesparteitag (in NRW!) ins Schlingern bringen, mit bis vorige Woche noch als absurd angesehenen Ansichten von Rassismus in Deutschland.
Nichts ist mehr wie früher (ausser die Staats- und Konzernführungen).
Nichts aufschieben, was Lust macht
In Oxford gibt es eine schwarze Weltbürgerin und Professorin, Amia Srinivasan, die jetzt die deutschsprachige Bestselleriste aufwirbeln dürfte: “Das Recht auf Sex”. Spiegel und FAZ haben ihre Rezensionen heute mit grosser Begeisterung digital eingemauert, weil so ein Titel von so einer Autorin die Klicks magisch anzieht und das Kopfkino der Leser*innen heisslaufen lässt. Der Text von FAS-Neu-Redakteurin Novina Göhlsdorf, was für ein Name, war mir zugänglich. In meinen Begrifflichkeiten, die in der FAS nicht druckbar wären, lobt Frau Göhlsdorf die materialistische Analyse von Frau Srinivasan, kritisiert aber scharf ihre individualistisch-voluntaristischen Strategievorschläge. Naja, das muss frau bei der FAZ ein bisschen anders formulieren, wenn frau nicht Dietmar Dath ist.
“Philosophin Amia Srinivasan : Die Sache mit dem Sex – Die Vorstellung, Sex sei eine rein private Angelegenheit, ist illusorisch: Die Philosophin Amia Srinivasan entwirft eine politische Kritik des Begehrens in Zeiten von #MeToo und Internetpornografie.” Einer von Göhlsdorfs klugen Gedanken: “Dass Srinivasan die verschiedenen Unterdrückungserfahrungen an die Effekte von Staatsmacht, Kapitalismus oder Migrationspolitik bindet, ist schon deshalb eine Überforderung, weil jeder dieser Faktoren in sich bereits unüberschaubar scheint. Diese Verbindung ist jedoch notwendig, weil sich – wie sie überzeugend darlegt – die persönliche Mikroebene von Begehren und Sexualität nicht von der sozialen Makroebene lösen lässt.” Das heisst: diese Damen verstehen was von Dialektik. Danke – was selten ist, ist wertvoll.
Nun, da die Zeit knapp ist, eilt es, mich zu vergnügen. Ich bin 65. Gutes (!) Essen und Trinken ist “der Sex des Alters” – mit vier klugen und schönen Frauen. Gibt es ein schöneres Geschenk?
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