Erstmal nicht: “In Ruhe gelassen werden”
Wer es immer noch nicht kapiert hat, wie die Rechten den öffentlichen Diskurs kapern, die*der kann hier weiterlesen. Unter hörbarem Zähneknirschen “musste” die FAZ diese dpa-Meldung wiedergeben: “Kommunikation im Konzern: Klage gegen Audis Gendersprache-Leitfaden endgültig gescheitert – Die Richter sahen keinen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz oder andere Gesetze. Sie betonten, es gebe kein Recht für Gegner von Gendersprache, ‘in Ruhe gelassen zu werden’.” Denn ansonsten schiesst das Bankenblatt aus allen Rohren gegen das “Gendern” – als fühle es sich von Friedrich Merz immer noch nicht genug geliebt.
Grosszügig wie immer verzichtet faz.net auf die Grundrechenarten des Onlinejournalismus, wozu ein Link zum berichteten Gerichtsurteil gehört hätte. Ich habe es beim OLG München auch nicht gefunden, lediglich das Urteil des LG Ingolstadt, auf das dieses Verfahren zurückgeht. Dem entnehme ich, dass es sich bei dem Kläger um einen rechten Aktivisten handeln muss. Denn er wurde gar nicht belästigt, weil er bei VW statt Audi beschäftigt ist, aber gegen einen Audi-Leitfaden klagt, weil er ihn zufällig als geeigneten Hahnenkampf-Gegenstand entdeckt hatte. Ein klagender Audi-Beschäftigter war anscheinend nicht greifbar.
Einen (un-)schönen Parallelfall berichtet Stefan Niggemeier/uebermedien: “Kalkulierte Empörung: Die erfundene Debatte, ob Frauen in der Öffentlichkeit Eis essen dürfen”. Hier fühlte sich jemand von einer Kolumne im Regionalteil der SZ belästigt, und es gelang – mal wieder – einen formidablen rechten Medien-Shitstorm zu entfachen. Niggemeier zeichnet den Mechanismus mustergültig nach; auch die Kommentardiskussion unter seinem Text ist aufschlussreich.
Oberflächlich wäre dieser Trash leicht abzutun. Als gelernter Linksliberaler sage ich: jede*r wie sie*er will. Niemand wird zum Gendern gezwungen, so wenig wie es verboten werden kann (was mit Sicherheit versucht wird). Wer sich davon belästigt fühlt, braucht es weder zu klicken noch zu lesen. Wen es dann immer noch stört, kann ja in eine Diktatur auswandern – die Auswahl ist reichhaltig.
Warum aber springen die Rechten immer wieder wie angestochen darauf an? Weil sie glauben, mit diesem Agendasetting gewinnen zu können. Darum versuchen sie beständig bis verzweifelt, Liberale und Linke auf dieses Feld zu locken. Denn in der Ökonomie haben sie absolut nichts auf der Pfanne. Sie sind Jünger des Neoliberalismus, und ausserdem von denen die Dümmsten. Hier müssen sie von Links gestellt werden. Doch wer macht es, wenn die sog. “Die Linke” so ein Totalausfall ist? Meine Partei hatte früher mal MdBs und MdLs, die diese Rolle übernommen haben. Wo sind sie bloss hin?
Und um nicht missverstanden zu werden: Emanzipationskämpfe diskriminierter Minderheiten (oder – wie bei den Frauen – sogar Mehrheiten!) werden mit dieser Feststellung weder illegitim noch falsch (weder taktisch noch strategisch) – im Gegenteil. Wer wollte denn hierzulande z.B. “Black Lives Matter!” entgegentreten, sie sollten jetzt mal taktisch leiser sein? Wo es uns noch nicht mal gelingt No-Go-Areas von Dessau bis Dortmund-Dorstfeld wirkungsvoll zu bekämpfen? Im Gegenteil! Die politische Kunst – dafür wurden einstmals demokratische Parteien gegründet – besteht darin, Emanzipationskämpfe zu verbinden, gesellschaftliche Bündnisse zu stiften und zu forcieren, so dass sich ihre Durchsetzungschancen verbessern – statt wie gegenwärtig sie durch allfällige Spaltereien unwirksam zu machen.
@martin.boettger Hallo,ich möchte einmal meine Gedanken zum sprachlichen Gendern zur Diskussion stellen: https://social.anoxinon.de/@GeraldUmmen/110822226878013288 Reaktionen würden mich freuen G-)
“Meine Partei hatte früher mal MdBs und MdLs, die diese Rolle übernommen haben. Wo sind sie bloss hin?”
Anhääää??? Hab ich da die letzten ~20 Jahre was nicht mitbekommen? In meiner Erinnerung sind die Realos schon länger kein bedeutender Faktor in deiner Padei und jüngere sind nicht nachgewachsen. Was geblieben ist und sich neophytenmäßig vermehrt hat ist dieses Fundi”unkraut” mit in seiner grotekesten Ausformung einem Dutt auf dem Kopf, den meine Oma neidisch hätte werden lassen.
Ja, und das die Emanzipationskämpfe zu Krämpfen verkommen sind, daran hat deine “professionalisierte” Partei gehörigen Anteil….. früher nannte man das mal Spielbein und Standbein
Ja, Du hast da was nicht mitbekommen. Rechthaben ist mir aber egal. Entscheidend ist, wer jetzt was tut.