Im Wahlkampf 1933 hat die damalige rechtsliberale DVP (Deutsche Volkspartei, nicht zu verwechseln mit der süddeutschen, linksliberalen DVP – der Demokratischen Volkspartei) ein Plakat entworfen, das am 25. Februar 1933 auf Seite eins der Parteizeitung “Erinnerung” veröffentlicht wurde. Es ist nicht das einzige herausragende Dokument dafür, dass die jahrelang gepflegte Legende, die Weimarer Republik sei an den “politischen Rändern” – KPD und NSDAP – gescheitert, die auch als Grundlage für die “Hufeisentheorie” der Nachkriegsideologie diente, falsch ist. Weimar scheiterte am Versagen der politischen Mitte, deren Konservative glaubten, Hitler ignorieren oder “einhegen” zu können.
Die Grafik – hier die Quelle im Original – zeigt drei stilisierte “Marschsäulen”, die auf einen riesigen Reichsadler und hinter ihm eine imaginäre strahlende Sonne zumarschieren, überschrieben mit “Deutschlands Wiederaufstieg”. Die drei Marschsäulen sind von Links nach rechts mit “DVP”, in der Mitte mit “DNVP” der rechtsnationalistischen Deutschnationalen Volkspartei des Verlegers Hugenberg, und die Rechte mit dem Hakenkreuz der NSDAP gekennzeichnet. “Drei Heersäulen der Nationalen Front” hätten sich formiert, um Deutschlands Zukunft zu gestalten und deshalb müsse man “Liste 7” DVP wählen hieß es da. In völliger Verkennung der Verhältnisse und Folgen glaubte die ursprünglich in der demokratischen Mitte angesiedelte ehemalige Partei Gustav Stresemanns, durch eine Anpassung an dieselbe nationalistische Politik, wie die der Nationalsozialisten, überzeugen und überleben zu können. Hitler war seit 30. Januar Reichskanzler. Sie erreichte damit lächerliche 1,1% als Steigbügelhalter Hitlers. Wenige Wochen später, am 23.März 1933 stimmten das “Zentrum”, – bis dahin ebenso fest zur Weimarer Verfassung stehend, wie die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP), dessen Mitglied Prof. Hugo Preuss 1919 Autor der Verfassung war, für das “Ermächtigungsgesetz” und das Ende der Demokratie. Die Weimarer Verfassung endete, weil die politische Mitte versagte, und vor den Rechtsextremisten und Nationalsozialisten kapitulierte.
Friedrich Merz plant 2025 die Neuauflage
Mit seinen Tiraden nach den Morden von Aschaffenburg, wegen der Bluttat eines offenbar geistesgestörten Täters die Grenzen schließen zu wollen, selbst schutzbedürftige Asylantragsteller zurückweisen zu wollen, massenhaft Abschiebehaft verhängen und Flüchtlinge ohne Rücksicht auf die Europäische Menschenrechtskonvention und die europäische Asylregelungen, die gerade auf Initiative der Ampelregierung überarbeitet worden sind, abschieben zu wollen, instrumentalisiert Merz die furchtbare Tat skrupellos für seinen Wahlkampf. Mit rechtlich fragwürdigen Kompetenzen für die Bundespolizei und weiteren zweifelhaften Forderungen seines “Fünf-Punkte-Plans” will er im Bundestag Anträge zur Abstimmung stellen, die dem Grundgesetz und Europarecht zuwider laufen. Er spekuliert darauf, dass die AfD dem zustimmen wird, und meint, seinen politischen Tabubruch und das Niederreißen der angeblichen “Brandmauer” dadurch leugnen zu können, dass er schulterzuckend so tut, als ob er ja nicht dafür verantwortlich sei, wenn die AfD seinen sachfremden, teilweise verfassungswidrigen Forderungen zustimme. Dass Wagenknechts linksfaschistoides BSW ebenfalls Zustimmung signalisiert hat, kann nicht verwundern.
Verantwortungslos auf Kosten der Demokratie
Mit dieser Haltung stellt sich Merz in die Tradition der bürgerlichen Mitte, die in Weimar in Selbstüberschätzung und fahrlässiger Nähe zur NSDAP mit zum Ende der Demokratie und dem Sieg der Nationalsozialisten beigetragen haben. Und das in einer politischen Situation 2025, in der totalitäre Autokraten in Russland, China, die Demokratie bedrohen, ein populistischer Autokrat in den USA an die Macht gekommen ist, der sich an der Seite von demokratiefeindlichen Oligarchen wie Elon Musk, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Peter Thiel und Konsorten anschickt, Milliarden Menschen durch (a)soziale Netzwerke zu manipulieren und die Demokratie weltweit, auch in Europa, zu zerstören, indem er Rechtsextremisten wie die AfD, Meloni, Wilders, Orban und Le Pen unterstützt.
Was sagt die Merkel-CDU dazu?
Eine wichtige Frage wird sein, ob Merz damit in seiner Partei, aber auch bei den Wählerinnen und Wählern, durchkommt. Landauf, landab gibt es wieder Demonstrationen gegen rechts. Bundesweit gehen in den kommenden Wochen Menschen auf die Straße, um gegen den Rechtsruck aufzustehen. Darunter sind auch viele aufrechte Demokrat*innen und Mitglieder der CDU, die diese Instrumentalisierung von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit nicht teilen, und nicht für vereinbar mit christlicher Politik im Sinne Konrad Adenauers und der Sozialausschüsse halten. Es könnte sein, dass Merz’ Tiraden nach hinten losgehen und ihm politisch nicht nützen, sondern Olaf Scholz oder Robert Habeck einen unerwarteten Stimmenzuwachs bescheren. Auch wenn dem nicht so sein sollte, hat er sich jedenfalls als Demokrat selbst disqualifiziert und Europa schweren Schaden zugefügt.
Meine Frage zum Auschwitz-Gedenktag: wie viele antifaschistische und jüdische Flüchtlinge hätte das Deutschland von heute gerettet? Mit oder ohne Merz?
1. Das Problem ist: Wollten die Herren (waren auch Damen dabei?) Hitler und seine Spießgesellen einhegen oder wollten sie ihn die “Drecksarbeit” machen lassen und dann, ohne zu ahnen, dass es auch gegen sie gehen würde, mitprofitieren?
2. Dem “Ermächtigungsgesetz”, das einen beschönigenden Namen erhalten hatte, haben alle Parteien außer den Sozialdemokraten und den Kommunisten (die waren schon im KZ oder vernünftigerweise geflohen) zugestimmt.
3. Die Bundesrepublik wurde von einem Bundespräsidenten repräsentiert, der auch diesem unsäglichen Gesetz zugestimmt hatte. Seine Gründe dafür vermute ich ähnlich wie in Punkt 1. Mir ist nicht bekannt, dass er einmal wenigstens Reue gezeigt hätte.
4. Der Parteifreund von Herrn Heuß, Hans Dietrich Genscher, war nicht nur Mitglied der NSDAP. Das waren auch viele, die aus einer Zwangslage nicht anders konnten. Aber dieser Bundesinnenminister hat einem von den Nazis ausgebürgerten Juden, der einen Ruf an die damals neugegründete Universität Osnabrück erhalten hatte, die Einreise in die Bundesrepublik verweigert. Ernest Mandel wollte nach dem Krieg nicht um diese ihm unrechtmäßig aberkannte Staatsbürgerschaft betteln. Als der Vater dieses Wissenschaftlers starb, wurde Ernest Mandel gestattet, an dessen Beerdigung teilzunehmen unter der Bedingung, dass er sich politischer Betätigung enthalte.
In so einem Staat leben wir.
Klaus Jung
Lieber Herr Jung, es ist wie immer im Leben etwas komplizierter, als Sie es vielleicht wissen.
Zu 1.: Das zitierte Plakat erschien – und das macht es noch schlimmer – am 23.2.1933 da war Hitler bereits am 30.Januar Reichskanzler geworden und regierte das Kabinett mit von Papen, der glaubte, ihn “einhegen” zu können. Elf Abgeordnete hatte die DVP bei den Wahlen 1932 erlangt, gerade noch 2 die DDP.
Ihre Motivation beschreibt die DVP ganz genau in ihrer Zeitung – sie erhofften sich einerseits von der Hitler-Regierung “Schutz vor dem Bolschewismus” und befürchteten tatsächlich, eine Einschränkung der “kulturellen Freiheit” durch die Nazis. (Sic!) Sie waren im übrigen in nationalliberaler Wirtschaftsarroganz sauer, dass v. Papen sie bei der Regierungsbildung nicht berücksichtigt hatte – offensichtlich hatten sie den Schuss überhaupt nicht gehört. Bei den Wahlen erreichten sie 1,1% und 2 Abgeordnete, von denen der eine im März krank war und der andere dem Ermächtigungsgesetz zustimmte.
Zu 3. so einfach war es nicht. Die DDP, die 1930 auf Initiative von Ernst Lemmer (später CDU) mit dem nationalistisch-autoritären und antisemitischen “Jungdeutschen Orden” zur “Staatspartei” fusioniert hatte, war dadurch praktisch kolabiert. Bei einer Partei, in der zahlreiche jüdische Intellektuelle in führenden Positionen arbeiteten, ein Skandal. Theodor Heuss nannte das offen einen “Putsch”. Noch bevor sich der frisch gewählte Reichstag 1930 konstituierte, zerbrach das Bündnis und der “JungDO” trennte sich wieder. Die StaatsP – war da schon weitgehend marginalisiert, denn in der Folge hatten sich die Jungdemokraten und der linke Flügel mit der 1938 emigrirten Julie Mayer und Friedensnobelpreisträger Prof. Ludwig Quidde getrennt und die “Radikaldemokratische Partei” gegründet.
In einer Listenverbindung mit der SPD kamen im März 1933 noch einmal fünf Abgeordnete der ehemaligen DDP in den Reichstag: Ernst Lemmer, Heinrich Landahl, Reihold Maier, Theodor Heuss und Herrmann Dietrich. Sie stritten zunächst heftig diskutierten intern ihr Stimmverhalten, wobei Heuss und Dietrich gegen, Lemmer, Landahl und Maier für eine Zustimmung stimmten – da gemeinsames Stimmverhalten verabredet war, stimmten letztlich alle zu.
Das blieb, ausweislich der Protokolle des Parlamentarischen Rats nicht ohne Folgen: Art. 38 GG und die starke Betonung der Gewissensfreiheit der Abgeordneten sind eine Konsequenz, die Theodor Heuss später gezogen hat.
Aber man ist entsetzt, wie naiv auch die DDP-Leute bis Mai 33 noch glaubten, irgendwas retten zu können. Das katholische Zentrum hatte ebenfalls kontrovers diskutiert und die “Nationalen” haben sich durchgesetzt.
Das alles ist kaum noch präsent, erinnert aber erschreckend an die aktuelle Lage, in der auch immer mehr Leute ihr Fähnchen in den Wind hängen oder den Schuss nicht gehört haben oder einfach dem rechten Mainstream hinterherlaufen.
Mit Mandel haben Sie natürlich recht. Die Jungdemokraten haben gegen dieses Einreiseverbot vergeblich protestiert.