Michael Vesper, Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), hat das olympische Motto “Dabeisein ist alles” immer als Devise für seine Politik missverstanden. Das war schon bei den Grünen so. Jetzt steht er, seinerzeit von Thomas Bach, dem heutigen IOC-Boss, als behutsamer Modernisierer angeworben, vor den Trümmern der olympischen Idee: Profitgier, Korruption, Dopingsumpf, Spielball geopolitischer Interessen. Wo ist die Idee vom friedlichen Zusammenbringen der Jugend der Welt geblieben?

Hierzulande sind DOSB und noch mehr das IOC weitgehend desavouiert. Durch die heftigen Zeitverschiebungen sind massenwirksame TV-Events in Mitteleuropa nicht mehr realisierbar. Auf TV-gerechten Längengraden wird es in absehbarer Zeit keine Olympischen Spiele mehr geben. In europäischen Demokratien werden die rechtsstaatswidrigen Knebelverträge der kommerzgierigen IOC-Mafiosi nicht mehr akzeptiert. In Afrika gäbe es zwar genug käufliche Regime, denen allerdings die finanziellen Mittel fehlen, die IOC-Megaevents überhaupt organisatorisch zu stemmen.

An mir selbst habe ich entdeckt, dass mich ein Element an den TV-Übertragungen, die ich mir nachts aufgezeichnet hatte, noch fasziniert. Das sind die sekundenkurzen Individualporträts der SportlerInnen, und zwar mehr noch in Vorläufen und Qualifikationen, als in Finals und Endkämpfen. Denn sie geben einen kurzen Eindruck von der Vielfalt der Menschheit und der Welt. Und von der eigentlichen Attraktion Olympischer Spiele, nämlich tatsächlich dem Zusammenbringen “der Jugend der Welt”. Von dieser Attraktion leben z.B. genauso die Weltjugendtage der Katholischen Kirche oder die Weltsozialforen alternativer sozialer Bewegungen.

Das IOC hat immerhin schon eine richtige strategische Entscheidung gefällt, und einen eigenen Olympic-Channel einzurichten, auf dem sich Sportarten, die mehr Vermarktungsprobleme als der Fußball haben, der weltweiten Öffentlichkeit zeigen können. Auf dieser Plattform liesse sich einiges Aufsetzen.

Wie wäre es z.B., wenn sich jede/r Soortler/in, der/die sich für Olympische Spiele qualifiziert hat, hier mit 3-5-minütigen Porträtfilmen selbst zeigen dürfen? Sie könnten das auf Wunsch selbst drehen. Oder das IOC vermittelt ihnen auf internationaler Basis FilmschülerInnen, in Deutschland z.B. aus der KHM in Köln oder der Filmschule in Ludwigsburg, mit deren Hilfe sie solche Filmchen produzieren können. Die Kosten/Stipendien dafür kann natürlich der Milliardenkoloss IOC springen lassen. Hier würden Nationalitäten und Mentalitäten zusammengebracht, auch Sport und Kulturproduktion, ein kleiner Attraktionsfaktor der Globalisierung. Und eine kleine Hilfe für die Pofessionalisierung von SportlerInnen und FilmschülerInnen.

Eine solche Idee liesse sich unbegrenzt ausbauen: in die Zukunft entstünde so eine kleine, menschlich fassbare audiovisuelle Enzyklopädie des globalen Weltsportes, die bei gut produzierten Filmen ausserdem Eindrücke von sozialen und kulturellen Diversitäten vermittelt. Sie wäre auch rückwärts entwickelbar: als filmisch-historische Forschungsarbeit über die Stars der Vergangenheit, Überlebende und Verstorbene. In der höchsten Ausbaustufe wäre es eine audiovisuelle “Wikipedia” des Weltsports. Hier könnte sich das IOC mal nützlich machen. Und endlich moralischen Respekt verdienen.

 

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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