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Denn sie wissen nicht, was sie tun

von Bettina Gaus
Die Wahlperiode des Bundestags soll mal eben verlängert werden. Eine bessere Wahlwerbung hätte sich die AfD nicht wünschen können.

Wenn ich an Verschwörungstheorien glaubte, dann hätte ich einen ganz großartigen, neuen Stoff. Aber ich glaube eher an die Universalität der menschlichen Dummheit. Und deshalb denke ich, dass das parteiübergreifende Bündnis, das jetzt für eine Verlängerung der Wahlperiode des Bundestags eintritt, nicht etwa der AfD zusätzliche Stimmen verschaffen will – obwohl dies das unausweichliche Ergebnis sein wird –, sondern dass die Geistesgrößen der Politik einfach nicht wissen, was sie tun.
Eine bessere Wahlwerbung hätten sich die Völkischen, die mit ihren knapp zehn Prozent Gefolgschaft unbeirrt behaupten, „das Volk“ zu vertreten, gar nicht wünschen können. Gut eine Woche vor den nächsten Wahlen wird der Bevölkerung signalisiert, sie solle demnächst seltener als bisher über den künftigen Kurs entscheiden dürfen. Alle, alle Altparteien sind sich einig, dass das sinnvoll wäre.

Auf einem anmutigeren Silbertablett ist die Möglichkeit selten serviert worden, den Vorwurf der Kungelei zu erheben. Dabei gibt es gute Gründe, die für eine Verlängerung der Legislatur sprechen. Mindestens sechs Monate dauert es, bis sich ein neues Parlament und eine neue Regierungskoalition eingearbeitet haben, die ersten Vorboten des Wahlkampfs zeigen sich regelmäßig nach etwa zwei Jahren. Ein bisschen weniger Hektik im politischen Betrieb täte langfristigen Planungen komplexer Reformen gut.
Aber über so etwas muss ausführlich geredet werden. Es ist auch kein Fehler, den Versuch zu unternehmen, eine Mehrheit der Bevölkerung vom Sinn einer solchen Verfassungsänderung zu überzeugen – statt sie mal eben hopplahopp in Aussicht zu stellen. Das Thema eignet sich gut dafür, auch weitere Aspekte zu erörtern. Die Begrenzung der Amtszeit von Kanzlerin oder Kanzler auf zwei Legislaturperioden beispielsweise, wie in vielen anderen Ländern üblich.

Das sorgt erfahrungsgemäß für eine Belebung der innerparteilichen Debatte in der stärksten Regierungsfraktion und verhindert Überdruss am Spitzenpersonal. Geredet werden kann – und sollte – auch über eine Erweiterung der Möglichkeiten direkter Demokratie. Ich selbst bin keine Anhängerin von Volksentscheiden auf Bundesebene, aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass der Ruf danach lauter wird. Und wenn sich am Ende einer seriösen Diskussion eine Mehrheit dafür abzeichnet, dann soll es eben so sein.
Die Betonung liegt auf „seriös“. Verfassungsänderungen sollten niemals im Eilverfahren durchgepeitscht und auch nicht mit geradezu aufreizender Beiläufigkeit zur Sprache gebracht werden. Die Mitte einer Legislaturperiode, in der noch mit langem Atem diskutiert werden kann, ist dafür ein geeigneter Zeitpunkt. Die Art und Weise jedoch, in der das Thema jetzt verhandelt wird, zeugt von geringem Respekt vor dem Grundgesetz.
Populisten müssen sich nicht einmal öffentlich dazu äußern, wenn sie es nicht wollen. Es genügt, wenn an Stammtischen darüber geredet wird. Reicht die Fantasie der Verantwortlichen wirklich nicht aus, um sich auszumalen, was dort jetzt unterstellt wird? Dass die Abgeordneten sich damit doch nur länger ihre angeblich so fetten Pfründen sichern wollen, dass das Volk noch seltener als bisher nach seiner Meinung gefragt wird, dass solche Vorschläge nur dem eigenen Machterhalt dienen … und so weiter und so weiter.
Derlei Vorwürfe sind ungerecht und platt. Aber niemand sollte sich wundern, wenn sie erhoben werden und die letzten Tage des Wahlkampf schleichend vergiften. Eindrucksvoller ist ein Thema, das wichtig ist und die Debatte lohnt, selten versemmelt worden. Das wird sich rächen – bei den Wahlen und noch lange danach.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Mein Vorschlag: Umfang des Parlaments, Gesamtzahl der Abgeordneten, Wahlkampfkostenerstattung der Parteien an die Höhe der Wahlbeteiligung binden. Das würde die komplette strategische Denke der Parteien vom Kopf auf die Füsse stellen, zum Wohle der Demokratie.

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