Die Grüne Partei steht nach dem Jamaika-Aus und dem voraussichtllichen “Weiter So” der GroKo vor vier Jahren mühsamem Oppositionsdasein. Sie haben auf ihrem Parteitag eine neue Parteispitze gewählt und dies in einer bisher unerwarteten Weise getan. Sie haben Robert Habeck eine Übergangsfrist für seine Rückgabe des Ministersessels von acht Monaten eingeräumt und sie haben sich dabei zumindest verbal ehrenwert auseinandergesetzt und sich vordergründig nicht zerlegt. Das, was der Autor vor einigen Wochen befürchtet hat, ist zumindest nicht öffentlich bekannt geworden, wenngleich in nicht repräsentativen Email-Verteilern der alt bekannte Frust über Niederlage und Verrat aus mancher Äußerung spricht und es wahrscheinlich nicht ohne den einen oder anderen Parteiaustritt abgehen wird. Aber weder waren Satzungsdebatte und Ergebnis der Vorstandwahlen geeignet, darin nun einen großen qualitativen Rechtsruck bei den Grünen zu sehen, noch war das, was sich manchmal noch “Parteilinke” nennt, so aufgestellt, dass man dem, was die Mehrheiten mit unerwartet komfortabler Mehrheit beschlossen haben, etwas entgegenzusetzen hatte. Die angeblich “linke” Gegenkandidatin zur neuen Sprecherin Baerbock war einfach nicht überzugend genug, um zu der den Berliner Journalisten bereits aus den Sondierungen bekannten, gutaussehenden, jung-dynamischen Kämpferin am Mikrofon eine nennenswertes Gegengewicht zu bilden.
Geschmeidiger und nun?
Die Grünen haben sich wieder ein Stück geschmeidiger gemacht, die bürgerlichen Medien sind voll des Lobes dafür und nun? Was ist inhaltlich rübergekommen vom Grünen Parteitag? Baerbock schleuderte es den Delegierten geradezu entgegen, dass die Pole nachhaltig abschmelzen und: “…die Klimakatastrophe ist die größte Bedrohung für diesen Planeten!” – tja, wer hätte das gedacht! Robert Habeck, als “Denker mit Tiefgang” hochgelobt, nahm “demütig” das Ergebnis von 81 % entgegen und will die Grünen zu einer linksliberalen “Bewegung” umformen. Was aber daran inhaltlich linksliberal ist, hat er (noch) nicht gesagt.
Stattdessen verabschiedet Schwarz-Grün in Hessen gerade ein rechtstaatlich zweifelhaftes Verfassungsschutzgesetz, in dem nicht nur der Staatstrojaner, – 2005 von der FDP in NRW eingeführt und vor dem Bundesverfassungsgericht 2006 gescheitert – in abgewandelter Form enthalten ist und die Trennung von Polizei und Geheimdienst schleichend aufgehoben wird, mit “liberal” hat das nun gar nichts zu tun. Der ehemalige Sprecher des “Linken Forums” der Grünen, Dr. Ludger Volmer, wirft den Grünen in seinem jüngsten Artikel in den “Blättern für internationale Politik” gar vor, der Bürgerrechtspolitik seit Jahren vor der sozialen Politik den Vorrang gegeben zu haben. Wenn er nur recht hätte! Mit ihnen wurden unter Rot-Grün jedoch Otto Schilys Terrorpakete verabschiedet, in NRW mit Ralf Jäger der Sargnagel von Rot-GRün unterstützt, die Videoüberwachung ausgeweitet und jene unsäglichen Abschiebeflüge in den Krieg nach Afganistan eingeleitet, die bis heute fortgeführt werden. Ein Beweis für Liberalität und Rechtstaatlichkeit der Grünen steht aus, auch weil sie ihren jeweiligen Koalitionspartnern ob SPD oder CDU immer das Innenministerium überlassen, so dass dort seit 1982 eine “GroKo” ungestört die Freiheitsrechte demontiert.
Nutzten die Grünen ihren Parteitag?
Zur ungeheuerlichen Ankündigung des “Siemens”-Chefs Kaeser, das Turbinenwerk in Deutschland schließen und ein neues bei Herrn Trump in den USA beuen zu wollen – und das von dem Konzern, der von allen Unternehmen Deutschlands seit Jahrzehnten die meisten Subventionen und Fördermittel abkassiert – null Kommentar.
Zum völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Kurden, die den Genozid an den Yeziden verhindert und den einzig sicheren Teil Syriens vom “Islamischen Staat” an der Seite des Westens befreit hat, und nun vom Westen im in unsäglicher Weise im Stich gelassen wird, hat man in den Medien nichts gehört, auch wenn es Parteitagsanträge gab. Statt Erdogan vors Den Haager Kriegsverbrechertribunal zu stellen, schweigt die Bundesregierung, schweigen aber auch die Grünen. Von der Ankündigung, die Oppositionsrolle ernst zu nehmen und dies nicht nur im Bundestag, kam bei diesem Parteitag nichts rüber.
Oder auch nur ein Wort zu den 8 Milliarden, die “Stuttgart 21” jetzt kosten soll, und wie die baden-württembergische Landesregierung jetzt damit weiter umgehen wird – hätte sicher nicht nur den Autor interessiert, zumal ja gerade die kritische Haltung der Grünen im Nachhinein bestätigt wird, was der honorigen Haltung des Ministerpräsidenten, dem Ergebnis des Volksentscheides folge zu leisten, ja keinen Abbruch tun würde. Nichts.
Zukunftsherausforderungen wie die Auswirkungen der Digitalisierung, die Zähmung der asozialen Netzwerke, die Verhinderung von verbrecherischen Geschäftsmodellen wie Uber, AIRBNB und anderen, die alle darauf gerichtet sind, regulierte mittelständische Strukturen unserer Wirtschaft zu zerstören – Fehlanzeige. Eine Auseinandersetzung mit Amazon und seinen Arbeitsbedingungen – am Tagungsort Hannover naheliegend, weil der Internetriese dort ein Werk errichtet hat, in dem der Arbeitstakt der menschlichen Mietsklaven von Computern diktiert wird – hätte dem sozialen Gewissen der Grünen gut angestanden. Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Konzerne mittels “Alexa” unsere Familie ausspionieren und unsere Freizeit in eine einzige überwachte Konsumhölle verwandeln? In der autonome Autos und Kühlschränke besser wissen, was wir tun, als wir selbst, wohin wir gehen, welches unsere Interessen und Vorlieben sind, um damit Geschäfte zu machen?
Bewegungen werden nicht “gegründet”
Wo sind die Ansprechpartner der Grünen aus der Bürgerrechtsbewegung, aus der Friedensbewegung, von den Umweltverbänden, der Flüchtlingsinitativen gerade in dieser Zeit, wo die GroKo mit Zustimmung der SPD zentrale Internierungslager einführen will?
Opposition lernen und auch auf dem Parteitag zu demonstrieren, das müssen die Grünen wohl offenichtlich wieder lernen. Das ist viel kleiner als Robert Habecks große Worte von der Bewegungspartei. Bewegungen werden nämlich nicht gegründet, sie enstehen aus sozialen Mißständen und wirken aus der Gesellschaft in die Parteien – nicht umgekehrt – sie können allenfalls unterstützt und beeinflusst werden – wie es einmal die Grünen in der Friedensbewegung, in der Anti-AKW-Bewegung oder beim Volkszählungsboykott getan haben. Aber wie das geht, scheint zumindest die Parteispitze verlernt zu haben. Es wird deshalb Zeit, dass die Grünen sich wieder auf außerparlamentarische Initiativen zurück besinnen. Wenn Habeck das in Angriff nimmt, wäre schon viel geschafft. Wenn er es schaffen würde, die Grüne Partei so zu stärken, dass sie sich nicht auschließlich auf Fraktionen stützen, sondern wieder eigenständig Zukunftsfragen diskutieren würde, wäre das die Kür.
Dieser Beitrag erscheint auch bei rheinische-allgemeine.de
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