Der “militärische Gegenschlag” in Syrien

Es gab letzte Woche eine Gespensterdiskussion um die Todesumstände syrischer Kriegsopfer: Chemiewaffen? Von Assad oder wem? Davon wird niemand wieder lebendig. Und, wer überlebte, unversehrt. Wie verhält es sich aber mit dem “militärischen Gegenschlag”, den Andreas Zumach und Roland Appel in diesem Blog zurecht kritisiert haben? Hat es ihn gegeben? Das ist vielleicht die einzige Frage in diesem Zusammenhang, die wir mit Ja beantworten können. Aber was sollte er bezwecken?

Diese Fragen dämmerten mir, als ich gestern Abend zunächst die Aufzeichnung der letzten Illner/ZDF-Ausgabe verfolgte, und dann zur aktuellen Tagesschau mit der Trump/Macron-Show in Washington zappte.
Wie wollte man eine Chemiewaffenfabrik oder ein ebensolches -lager mit Raketen zerstören, ohne in der Umgebung für massenhafte Vergiftungen zu sorgen? Oder waren da, wo die Raketen einschlugen, gar keine “Massenvernichtungswaffen”? Laut CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen (geb. 1978 als Sohn des gleichnamigen Fritz) hat der Raketenangriff im Syrienkrieg “nichts” verändert. Was sollte er dann?

Thomas Pany/telepolis hatte schon vor etlichen Tagen vermutet, dass Frankreich das Trump-Regime mit heftigen verbalen und politischen Trompetenstössen einzuhegen oder gar einzufangen versuchte. Mit der Führungsrolle, die Macron hier erobern wollte, will er dann seinerseits den großmachtambitionierten Deutschen in der Konkurrenz um politische Führung in der EU eine lange Nase drehen. Theresa Mays Briten wiederum mussten sowieso mitmachen, weil sie sich als Brückenwärter zwischen EU-Europa und den USA verstehen. Trump, Macron und May ist gemeinsam, dass sie innenpolitisch so schwach sind, dass sie das aussenpolitisch kompensieren müssen.
Dafür, so höre ich, hat auch die miltärische Führung der US-Army Verständnis. So lange der Präsident nicht loszuwerden ist, muss mann ihn spielen lassen, unter Aufsicht natürlich. Hauptsache das eskaliert nicht zu einem Grossen Krieg, der der Letzte wäre. Wie gut, wenn es dafür auf “der anderen Seite” grosses Verständnis gibt.
In Moskau, Teheran und Damaskus hat man auch Internetzugang und kann Fremdsprachliches lesen. Sie wissen also über alles Bescheid. Um sich die Schwächlinge von der Gegenseite gewogen zu machen, gewährt man ihnen gnädig einen abgesprochenen (?) – oder von nonverbalem, unprotokolliertem Verständnis begleiteten? – “Raketenangriff”, so lange die wilden Spinner aus dem Westen dabei nichts Wichtiges kaputtmachen. Zuhause in Russland, Iran und Syrien kann man das beherrschte Volk aber fürchten lehren, wie schrecklich man von diesen schiesswütigen Desperados aus dem Westen bedroht wird, und sich nur durch nationale Einheit und braves Versammeln hinter der autoritären “starken” Führung schützen kann.

So haben also alle autoritären Herrscher was davon. Wir, und das Europa, das wir Demokrat*inn*en uns wünschen, allerdings: Nichts. Nur die Scherben der “Schwarze-Null-Politik” der Bundesregierung, mit der sie jegliche zarte Solidaritätsambitionen in der EU zertrümmert hat, und nun staunend sieht, wie sie die politische Führung in der EU verliert. Daniela Schwarzer (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) hat das in genannter Illner-Sendung faktenreich beklagt. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das schlecht finde.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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