Kurt Tucholsky soll geschrieben haben, er habe nichts gegen Klassenjustiz – sie verfolge nur seiner Meinung nach die falsche Klasse. Glücklicherweise haben wir das heute in der Regel nicht zu befürchten. Obwohl man schon ein befremdliches Gefühl bekommt, wenn jetzt, wie heute berichtet, die Hamburger Staatsanwaltschaft im Auftrag eines Ersuchens der Schweizer Justizbehörden gegen das Recherchenetzwerk CORRECTIV ermittelt. Der Sachverhalt: Correctiv hat zusammen mit 18 Medienpartnern den größten Steuerraub Europas – 55 Milliarden € – aufgedeckt. Jetzt geht die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen CORRECTIV-Chefredakteur Oliver Schröm in Zusammenhang mit den Cum-Ex-Recherchen vor. Der Vorwurf: Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Die Betroffenen sehen darin nicht zu Unrecht einen Angriff auf die Pressefreiheit.
Es ist offensichtlich, dass hier die Schweizer Banken, die in die illegalen Steuerbetrügereien verwickelt waren, nun versuchen, den Spieß umzudrehen und diejenigen, deren Recherchen kriminelle Praktiken ans Licht gebracht haben, einzuschüchtern und gegen sie Repressionen auszuüben. Das Schema erinnert an einen anderen aktuellen Fall, wo die CDU, die allein in Baden-Württemberg erhebliche jährliche Spenden von über 270.000 € von Bosch und anderen Spendern aus der Automobilindustrie erhält, beschließt, der Deutschen Umwelthilfe e.V. die Gemeinnützigkeit zu entziehen, die wegen der Untätigkeit der Bundesregierung vor Gerichten Fahrverbote für Dieselautos erstritten hat.
Völlig absurderweise wird die DUH als “Abmahnverein” diffamiert – Abmahnvereine oder -Anwälte stecken die Abmahngebühren selbst ein – die DUH bekommt Spenden, um ihre aufwändigen Messungen und Klagen zu finanzieren. Die FDP, deren Chef Lindner am Montag gleichermaßen wie die CDU argumentierte, hat damit wohl jeden Anspruch auf “Rechtstaatlichkeit” verloren. Peinlich, wie leichtfertig Lindner so jede Chance der FDP zunichte macht, auch nur geringfügig an eigenem Profil und rechtstaatlicher Glaubwürdigkeit zu gewinnen.
So werden nicht die Täter, sondern diejenigen kriminalisiert, die den Skandal der verfälschten Werte und die Komplizenschaft der Politik mit denen, die “geschummelt” also betrogen haben, aufdecken und rechtlich dagegen vorgehen. Wenn das Prinzip, gegen diejenigen vorzugehen, die Mißstände offenlegen und öffentlich anprangern, mit Repressionen zu überziehen, sich durchsetzt, sind wir schnell dort, wo Donald Trump bereits heute ist: Unliebsame Journalisten zu diffamieren, von Pressekonferenzen auszuschließen und noch schlimmeres: Ein Patronagesystem mit mafiaähnlichen Verhaltensweisen.
Besonders pikant am gesamten Vorgang gegen CORRECTIV ist, dass die politische Verantwortung für die Ermittlungsbehörden ein Grüner Justizsenator in Hamburg, Dr. Till Steffen trägt. Generalstaatsanwälte sind politische Beamte und im Falle internationaler Amtshilfegesuchen – das dürfte aus dem Fall der Verfolgung oppositioneller Türken durch die Justiz Erdogans hinreichend bekannt sein, ist Sensibilität angesagt. Nein, hier wird nicht gefordert, dass politisch eingegriffen werden soll. Aber dass ein solcher Angriff auf die grundgesetzlich geschützte Presse- und Informationsfreiheit auf die Stellung von Journalisten, die ihre Informanten auch laut StPO schützen müssen, nicht sorgfältigst geprüft und wenn nötig – wie bei der absurden Anzeige gegen Jan Böhmermann durch Erdogan – öffentlich kommentiert wird, muss schon verwundern. Auf jeden Fall kann dieses Beispiel nur weiter dafür sensibilisieren, dass es inzwischen nicht mehr tabu ist, freie Presseberichterstattung oder demokratisch agierende NGOs durch Diskreditierung und Verleumdung oder gar durch Repressionen einzuschüchtern. Gegen jede Anfänge dieser Art, müssen sich Demokrat*innen wehren. Das kann jede*r – ich habe es heute bereits getan.
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