In der Volksrepublik China baut die Regierung seit 2014 ein sogenanntes “Social Rating System” auf, mit dem das soziale Verhalten, die Kredit- und Aufstiegswürdigkeit, Reisefreiheit, Heiratsgenehmigung und viele andere Parameter gemessen werden sollen. Alle chinesischen Bürger*innen, so der Plan der Regierung sollen in einigen Jahren aufgrund eines “Score” beurteilt werden und man wird daraus entsprechende Förderung oder Diskriminierung ableiten. Um dies durchzusetzen, werden Menschen beim Überqueren roter Ampeln gefilmt, müssen Elektroautos alle 1,5 Sekunden einen Datensatz mit Geschwindigkeit, Standort, Fahrtrichtung und Fahrerdaten an einen Zentralcomputer senden und vieles mehr, etwa der Besuch von indizierten oder verbotenen Webseiten. Mancher regt sich bei uns darüber zu Recht auf, bedeutet dies doch nichts anderes, als dass der Staat in die Privatsphäre jeder einzelnen Person eindringt. Nichts viel anderes wird aber gerade von US-amerikanischen Datenkraken wie Amazon in Deutschland eingeführt und aggressiv beworben.
Wer glaubt, dass das, was China da macht, eine einzigartige Einschränkung von Grundrechten sei, der irrt sich gewaltig. Nun hat es ein User öffentlich gemacht, der sich “Alexa” bestellt hatte. Dank Datenschutz-Grundverordnung, dem Monster, das Teile der Wirtschaft am liebsten abschaffen würden, bekam der Betroffene heraus, dass die Spionageanlage von “Amazon” jede Menge von Daten aufzeichnet und im Falle der Dateneinsicht ihm sogar Aufzeichnungen zusandte, die gar nicht von ihm stammten. Die aber nichtdestotrotz intimste Gespräche enthielten und – so jedenfalls die Computerzeitschrift c’t, die das Ganze öffentlich machte, mindestens in einem Fall sogar Abhöranlagen im Badezimmer betrieben haben muss. Amazon sprach daraufhin von einem “isolierten Einzelfall”. Dass dies nicht stimmen kann, hat bereits vor einigen Monaten der öffentlich-rechtliche Fernsehen nachgewiesen, in dessen Bericht eine eigentlich von Amazon überzeugte Familie, nachdem sich herausstellte, dass “Alexa” auch ohne gefallene Schlüsselbegriffe ganze Gespräche und intime Familiendialoge mitschnitt, höchste Zweifel und Bedenken kamen.
In Bonn lässt auch der GA spionieren…
Wundersam auch, was der Autor mit dem “Bonner Generalanzeiger” in Sachen “Alexa” erlebte. Dieser hatte am 24.11., nachdem der GA “Alexa” unter dem Titel “Lies die Nachrichten, Alexa” auf der ersten Seite im redaktionellen Teil angepriesen hatte, ohne auf irgendein Datenschutzrisiko hinzuweisen, auf die Risiken von “Alexa” in Form eines Leserbriefes hingewiesen und das Abonnement gekündigt. Der GA hat darauf (auszugsweise) wie folgt reagiert:
Sehr geehrter Herr Appel, vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse an unseren Produkten. Was unseren Alexa-Skill betrifft, so scheinen Sie etwas durcheinander zu bringen: Wir haben keine Werbung für Alexa gemacht, sondern lediglich ein neues redaktionelle Angebot vorgestellt. Ob dieses Angebot genutzt wird oder nicht, ist selbstverständlich wie immer jedem selbst überlassen. Beispielweise für blinde Mitbürger stellt ein „hörbares“ Nachrichtenangebot einen Gewinn dar, und auch ansonsten wird der Alexa-Skill bisher sehr gut angenommen. …
Sehr geehrte Frau B., haben Sie herzlichen Dank für Ihre freundliche und schnelle Antwort. Als Unternehmensberater und Publizist (VDJ), der regelmäßig für Blogs schreibt, bringe ich gar nichts durcheinander. Der Artikel auf der 1. Seite ist im redaktionellen Teil erschienen und damit zumindest das, was neudeutsch “Product Placement” genannt wird, – Sie haben sogar ein schönes Foto von “Alexa” beigefügt und in keiner Weise Distanz zu der datenschutzrechtlich umstrittenen Technik erkennen lassen – das wäre ja möglich gewesen.
Natürlich darf der Verlag auch Angebote vermarkten, die neue Dienste enthalten. Wenn der GA seinen Kunden Reisen anbeitet, ist nichts dagegen zu sagen, aber das erfolgt bisher immer in Form einer Anzeige, die als solche erkennbar ist – wo auch immer im Blatt. Auch dass der GA in Krankenhäusern zugestellt wird – um einen anderen menschenfreundlichen Service Ihres Hauses zu nennen, lese ich nicht in redaktionellen Teil auf S.1. Worum es mir geht, ist die unselige und in diesem Fall unkritische Vermischung von Journalismus und einem vielleicht für bestimmte Gruppen auch bequemen Vorlesedienst, der aber mit knallharten Interessen eines nahezu – Monopolisten – Amazon – einher geht.
Es würde mich interessieren, ob in Ihrem Hause bei den Verantwortlichen eine Abwägung stattgefunden hat, ob die Kooperation mit “Amazon” vielleicht nicht doch problematisch sein könnte. Nicht nur gegenüber den Verbrauchern aus Datenschutzgründen, sondern auch gegenüber der regionalen Einzelhandelswirtschaft, von deren Werbegeldern Ihr Verlag immer noch großteils lebt. Dem Einzelhandel zu schaden und ihn in den Ruin zu treiben ist, vor allem in Europa, das Geschäftsmodell von Amazon. Bei “Bouvier” und anderen Bonner Unternehmen, die mit dem Versandhandel konkurrieren, ist das bereits gelungen. Beim Lebensmittelhandel stehen wir kurz davor. Ich bezweifle, dass derartige Erwägungen überhaupt in Ihrem Hause stattgefunden haben. Das ist schade, denn die Tageszeitung, die ich nach wie vor für unverzichtbar halte, begibt sich damit in eine zunehmende Abhängigkeit von Google, Facebook, Amazon und co., die inzwischen Milliarden vom Werbemarkt der Zeitungsverleger abziehen – und neuerdings mit 30% Gebühr “großzügig” weitergeben.
Wenn es nur um die Bequemlichkeit des Vorlesens ginge – warum bieten Sie als GA nicht einen solchen Dienst selbst an? “Smart”-Lautsprecher gibt es am Markt, die Technik ist nicht neu, Internet-Anschluß haben alle? Natürlich, weil es dann Investitionen kosten würde! Also nutzt der GA eine Technik, die es scheinbar “kostenlos” gibt. Im Internet gibt es aber nichts umsonst – im Zweifelsfall bezahlen wir, in diesem Fall die Kunden des GA, immer mit unseren persönlichen Daten. Sie wälzen die Kosten und Nachteile eines “Dienstes” damit auf die Kunden ab und profitieren von einer Überwachungstechnik. Die datenethische Bewertung überlasse ich Ihnen selbst.”… Und die Reaktion des GA:
…Dass es sich bei unseren Produkten auch um Geschäftstätigkeit handelt, versteht sich bei einem Wirtschaftsunternehmen von selbst. Nochmals möchte ich Sie aber darauf hinweisen, dass wir kein Product Placement betrieben, sondern im redaktionellen Teil unserer Zeitung mit einem Artikel (und keiner Anzeige) auf ein redaktionelles Angebot aufmerksam gemacht haben, das (die Inhalte des Alexa-Skills) hier im GA-Newsroom durch unsere Online-Redaktion entsteht. Ob dieses genutzt wird, obliegt der Entscheidung des Nutzers, ebenso wie die Entscheidung, welche Produkte angeboten werden, dem Verlag des General-Anzeigers obliegt. … Ihre grundsätzliche Kritik nehmen wir wahr und als solche an.
Den Leserbrief hat der GA erwartungsgemäß nicht abgedruckt. Welche Tageszeitung ich ab dem 1.1.19 abonnieren werde, weiss ich immer noch nicht.
Lieber Roland, das ist wirklich ein tolles Stück… Das kommt wohl, seit die Rheinische Post den General Anzeiger übernommen hat. Aber Bouvier ging pleite bevor Amazon so mächtig wurde. Es hat eben viele Studenten gegeben, die wegen ihrer knappen Kasse Bücher, z.B. teure Lehrbücher, lieber kopiert als gekauft haben. Deshalb wurde bei den Copyshops die Abgabe für die Verlage eingeführt. Die VG Wort hatte darauf hingewirkt. Dann übernahm erst mal Thailia. Den Versandhandel gab es ja schon, aber der Onlinehandel fing damals erst an, soweitich mich erinnere.
Liebe Annette, meine Erinnerung zur Bouvier-Pleite ist etwas anders. Bouvier-Boss Thomas Grundmann, der sich auch gerne als Kulturpolitiker wichtigtat, hatte sich in der DDR überfressen. Bouvier wollte durch die preisgünstige Übernahme wichtiger Teile des in der DDR einst sehr gesellschaftlich relevanten Buchhandels so gross werden, wie es Thalia später wurde. Er glaubte so den ganz normalen Gesetzen des nach Osten expandierenden Kapitalismus am besten gehorchen zu können. Doch woran sparen Millionen Arbeitslose als erstes? An “unnötigem” Medienkonsum. Damit konnte der vermögende Grundmann natürlich nicht rechnen. Die Leidtragenden: weitere arbeitslose Buchhandelsfachkräfte. Wenige fanden bei Thalia, den Metropol-Kino-Zerstörern, eine Weiterbeschäftigung.