Früher und in den alten Filmen hiess es Schutzgelderpressung. Heute wird es “Lieferdienst” genannt. Gastronom*inn*en kommen von allen Seiten unter Druck. Die viele Arbeit. Die unangenehmen Arbeitszeiten. Der Mangel an gutem Fachpersonal. Die explodierende Gewerbemiete für das Lokal, überlebbar nur bei eigenem Immobilienbesitz. Die geizigen Gäste. Die therapiebedürftigen Gäste. Die zahlreichen Asis unter den Gästen, die zuhause auch nicht gern gesehen sind. Die konzern- und renditegetriebene Franscheiss-Konkurrenz, die auf der ganzen Welt “die gleiche Qualität”, also immer den gleichen standardisierten Frass garantiert. Die Erpresser von den Brauereien und Getränkevertrieben. Das Ordnungsamt. Das Finanzamt. Der*die Steuerberater*in. Die nervenden mitarbeitenden Verwandten. Und jetzt noch das Schutzgeld für den Lieferdienst? Provisionszahlung bei gleichbleibendem Verkaufspreis? Wo ist die Gewinnspanne hin?
Gut, Gäste, die nicht kommen, brauchen keinen Platz, müssen nicht bespasst und beheizt werden, machen keinen Dreck vor Ort sondern zuhause. Aber der Laden ist ja schon gemietet, die Tische stehen und brauchen Gäste zur Amortisierung, vor allem wenn auch noch Schutzgeld an die andern Erpresser von Sky, Dazn usw. gezahlt werden muss.
Es grenzt an ein Wunder, dass es unter diesen Umständen noch Wirtinnen und Wirte gibt, die ich persönlich kenne, von deren handwerklicher Arbeit ich mich überzeugen – und mit denen ich Spass haben kann. Wo nehmen die nur ihre gute Laune her? Und die Lust an ihrer Arbeit? Ich habe einmal in meinem Leben für 26 private, selbstausgesuchte (!) liebe Gäste gekocht. Es war ein in jeder Hinsicht einmaliges, lehrreiches, schönes Erlebnis. Seitdem ist meine Bewunderung für Menschen, die das täglich machen (müssen), unendlich.
Ich habe es immer genossen, das Büro zum Aufsuchen einer Mahlzeit zu verlassen. Mehr Bewegung als am Schreibtisch. Andere Leute, Sozialkontakte zur eigenen Erdung in der Wirklichkeit da draussen. Für das Verlassen der Wohnung gilt das entsprechend.
Ich respektiere und bewundere “meine” Gastwirt*inn*e*n, Köch*inn*e*n. Bäcker*innen und Konditor*inn*en. In meinem Alter kann ich seit langem beobachten, das sie immer mehr vom Aussterben bedroht sind. Die Erpresser von den Lieferdiensten beschleunigen diesen normalen kapitalistischen Prozess. Darum leiste ich Widerstand als Gast. Für meine Lebensqualität ist das lebenswichtig.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net