Die Queen wird ihn ernennen müssen: Mit der – nach unseren demokratischen Maßstäben befremdlichen – Wahl von Boris Johnson zum Premierminister durch eine winzige Minderheit von 58% der rund 160.000 konservativen Parteimitglieder, einer weltfremden und zumeist kapitalstarken Oberschichtenclique des Vereinigten Königreiches, wird ein ganzes Land zum sozialen Spielbrett dieser Klasse. An dem sitzen so schillernde Charaktere wie Jacob Rees-Mogg, Multimillionär, Abtreibungsgegner und Klimawandelleugner, der allerdings seine vielfältigen Unternehmen vor den Folgen eines von ihm vehement befürworteten “harten Brexit” vorsorglich in Irland und damit in die Sicherheit der EU gerettet hat. Boris Johnson hat in seiner Biografie vielfach bewiesen, dass er lügt und betrügt, um seine politischen Ziele zu erreichen.
Er hat als Journalist in Brüssel mit erfundenen Geschichten gegen die EU polemisiert und er hat in der Brexit-Kampagne mit seiner Behauptung, die Briten würden 350 Mio. Euro pro Woche an die EU zahlen, wiederholt gelogen. Dieser politische Hasardeur ist nun Nachfolger von Theresa May und will den Brexit am liebsten ohne Vertrag bis zum 31.Oktober durchziehen. Unterstützt wird Boris Johnson dabei von Donald Trump, seinem Bruder im Geiste, der vermutlich davon träumt, mit Johnson Großbritannien als Brückenkopf der USA gegenüber Europa aufzubauen und mit Freihandelszugeständnissen und dem Aufbau einer Steueroase zerrüttend auf die Ökonomie der Europäischen Union einwirken zu können. Und natürlich ist seine unverhohlene Motivation, das ohnehin durch den Kanal isolierte Großbritannien noch stärker gegen Flüchtlinge abzuschirmen, von den gleichen rassistischen Motiven geleietet, wie sie Salvini in Italien vertritt.
Der Weg dorthin wird für Boris Johnson jedoch nicht einfach: Zum einen fiel sein Vorsprung gegenüber seinem Gegenkandidaten, Außenminister Hunt, wesentlich kleiner aus, als ihm die Auguren der Umfrageinstitute mit weit über 70% versprachen. Zum anderen will die Mehrheit des Parlaments keinen harten Brexit, und seine Chancen in Wahlen schwinden, wenn die Ökonomie und das Verhältnis zur EU die Themen sind. Und auch er wird sich der Logik nicht entziehen können, dass ein “harter Brexit” den Bestand Großbritanniens gefährdet, indem es zum einen die Schotten zum ihrerseitigen Austritt aus dem “Empire” und Beitritt zur EU provozieren könnte und es zum anderen völlig unmöglich ist, den “Backstop” an der nordirischen Grenze abzulehnen, ohne gleichzeitig Grenzkontrollen wieder einzuführen und damit ein Wiederaufflammen des Nordirlandkonflikts mit seinen Gewaltexzessen und religiösen und rassistischen Vorurteilen in Kauf zu nehmen.
Zündschnur Naher Osten
Aktuell ist zu befürchten, dass die Entscheidung Trumps, das Iran-Abkommen zu kündigen und seine aggressive Außenpolitik gegenüber dem Iran sowie der 100-Mrd-Dollar Rüstungsdeal mit den saudischen Despoten die Spannungen in Nahost weiter anheizen, und Johnson sich dabei die Chance bieten könnte, im Falle einer gewaltsamen Zuspitzung des Konflikts bei Wahlen wider alle Vernunft eine Mehrheit hinter sich zu bringen. Hilfreiche Steigbügelhalter sind dabei derzeit die iranischen Revolutionsgarden, die einen britischen Öltanker aufgebracht haben, nachdem ein iranischer Tanker vor Gibraltar von den Briten an der Weiterfahrt gehindert wurde. Diese brenzliche Situation im Mittelmeer gleicht einem Ölfass, bei dem ein einziges Streichholz genügt, um eine gewaltige Explosion zu verursachen, die eine kriegerische Explosion im gesamten Nahen Osten nach sich ziehen, und eine unkalkulierbare Eskalation provozieren könnte.
Dass eine solche Entwicklung durchaus im strategischen Interesse von Donald Trump sein könnte, um seine Wiederwahl zu sichern, habe ich an anderer Stelle deutlich gemacht. Aber ein begrenzter Krieg und die damit verbundenen Loyalitätswirkungen auf die Bevölkerung mit ihrer Regierung könnten auch für Boris Johnson der Schlüssel sein, wider aller heutigen Erwartungen und miesen Umfragen in einer etwa im Herbst angesetzten Neuwahl unter den Bedingungen eines bewaffneten Konflikts eine Mehrheit zu sichern. Es ist eine uralte politikwissernschaftliche Erkenntnis, dass Politiker, die innenpolitische Probleme haben, erfolgreich versuchen können, von außenpolitischen Krisen oder Kriegssituatonen zu profitieren, weil sich auch die Kritiker dann hinter der jeweiligen Regierung versammeln.
Noch ist es nicht so weit, aber die Zuspitzung der Ereignisse am Golf könnte sehr schnell eine solche Situation herbeiführen. Johnson hat während des innerparteilichen “Wahlkampfes” bereits deutlich gemacht, dass er gegenüber dem Iran als Hardliner aufzutreten und die EU komplett zu ignorieren plant. Die EU könnte deshalb in wenigen Wochen oder gar Tagen mit ganz anderen Problemen konfrontiert sein, als mit neuen Verhandlungen der Briten mit dem Kontinent: Mit den Kriegsspielen eines gewissenlosen Lügners und Politclowns, der sich nicht scheut, die Sicherheit einer ganzen Region zu gefährden, um die schrulligen Phantasien von Teilen der britischen Upper Class und Schickeria, sowie die Voten ihrer betrogenen und fehlgeleiteten Mitläufer in den Unterschichten vom Wiederaufstieg des britischen Empire ohne die EU zu verwirklichen.
Vernunft und Verantwortung wäre etwas anderes. Aber vielleicht bräuchte es für deren Sieg den schmerzhaften Aufschlag eines ganzen Landes in der harten Realität des härtesten Brexit aller Zeiten. Die Frage bleibt, was ein solcher Missbrauch mit der Demokratie als Staatsform macht.
Bisher war ich, ähnlich wie Du, der Meinung, Boris Johnson sei ein besonders rechtes Gesicht dessen, was gewöhnlich unpräzise als “Populismus” bezeichnet wird. Da klärt mich heute ein anderer Herr Johnson auf, er sei ein “Bollwerk gegen den Populismus”. Dä. So verschieben sich die Grenzen des politischen Diskurses. Und ich grübele, ob der Autor so einer These Objekt oder Subjekt dieser Verschiebung ist. Jedenfalls ist er seit 1990 für die Afrika-Berichterstattung der taz verantwortlich. Zeigt das jetzt, dass diese Zeitung dieses Feld wichtig oder unwichtig findet?