Das britische Parlament ist das älteste der Welt. Bis heute ist es selten reformiert worden, die ungeschriebene Geschäftsordnung orientiert sich zum Teil an Traditionen, die ins 16. Jahrhundert zurück reichen. Schon vergangenen Sommer zeigte sich, dass es unfähig ist, in einer komplizierten Interessen- und Gemengelage wie der des Brexit zu konsensualen Lösungen zu kommen. Nun hat Boris Johnson es geschafft, mit einem Trick die demokratisch gewählte Volksvertretung in einer existenziellen Entscheidungsphase der britischen Politik auszuschalten.
Durch eine Zwangspause, die er dem Parlament bis zur Verlesung seiner Regierungserklärung durch die Queen bis Mitte Oktober auferlegt hat, ist das Parlament in den wichtigsten Wochen vor dem Brexit-Termin handlungsunfähig. Ein Geschäftsordnungs-Putsch gegen die Demokratie, um seine Pläne eines chaotischen Brexit ohne Abkommen gegen den demokratischen Widerstand, der sich gerade im Parlament überparteilich zu organisieren begonnen hat, durchzupeitschen. Johnson hofft damit, das Parlament daran zu hindern, dass es seine Regierung durch Beschlüsse und möglicherweise ein Mißtrauensvotum stoppt, seine Pläne durchzuziehen. Damit verstößt er gegen jene demokratischen Prinzipien des Fairplay, die die britische Demokratie durch Jahrhunderte ausgezeichnet haben. Er zeigt sein wahres Antlitz eines machiavellistischen, zu jedem Trick und jeder Lüge bereiten Machtpolitikers, der sich bei seinen Machtspielchen einen feuchten Kehricht um den sozialen und ökonomischen Zusammenhalt des Landes schert. Er spaltet die Nation in gewissenloser Hybris.
Er untermauert auch in der Frage des Backstop sowie der Ignoranz gegenüber der schottischen Mehrheit, dass ihm der Wille der Bürger, auf den er sich immer wieder in Sachen Brexit beruft, in Wahrheit völlig gleichgültig ist. Die Spielermentalität dieses reichen Oberschichtabkömmlings verschlimmert alles nur noch. Johnson zeigt, was das Vereinigte Königreich zu erwarten hat, wenn es nicht gelingt, ihn aufzuhalten. Die Demokratie stirbt in Großbritannien durch einen gewählten Politiker, der kein Demokrat, sondern ein Zocker ist. Das britische politische System war jahrhundertelang Vorbild. Die Wirkung (a)sozialer Medien war da noch nicht bekannt. Die EU könnte Johnsons Manöver durchkreuzen, indem sie ihrerseits das Datum für den Brexit nach hinten verlegt. Gute Gründe, etwa den, dass die EU-Kommission bis dahin noch nicht vollzählig im Amt und gar nicht verhandlungsfähig ist, gibt es genug.
Vom Empire zum Operettenstaat – wie bei den USA zeigt sich hier Niedergang bis hin zum Zerfall. Das grösste Entsetzen müsste sich in den Reihen authentischer britischer Konservativer breitmachen – dabei sind sie es selbst, die das angerichtet haben. Ob deutsches Bürgertum daraus was lernt?