Von Günter Bannas
Mehr als die Hälfte der Regionalkonferenzen der SPD, auf denen sich die Bewerber um den Parteivorsitz zu präsentieren haben, ist vorüber. Einige haben schon verzichtet. Bei anderen ist es klar, dass sie es nicht in den Stichentscheid schaffen werden, zu dem es zweifellos zwischen den beiden – im ersten Wahlgang vorne liegenden – Teams kommen wird. Die Auftritte der Kandidaten schufen Klarheit über die Standpunkte und über die Qualifikation für das Amt – und auch darüber, wie groß die Verantwortung ist, die sie tragen wollen. Ziemlich groß.
Unkalkulierbar ist, wie der Wettbewerb ausgeht, und auch, welche Folgen und Nebenwirkungen das Ergebnis mit sich bringt. Offen ist zum Beispiel, wie sich das Zusammenwirken zweier gleichberechtigter Vorsitzender auf den Alltag in der Parteizentrale und der öffentlichen Kommunikation auswirken wird. Über das erforderliche Netzwerk in Partei und Bundestagsfraktion, das auch über Krisen hinweghilft, verfügt niemand aus dem Kreis der Bewerberinnen und Bewerber. Für einige wäre es sogar das erste herausragende Parteiamt überhaupt.
Voran steht nun die Frage, ob Olaf Scholz Finanzminister bleiben könnte, wenn er es nicht einmal in den Stichentscheid schaffte. Eher nicht. Müsste dann die oder der neue Parteivorsitzende ins Bundeskabinett rücken? Viel spricht dafür – zumal, wenn der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius oder der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans Ko-Parteivorsitzende würden. Denn nicht nur die Frage, wie die Kandidatinnen und Kandidaten zur Fortsetzung der großen Koalition stehen, hat die SPD-Mitglieder zu beschäftigen. Die künftigen SPD-Vorsitzenden benötigen, wollen sie auf Dauer politischen Einfluss ausüben, neben dem Parteiamt ein öffentliches Forum – und das ist in der Bundespolitik nun einmal der Deutsche Bundestag. Dort aber dürfen nur Abgeordnete, Regierungsmitglieder sowie – als Mitglieder des Bundesrates – Landesminister auftreten. Schon der vergangene SPD-Bundestagswahlkampf litt darunter, dass der Kanzlerkandidat Martin Schulz keine dieser Bedingungen erfüllte. Nicht zuletzt deshalb wollte Annegret Kramp-Karrenbauer nicht nur CDU-Vorsitzende sein, sondern auch Bundesministerin werden, als das Amt frei geworden war. Ob diese Aussichten das Wahlverhalten der SPD-Mitglieder beeinflusst? Lieber dann doch das „kleinere Übel“ wählen? Könnte sein.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.
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