Dolchstoss gegen das Völkerrecht und das endgültige Aus für eine gerechte Zweistaaten-Lösung
„Präsident Donald J. Trump hat erkannt, daß es Zeit ist für einen neuen Ansatz, um Frieden, Sicherheit, Würde und Zukunftsmöglichkeiten für Israel und für das palästinensische Volk zu erreichen.”
Mit diesem großspurigen Werbetext verbreitet das Weiße Haus in Washington den „Friedensplan“, den der US-Präsident am 29. Januar der Weltöffentlichkeit präsentierte unter dem anmaßenden Titel “Vision for Peace, Prosperity, and a Brighter Future for Israel and the Palestinian People” (Vision für den Frieden und eine bessere Zukunft für Israel und für das palästinensische Volk). Doch tatsächlich bedeutet dieser Plan – vorausgesetzt er wird nach dem eventuellen Sieg eines/r demokratischen Kandidaten/in bei den Präsidentschaftswahlen am 4.November nicht wieder korrigiert – das endgültige Aus für die über 70 Jahre alten Beschlüsse, Pläne und damit verbundenen Hoffnungen auf einen überlebensfähigen Staat für die Palästinenser*innen auf einem zusammenhängenden Territorium. Der Versuch einer Umsetzung dürfte zu mehr Unsicherheit, Gewalt, Krieg und Terrorismus nicht nur im Nahen Osten führen.
Am 29. November 1947 hatte die UNO-Generalversammlung beschlossen, das seit 1922 im Auftrag des UNO-Vorgängers Völkerbund von Großbritannien verwaltete „Mandatsgebiet Palästina“ mit damals rund 90 Prozent arabisch/palästinensischer und zehn Prozent jüdischer Bevölkerung aufzuteilen: in einen Staat Israel auf 56,47 Prozent des Territoriums und einen Staat Palästina auf 43,53 Prozent des Gebiets. Im Jahr 1948 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen zunächst jüdischen Milizen und ab Israels Staatsgründung am 14. Mai 1948 der regulären israelischen Armee auf der einen Seite und den Palästinensern und vier arabischen Staaten, die den UNO-Teilungsplan abgelehnt hatten, auf der anderen Seite. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen vertrieben die militärisch überlegenen jüdischen Milizen/israelischen Streitkräfte rund 730.000 Palästinenser*innen aus ihren Häusern und Dörfern. Am Ende dieser bewaffneten Auseinandersetzung kontrollierte Israel 78 Prozent des ehemaligen britischen „Mandatsgebietes Palästina“. Im Junikrieg von 1967 besetzte Israel auch die verbleibenden 22 Prozent (Westjordanland, Ostjerusalem, Gazastreifen). Alle seit 1991 geführten Verhandlungen und getroffenen Vereinbarungen über eine Zweistaaten-Lösung (Madrider Nahost-Konferenz, Oslo-Abkommen, Camp David-Verhandlungen u.a.) sahen einen künftigen Staat Palästina auf nur noch diesen 22 Prozent des Territoriums vor mit der Option auf vereinbARTE Gebietsaustäusche.
Völkerrechtswidrige Annexion
Trumps „Friedensplan“ reduziert das Gebiet für einen palästinensischen Staat noch weiter. Denn der Plan sieht vor, daß alle heute bestehenden illegalen Siedlungen im Westjordanland mit inzwischen über 650.000 jüdischen Bewohner*innen erhalten bleiben. Der größte Teil dieser Siedlungen soll offiziell Teil des israelischen Staatsgebietes werden. Das wäre eine völkerrechtswidrige Annexion. Darüber hinaus sollen mindestens 15 weitere jüdische Siedlungen als Enklaven auf dem Gebiet des künftigen Staates Palästina verbleiben, für deren Sicherheit die israelische Armee und Polizei zuständig sein sollen. Eine Trumps „Friedensplan“ beigefügte Karte listet diese 15 Siedlungen auf mit dem ausdrücklichen Vermerk, daß diese Liste möglicherweise noch erweitert wird. Als angebliches „Zugeständnis“ des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu benennt der„Friedensplan“ den „Verzicht“ der israelischen Regierung auf den Bau weiterer Siedlunng. Netanjahu hat dieses „Zugeständnis“ inzwischen dementiert.
Im besten Fall blieben für ein palästinensisches Staatsgebiet noch knapp 18 Prozent des früheren britischen Mandatsgebiets übrig.Und dies nicht auf einem zusammenhängenden Staatsterritorium, sondern zerklüftet durch die Siedlungen und weiterhin durchzogen von , nur von israelischen Sicherheitskräften nutzbaren Strassen, die angeblichunverzichtbar sind für die „Sicherheit Israels“ und seiner künftigen Staatsbürger in den illegalen Siedlungen. Die Verbindung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen soll durch ein ein aufwendige und sehr kostspielige Tunnelkonstruktion hergestellt werden. Und selbst über ihre künftiges, verstümmeltes Staatsterritorium auf maximal 18 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebietes hätten die Palästinenser*innen keine volle Kontrolle und Souveränität. Die Lufthoheit über diesem Staat soll weiterhin bei Israel bleiben. Zudem wäre es den Palästinenser*innen nicht erlaubt, eigene Streitkräfte aufzustellen.
Jerusalem soll fast vollständig zur Hauptstadt Israels werden. Den Palästinenser*innen ständen für ihre Hauptstadt lediglich einige östliche Randviertel Jerusalems sowie ein Gebiet zur Verfügung, auf dem sich derzeit ein Flüchtlingslager befindet.
UNO-Gebot Freier Zugang zu Jerusalem wird ignoriert
Auch diese Regelung ist ein klarer Verstoß gegen die UNO-Teilungsplan von 1947. Darin ist Jerusalem zunächst vorgesehen als eine offene, internationale Stadt mit freiem ungehinderten Zugang für Angehörige aller Religionen zu den heiligen Stätten, bis sich beide Seiten möglicherweise darauf verständigen, Jerusalem entweder zur gemeinsamen Hauptstadt beider Staaten zu machen, oder zum Sitz von zwei Regierungen im Westen und im Osten der Stadt. Schließlich sieht der Plan vor, daß von den rund 5,5 Millionen offiziell von der UNO registrierten palästinensischen Flüchtlingen lediglich 50.000 das Recht auf Rückkehr erhalten sollen. Dies verstößt gegen die UNO-Resolution 194, mit der die Generalversammlung am 11. Dezember 1948 beschloß, daß „Flüchtlingen, die in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben möchten, dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden sollte und dass eine Entschädigung für das Eigentum gezahlt werden sollte von denen, die sich dafür entscheiden, nicht zurückzukehren und für den Verlust oder die Beschädigung von Eigentum, das nach den Grundsätzen des Völkerrechts oder der Gerechtigkeit von den zuständigen Regierungen oder Behörden wieder gut gemacht werden sollte.“
Trumps „Friedensplan“ – im wesentlichen konzipiert von seinem Schwiegersohn Jared Kushner – bricht mit der offiziellen Position der USA, die ausnahmslos alle republikanischen und demokratischen Administrationen in Washington seit dem 6-Tagekrieg vom Juni 1967 vertreten hatten. Die im Ergebnis dieses Krieges erfolgte Besatzung der Westbank, des Gazastreifens und Ostjeruslems durch Israel wurde von der damaligen US-Regierung unter dem demokratischen Präsident Lyndon B. Johnson im UNO-Sicherheitsrat im Konsens mit den anderen 14 Ratsmitgliedern als „völkerrechtswidrig“ verurteilt. Mit dieser völkerrechtlich verbindlichen Resolution 242, die entgegen allen anderslautenden Behauptungen bis heute uneingeschränkt gültig ist, forderte der Sicherheitsrat die israelische Regierung dazu auf, die völkerrechtswidrige Besatzung zu beenden. Im Einklang mit der Sprachregelung bei der UNO und anderer internationaler Organisationen wurden die Westbank, der Gazastreifen und Ostjerusalem auch in allen offiziellen Dokumenten der US-Regierung klassifiziert als „Occupied Palestinian Territories,OPT“ – besetzte palästinensische Gebiete. Nach dem Yom Kippur-Krieg vom Oktober 1976 wiederholte der UNO-Sicherheitsrat in seiner Resolution 338 die Forderung nach einer Ende der Besatzung – mit Zustimmung der USA unter dem damaligen republikanischen Präsidenten Gerald Ford. Auch sprachen sich alle Vorgänger von Trump für eine Zwei-Staatenlösung aus mit einem Staat Palästina auf den 22 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebietes Palästina entstehen sollte.
Neue negative Qualität
Allerdings haben die US Regierungen der Jahre 1967 bis 2016 wenig bis gar nichts dafür getan, daß die Forderungen des UNO-Sicherheitsrates und der Vertrag von Oslo von den israelischen Regierungen dieser fünf Jahrzehnte auch umgesetzt wurden. Im Gegenteil: Fast immer verhinderten die USA – oftmals mithilfe ihres Veto im UNO-Sicherheitsrat – daß der notwendige internationale Druck ausgeübt wurde, um die israelische Regierung zur Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzung und zur Umsetzung des Oslo-Abkommen zu bewegen. Dennoch: Es ist ein neue, negative Qualität, wenn der jetzige US-Präsident das Ziel einer gerechten Zwei-Staatenlösung ganz offiziell aufkündigt, die Annexion von Teilen der Westbank durch Israel ausdrücklich unterstützt und über 99 Prozent der palästinensischen Flüchtlingen das Recht zur Rückkehr abspricht. Bereits in den zwei Jahren vor der Präsentation seines „Friedensplans“ brach die Trump-Administration mehrfach und in zum Teil völkerrechtswidriger Weise mit der Nahostpolitik ihrer Vorgänger seit 1967. Zunächst verlegte sie die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem. Dann erkannte Washington die völkerrechtswidrige Annexion der syrischen Golanhöhen durch Israel an. Schließlich wurde Juli 2019 die Bezeichnung „Occupied Palestinian Territories, OPT) aus sämtlichen offiziellen Regierungsdokumenten getilgt und ersetzt durch „disputed territories“ (umstrittene Gebiete). Diese neue Sprachregelung, mit der Tatbestand der völkerrechtswidrigen Besatzung vernebelt und verharmlost werden soll, wurde inzwischen auch von Politikern der deutschen Regierungspartei CDU übernommen sowie vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung in Berlin.
Die Trump-Administration konsultierte vor Veröffentlichung ihres „Friedensplans“ nicht einmal die palästinensische Führung unter Mahmud Abbas. Aber Trump versicherte sich der vorherigen Zustimmung sowohl des israelischen Premierministers Benjamin Netanjanu (den der maßgebliche Autor des Plans, Jared Kushner während seiner fast zweijährigen Entwurfsarbeiten ohnehin ständig konsultiert hatte) wie auch von Netanjahus innenpolitischem Kontrahenten Benny Glanz. Netanjahu, der während der Präsentation des Plans durch Trump neben dem US-Präsidenten stand, verglich den Plan mit der Anerkennung Israels durch US-Präsident Harry Truman am 14. Mai 1948. Netanjahu sprach von einem “realistischen Weg zu anhaltendem Frieden” und nannte Trump „den besten Freund, den Israel je im Weißen Haus hatte“. Sollte Netanjahu die israelischen Parlamentswahlen am 2. März gewonnen haben, dürfte er nach Einschätzung der meisten politischen Beobachter die forcierte Umsetzung des Planes betreiben und eine schnelle Annexion der allermeisten illegalen jüdischen Siedlungen auf der Westbank anstreben. Glanz würde im Falles seines Sieges zurückhaltender vorgehen, aber auch an dem „Friedensplan“ festhalten.
Das bisherige Echo der UNO sowie einzelner Regierungen auf Trumps „Friedensplan“ war zwar überwiegend kritisch, macht aber doch nicht viel Hoffnung, daß es noch zu einem effektiven internationalen Widerstand gegen die Umsetzung des Planes kommen wird. Die New Yorker UNO-Zentrale reagierte zurückhaltend diplomatisch. “Die Positionen der UN zur Zwei-Staaten-Lösung wurden über die Jahre definiert durch relevante Resolutionen des Sicherheitsrats und der Vollversammlung”, sagte der Sprecher von Generalsekretär António Guterres. An diese Resolutionen sei das UN-Sekretariat gebunden.
Die Vereinten Nationen bleiben verpflichtet, Palästinenser und Israelis bei der Lösung des Konflikts auf der Grundlage der Grenzen vor 1967 zu unterstützen.
Die Arabische Liga bezeichnete den Plan in einer gemeinsamen Erklärung zwar als „unfair“, weil er „die minimalen Rechte und Erwartungen der Palästinenser nicht erfüllt“. Doch von einzelnen Regierungen arabischer Staaten kamen andere, positivere Signale. Bei Trumps Präsentation in Washington waren die Botschafter des Oman, Bahrains und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) anwesend. Der amerikanische Präsident pries die Regierungen der anwesenden Botschafter für ihr Engagement bei der Erarbeitung des neuen Friedensplans. Die VAE sprachen von einem „wichtigen Startpunkt“ auf dem Weg zum Frieden zwischen Palästinensern und Israelis, der viele Dinge anspreche, die sich über die Jahre angesammelt haben.
Widersprüchliche Reaktionen
Alle drei Staaten lobten den Einsatz des Weißen Hauses, „ein Abkommen zu erreichen, das die legitimen Rechte der Palästinenser garantiert“, wie Saudi-Arabien bekannt gab. „Das Königreich schätzt die Bemühungen der Administration von Präsident Trump“, ließ das saudische Außenministerium verlauten. „Wir ermutigen Israelis und Palästinenser zu direkten Verhandlungen.“ Noch positiver äußerte sich Ägypten zu Wort, das seit 1979 einen Friedensvertrag mit Israel hat. „Wir fordern die beteiligten Parteien auf, die US-Friedensvision sorgfältig und ernsthaft zu erwägen“, hieß es aus dem ägyptischen Außenministerium. „Der Vorschlag bietet die Möglichkeit, die legitimen Rechte der Palästinenser wieder herzustellen.“ Eine Einschätzung, die Trump erfreuen dürfte. Er bezeichnet den ägyptischen Machthaber Abdel Fattah al-Sisi als seinen „liebsten Diktator“.
Deutlich kritischer reagierte Jordanien, das ebenfalls mit Israel Frieden geschlossen hat. Außenminister Aiman Safadi erklärte zwar zunächst, daß seine Regierung „jeden aufrichtigen Versuch unterstützt, einen gerechten und dauerhaften Frieden herzustellen“. Gleichzeitig warnte er jedoch vor „gefährlichen Konsequenzen“ und der „Annexion palästinensischen Landes“. Nur auf „der Basis der Grenzen von 1967 und mit Ostjerusalem als Hauptstadt“ könne es einen Weg zum Frieden geben, erklärte Safadi und widersprach damit den Kernpunkten des Vorschlags von Trump.
Die rhetorisch schärfste Kritik an Trumps Plan kam von den Regierungen der Türkei und Irans. Das türkische Außenministerium bezeichnete ihn als „Totgeburt“. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, es sei nicht hinnehmbar, dass Trump ganz Jerusalem zur Hauptstadt Israels machen wolle, denn Jerusalem sei „den Muslimen heilig.“ Der iranische Außenminister Dschawad Sarif sagte in Anspielung auf Trumps Vergangenheit als Geschäftsmann, der „Jahrhundertdeal“ sei das „Traum-Projekt eines pleitegegangenen Immobilienhändlers, aber ein Alptraum für die Region und die Welt“.
Die russische Regierung erklärte lediglich, der Plan sei „nicht umsetzbar“.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel erklärte, Trumps Plan stimme „nicht mit internationalen Vereinbarungen überein“. Die EU befürworte „eine ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit gleichwertigem Landtausch“. Der Staat Israel und ein unabhängiger, demokratischer Staat Palästina sollten Seite an Seite leben. Borrell sagte zudem, dass die EU aufgrund von Aussagen Israels über eine mögliche Annektierung von Teilen des Westjordanlands und des Jordantals besonders besorgt sei. Dies könnte – falls umgesetzt – nicht unangefochten bleiben.
Was die EU allerdings konkret gegen eine Umsetzung der Annexion unternehmen wolle, blieb zunächst offen. Eine ursprünglich vorgesehene Resolution der EU-Aussenminister wurde auf die Zeit nach den israelischen Wahlen verschoben.
Verhalten positiv zu Trumps Plan äußerte sich das gerade aus der EU ausgetretene Großbritannien. Der Plan sei “eindeutig ein ernsthafter Vorschlag”, erklärte Außenminister Dominic Raab.
Dieser Beitrag erscheint auch in der Schweizer Friedenszeitung.
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