von Ludger Volmer
Zwei Krisen – eine Antwort

1. Die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie sind keine voneinander unabhängigen, schicksalhaften Ereignisse. Abläufe der natürlichen Umwelt wirken gegen die Menschheit, weil diese sich auf dem Globus zu viel Raum genommen und ihren Stoffwechsel mit der Natur zu sehr beschleunigt und intensiviert hat. Sie zerstört ihre eigenen natürlichen Lebensgrundlagen und rückt zu dicht an die Lebensräume anderer Lebewesen. Die Risiken sind nicht mehr kalkulierbar.
2. Die Globalisierung der letzten 30 Jahre hat zweifellos Erfolge gebracht: Die Zahlen von absoluter Armut, Kindersterblichkeit und Analphabetismus haben sich halbiert. Zugleich aber ist die Kluft zwischen Reich und Arm größer geworden; die „imperiale Wirtschaftsweise“ hat den Globus als Ganzes überlastet. Die natürlichen Kreisläufe geraten immer mehr aus dem Gleichgewicht – mit existentiellen Folgen für die Gattung Mensch. Die Erde braucht keine Menschen.
3. Technische Mittel und die Optimierung operativer Verfahren können einige Folgen abmildern und die Widerstandsfähigkeit der Menschheit erhöhen. Sie weiterzuentwickeln, ist unvermeidlich geworden. Das gilt auch für das effektive Management von Not- und Krisensituationen, das demokratische Entscheidungen nicht grundsätzlich aushebeln darf. Doch auch wenn kurzfristiges Krisenmanagement unerlässlich ist – die Zukunft liegt nur in einer grundsätzlichen Umkehr des Wirtschaftens, von Produktion, Handel und Konsum. Prävention ist die einzige Möglichkeit, weitere katastrophale Zuspitzungen zu verhindern.
4. Unbegrenzter Freihandel und rücksichtslose internationale Arbeitsteilung sind zur Leit-Ideologie von Wirtschaftspolitik und -wissenschaft geworden. Ihr theoretisches Kalkül der komparativen Kostenvorteile mag kleinräumig aufgehen; im globalen Maßstab hat es sich als fatal erwiesen – rational im Detail, irrational im Ganzen. Eine aufgeklärte Wirtschaftspolitik muss die fundamentalen Erkenntnisse der Natur- und Geowissenschaften über die Grenzen des Wachstums zur Maxime ihres Handelns erklären. Quantitatives Wachstum und Profitmaximierung haben als Strategien globaler Wohlstandssteigerung ausgespielt. Selektives Wachsen und Schrumpfen auf der Basis vernunftgeleiteter politischer Steuerung müssen das interessengeleitete Marktgeschehen ersetzen.
5. Märkte sind unverzichtbar, doch sie bedürfen einer ökologischen und sozialen Rahmensetzung, die in alle Investitionsentscheidungen von Unternehmen hineinwirkt. Die einseitige Exportorientierung und die Zwangsintegration von Ländern und Regionen in den Weltmarkt muss abgelöst werden durch eine wirtschaftliche Binnenorientierung mit der Förderung regionaler, möglichst nachhaltig erzeugter Produkte, kürzerer Lieferketten und der Kaufkraftsteigerung ökonomisch schwächerer Schichten. Eine internationale Finanzpolitik, die eher auf Schuldenerlasse als auf neue Kredite setzt, kann ein solches Umsteuern unterstützen. Eine Wirtschaftsdemokratie, die über die gängigen Modelle von innerbetrieblicher Mitbestimmung hinausgeht, kann die Entscheidungsmacht von Shareholdern, Investmentbankern und bonusgierigen Managern eindämmen.

6. Die maximale Weltmarktintegration hat sich als Irrweg herausgestellt. Die Antwort auf die Globalisierung aber kann nicht der Rückfall in nationalstaatliche Enge sein, erst recht nicht in föderale Kleinstaaterei. Regionale Strukturen, die – neben einzelnen Großstaaten – Staatengruppen umfassen, könnten den richtigen Mittelweg darstellen und eine polyzentrische Weltordnung ohne bipolare Blockbildung schaffen. Ihre politische Stärkung kann Institutionen schaffen, die nationale Interessen einhegen und einen globalen friedlichen Interessenausgleich organisieren. Bei aller Kritik an ihrem heutigen Zustand liegt unsere Zukunft deshalb in einer politisch gestärkten, demokratisierten, entbürokratisierten und friedlichen Europäischen Union, die sich den hier formulierten Zielen verpflichtet.
7. Primaten und Hominiden wurden zur Gattung Mensch, zum Homo sapiens, durch Kultur, Kooperation und Ordnungsmuster, die Hass und Gewalt eindämmten. Die Geschichte stellt sich – bei allen grauenvollen Rückfällen – insgesamt als Prozess der Zivilisation dar und muss als Maßstab für das heutige Handeln von Politik und Wirtschaft gelten. Die Vereinten Nationen haben den zivilisatorischen Fortschritt kodifiziert. Sie zu stärken und weiterzuentwickeln liegt im Interesse der Menschheit. Die UNO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umreißt die Aufgaben, denen sich Politik und Wirtschaft auch im Sinne von Krisenprävention stellen müssen.
8. Die eigentlich glückliche Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung trägt zu einer Beschleunigung der ökologischen Krise und der Pandemiegefahren bei. Weil immer mehr Menschen immer länger leben, werden immer mehr Lebensräume überstrapaziert. Auch wenn die VN ein Ende des Bevölkerungswachstums bei etwa 11 Milliarden Menschen annehmen – es sind zu viele. Wie deren Versorgung organisiert werden könnte, ist offen. Eine weitere industrielle Intensivierung der Landwirtschaft, die heute schon einen großen Anteil am ökologischen Desaster trägt, dürfte jedenfalls nicht die Lösung sein. Wenn nicht Kriege und Seuchen wie in früheren Zeiten das Bevölkerungswachstum signifikant drosseln sollen, dann gehört das Thema der Bevölkerungspolitik wieder prominenter auf die Tagesordnung.
9. Während einige Regionen heute die Bevölkerungszahl stabil halten, weisen andere erhebliche Wachstumsraten auf. Ob die forcierten Bildungsangebote für Frauen und der Einsatz für Sozialstaatlichkeit statt der Familien- und Clanorientierung rechtzeitige und hinreichende Effekte haben werden, darf – so notwendig sie sind – bezweifelt werden. Global verabredete bevölkerungspolitische Zielgrößen könnten sich an der durchschnittlich nötigen Reproduktionszahl von 2,1 Kindern pro Frau orientieren. Sie müssten in allen Regionen der Erde gegen alle religiösen, kulturtraditionalistischen und patriarchalischen Muster durchgesetzt werden.
Fazit:
Die Corona-Krise ist quälend, aber sie bietet auch eine Chance. Sie bietet die vielleicht letzte Chance, vernunftgesteuert die Entwicklungsrichtung zu ändern, bevor ein katastrophaler natürlicher Super-GAU der in ihrer Hybris selbsternannten „Krone der Schöpfung“ (corona genesis) ein Ende macht. Ein Zurück zum Status quo ante, wie er von den Profiteuren des gescheiterten Systems gefordert wird, ist jedenfalls der falsche Weg.

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