USA gegen Aufhebung des Patentschutzes für Pharmakonzerne – Bedenken Washingtons gegen WHO-Resolution zur schnellen Versorgung aller Menschen mit erschwinglichem Impfstoff – Südkorea fordert konkrete neue, rechtsverbindliche Befugnisse für die WHO
Die USA sind dagegen, mit Blick auf die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes den Patentschutz für Pharmakonzerne auszusetzen, um so die schnelle Produktion von Generika in vielen Ländern zu ermöglichen und eine ausreichende Versorgung aller Menschen mit einem preislich erschwinglichen Impfstoff zu gewährleisten. Die Trump-Administration will stattdessen die Gewinninteressen des weltgrößten, US-amerikanischen Pharmakonzerns Pfizer schützen, falls dieser als erster einen Impfstoff entwickeln sollte. Daher erhoben die USA bei der virtuellen Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Vorbehalte gegen die Forderung zur Aussetzung des Patentschutzes in einer von 114 der 194 Mitgliedsstaaten eingebrachten und per Akklamation via Videolink verabschiedeten Resolution.
Mit der Resolution machten die Mitgliedsstaaten das am Montag von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus gegebene Versprechen, das Verhalten der WHO in der Coronakrise untersuchen zu lassen, zu einem verbindlichen Auftrag an die WHO-Spitze. Die Resolution fordert eine “unparteiische, unabhängige und umfassende Evaluierung” der weltweiten Reaktion auf die Corona-Pandemie. Auch die Reaktion der WHO selbst und deren zeitlicher Ablauf sollen untersucht werden. Auf diesen Teil der Untersuchung dringt insbesondere die Trump-Administration seit Wochen lautstark und verbunden mit heftigen Vorwürfen an die Adresse der WHO und Chinas.

Zu den jüngsten Drohungen der US-Regierung gegenüber der WHO erklärte das chinesische Außenministerium am Dienstagmorgen, es gehe US-Präsident Donald Trump „lediglich darum, China zu verunglimpfen und sich vor den Verpflichtungen seines Landes gegenüber der WHO zu drücken”. Montagnacht hatte Trump im Onlinedienst Twitter Bilder eines Briefes an WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, gezeigt, in dem er nicht näher spezifizierte “substanzielle Verbesserungen” in der Arbeit der Organisation fordert. Die WHO solle ihre “Unabhängigkeit von China” unter Beweis stellen, schrieb Trump. Sollte die WHO die geforderten Änderungen nicht innerhalb der nächsten 30 Tage vornehmen, werde seine Regierung ihre Beitragszahlungen dauerhaft einstellen, drohte der US-Präsident. Außerdem werde seine Regierung in diesem Fall ihre Mitgliedschaft in der WHO “überdenken”.
In diesem Jahr haben die USA nach meinen Informationen erst 58 Millionen US-Dollar an die WHO überwiesen, die Hälfte ihrer eigentlich bis spätestens 31. Januar fälligen Pflichtbeiträge für 2020. Freiwillige Beiträge hat die WHO bislang keine aus Washington erhalten. 2019 waren es noch 338 Millionen Dollar. Der Gesamthaushalt der WHO für 2020 beträgt 2,92 Milliarden Dollar. Bei einem dauerhaften Finanzboykott der USA sowie wegen der im Haushalt noch nicht vorgesehenen Mehrausgaben für Massnahmen gegen die Corona-Pandemie rechnet die WHO bis zum Jahresende mit einem Defizit von mindestens 1,7 Milliarden Dollar.

Sehr konkret zu notwendigen Reformen der WHO äußerte sich der südkoreanische Präsident Moon Jea In. Er forderte, die Organisation müsse mehr Befugnissen bekommen. “Wir müssen die internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO und andere relevante Normen aktualisieren und sie mit verbindlicher Rechtskraft ergänzen.” Diese Forderung berührt das zentrale Dilemma der WHO auch schon bei früheren Epidemien, das im aktuellen Konflikt über die Informationspolitik der chinesischen Regierung nur besonders deutlich geworden ist. Nach einer 2005 von der Generalversammlung verabschiedeten Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten die Genfer WHO-Zentrale schnell und umfassend über jegliche Ausbrüche von Krankheiten informieren. Die WHO darf in Ländern ohne deren Erlaubnis aber keine eigenen Nachforschungen anstellen.

Laut der Richtlinie von 2005 muß sich die WHO zwar nicht nur auf Informationen der Regierungen verlassen, sondern darf auch Informationen von Nichtregierungsorganisationen, unabhängigen Ärtz*innen und Wissenschaftler*innen entgegennehmen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Wie aber soll sich die WHO verhalten, wenn die Informationen einer Regierung und von regierungsunabhängigen Akteuren so widersprüchlich sind, wie das im Fall China zumindest in den ersten beiden Monaten der Corona-Krise der Fall war? Oder wenn die unabhängigen Akteure wie in China von der Regierung zum Schweigen gebracht werden oder gar völlig verschwinden? Die Lösung wäre die Einrichtung ständiger Monitorstellen der WHO in allen 194 Mitgliedsländern mit uneingeschränkten Befugnissen zur Informationsbeschaffung. Doch welche Länder würden einem entsprechenden Vorschlag zur Reform und Stärkung der WHO zustimmen?
Dieser Beitrag erscheint auch bei taz.de, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.