Beueler-Extradienst

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Impfgezeter / Antisemitismusstreit

Nichts ist klar beim Impfen. Jedenfalls in Bonn, bis gestern. Es wurde auf Informationen der Landesregierung gewartet. Und deren sichtlich genervter Gesundheitsminister Laumann kann den Impfstoff auch nicht zaubern. Die Politiker*inen werden von teilweise hetzenden Medien gejagt (ausnahmsweise mal ein Hanfeld/FAZ, dem ich zustimme), und lassen sich von denen von ihrer eigentlich jetzt fälligen Arbeit ablenken. So drehen sie sich wieder alle um sich selbst.
Es gibt Menschen, die sich eilig impfen lassen möchten. Ich kenne welche. Ebenso gibt es zahlreiche Menschen, die sich jetzt schon impfen lassen könnten, aber (noch) nicht wollen. Etliche Medien, im Verein mit den führenden Besserverdiener*inne*n des Gesundheitswesens, drehen auch darüber wieder im Rad, geben sich überrascht und kopfschüttelnd (auf diskriminierende Klischees, wie dem von den bösen Raucher*inne*n, nicht verzichtend), dass ausgerechnet die, die in der Alten- und Krankenpflegebranche arbeiten – wer könnte fachkundiger sein, als die? – es mit dem Impfen gar nicht so eilig haben. Laumann bestätigte heute morgen im DLF (Audio 1:12 Std.), dass, wer sich jetzt impfen lassen wolle, den Impfstoff nicht frei wählen könne. Dä.
Der “Geheimtipp” für die, die Impfung jetzt und eilig wollen, ist also, Beziehungen zu einem der mobilen Impfteams zu unterhalten, die mit mehr oder weniger umfangreichen Restbeständen von ihren Einsätzen zurückkehren, und lieber Impfnachfrage befriedigen, als den stark zu kühlenden Stoff “verfallen” zu lassen.
In den Medien reden nun die was-mit-Medien-Nasen inkl. Politiker*innen davon, um die Impfbereitschaft der Pflegenden zu steigern, sei mehr Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit erforderlich. Was für ein Unsinn. Wie wäre es mit ernstnehmen der Beschäftigten (“Held*inn*en”), mit mehr Transparenz von Testergebnissen, tatsächlichen und möglichen Nebenwirkungen? Wenn das Gesundheitsministerium zum Biontech-Impfstoff schreibt “Es gibt nach heutigem Wissensstand aber keine Anzeichen, dass sie die Gene des Menschen beeinflussen”, dann ist das ein Satz, der inhaltlich wackelt und Luft in alle Richtungen hat (Fettschrift vom Autor eingefügt).
Wenn hier also jemand was dazulernen, “aufgeklärt”, werden muss, dann sind es die Aufklärer*innen: wie ist ein Dialog auf Augenhöhe zu führen, mit den “Held*inn*en des Alltags”?
Und wo ich gerade bei verrutschten Massstäben bin: ist Ihnen auch aufgefallen, dass bei der gestrigen Verlängerung/”Verschärfung” des sog. “Lockdowns” vom Profisport nicht die Rede war, den vielen “Vorbildern” der Kinder? Weltreisen inkl.! Warum keine inszenierte Aufregung darüber? Weil die berichtenden Medien damit ihr Geschäft bestreiten.
Antisemitismusstreit
Charlotte Wiedemann/taz nimmt die deutschen Gefechte auseinander und fügt sie wieder zusammen: wie es zivilisiert gehen könnte zu streiten. Die Autorin ist mir gut bekannt. Ich schätze sie sehr.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Karin Knöbelspies

    Noch ein Aspekt zur Impfdebatte bzw. der Impfbereitschaft: Meine 17jährige Tochter kann es nicht fassen, dass ihre über 80jährigen Großeltern und ihre als Altenpflegerin arbeitende Tante sich (zumindest vorerst) nicht impfen lassen wollen. Sie setzte wie viele ihrer Freund*innen alle Hoffnungen auf das Impfen. Ich kann ihre Argumentation und ihren Frust gut nachvollziehen: Ihre Generation verzichtet seit fast einem Jahr auf viele Dinge, die das Leben von Jugendlichen ausmachen und bestimmen. Dazu gehören nicht nur soziale Kontakte, Ausgehen, Sport, Hobbys und Reisen, sondern auch auch eine angemessen Schulsituation (ich musste nie wie sie bis zu 10 Stunden mit Maske in einem wegen des ständigen Lüftens ausgekühlten Schulzimmer hocken), Praktika, Nebenjobs und anderes. Ihre Freund*innen und sie haben die Corona-Maßnahmen aus Überzeugung konsequent befolgt, da sie die Risikogruppen schützen wollten. Und jetzt stellt sie fest, dass ein Teil dieser Risikogruppen sowie ein beträchtlicher Teil der Pflegemitarbeitenden den Schutz durch die Impfung ablehnen. Das ist in ihren Augen unsolidarisch…

  2. Der Maschinist

    @Martin: Michael Hanfeld mag weitgehend recht haben. Doch der Zeitung Bild “Journalismus” zu unterstellen ist eine üble Beleidigung aller Journalist/inn/en deren Seele Mathias Döpfner noch nicht gestohlen hat…

    @Karin: Solidarität können “wir” einfach nicht wirklich gut! Israel zB. fährt sein Impfprogramm wohl verbunden mit knallharter Ausgrenzung bzw. Privilegien für geimpfte Menschen. Das will auch auch nicht haben. Doch gegen den Verlust von Empathie helfen auch keine Impfungen. Und wenn doch, dann wären die wohl verboten. 60-70% Impfquote sollten wohl trotz dieser Leute möglich sein, hoffe ich. Mir stellt sich die Frage nicht. Ich habe eine “alte” Familie. Und da gibt es gleich multiple und signifikante Risikoträger/innen. Da ist Covid für keinen von uns eine Option. Das wäre sofort fatal. Selbst wenn wir es überleben sollten… Grüße an die Tochter… ich kann sie verstehen!

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