Was macht eine Partei stark? Die Zahl ihrer Mitglieder? Ihr Wahlprogramm? Oder ihr Spitzenkandidat? Die Menge der Mitglieder kann es nicht sein. Die SPD zählt mehr als 400.000 und in Umfragen 15 Prozent. Die Grünen haben 300.000 Mitglieder weniger, aber rund fünf Prozentpunkte mehr.

Die rote Laterne

Auch am Wahlprogramm kann es nicht liegen. Die Union hatte als einzige Gruppierung des Bundestages bisher noch kein Programm für die Wahl. Dennoch konnte sie ihre Spitzenposition unter den Parteien in jüngster Zeit deutlich ausbauen. Sie liegt nun acht Prozentpunkte vor den Grünen.

Sind es also die Kanzlerkandidaten, die ihre Parteien stark machen? Unter den drei Bewerbern mit diesem kuriosen Titel trug CDU-Chef Laschet zunächst die rote Laterne. Inzwischen ist er sie losgeworden und an die Spitze gerückt. Durch eigenes Verdienst oder durch Fehler seiner Konkurrenten?

Die grüne Kanzlerkandidatin Baerbock schwächte sich und ihre Partei mit lächerlicher Großspurigkeit. Auch SPD-Kanzlerkandidat Scholz ist von diesem Laster nicht frei. Doch er schafft es bisher nicht, Begeisterung zu erzeugen und seine Partei auf Trab zu bringen. Baerbock und die Grünen versuchen sich zu stützen. Scholz und die SPD halten sich gegenseitig nieder.

Die eigenen Beine

Dagegen können sich Laschet und die Union über den lange ersehnten Auftrieb freuen. Bringen es Kanzlerkandidaten also doch fertig, jene Marge an Wählerstimmen zu gewinnen oder zu vergraulen, die am Wahlabend über den Erfolg und Misserfolg ihrer Partei entscheiden?

Laschet und die Union wären fahrlässig, gingen sie davon aus, dass es mit ihnen nun immer weiter bergauf ginge. Nicht nur im wahren Leben, sondern auch in der Politik schlägt der Auftrieb gelegentlich schnell in Abtrieb um.

Dass Laschets Konkurrenten um die Kanzlerschaft einen derartigen Umschlag bei der Union bewirken könnten, ist ihnen kaum zuzutrauen. Baerbock und Scholz haben offensichtlich schon genug damit zu tun, nicht über die eigenen Beine zu fallen.
Hü und hott
Gefährlich werden Laschet und der Union da schon eher Politiker aus den eigenen Reihen. Ein Finanzierungskonzept für die stark steigenden Rentenkosten hat die Union nicht. Dennoch verlangt der verhinderte CSU-Kanzlerkandidat Söder, die Mütterrente zu erhöhen. Er stößt in der CDU auf Widerstand. Die Union streitet wieder einmal, diesmal über eine politische Seifenblase des CSU-Chefs.

Auch CDU-Gesundheitsminister Spahn sondert pausenlos Luftblasen ab. England verschiebt das Ende des Lockdowns wegen der zunehmenden Delta-Variante. Portugal riegelt ihretwegen die Hauptstadt Lissabon ab. Spahn thematisiert zeitgleich das Ende der Maskenpflicht. Kurz darauf warnt er vor der Delta-Variante, die natürlich auch in Deutschland um sich greift.

Mal sagt Spahn hü, mal sagt er hott. Der Minister redet in einem fort. Er scheint von allen guten Geistern verlassen. Nichts und niemand kann ihn offenbar stoppen. – Sollte die Union während des Wahlkampfs fortfahren, in Spahns Tempo Luftblasen zu produzieren, dürfte sie bald in Seifenlauge versinken und Laschet als Schaumschläger dastehen. Baerbock und Scholz sehen dieser Entwicklung sicher freudig entgegen.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.