(Kapitalistische!) Aufmerksamkeitsökonomie: Glasgow, Meta, Frankreich, “Cancel Culture”, Spiegel & Gates
Sibylle Berg ist darüber schon lange hinweg. Ich übe noch. Aufregung und Ärger zeigen uns, dass wir noch am Leben sind. Besser als anders. Wenn alles egal ist, ist es das (menschliche) Leben auch. Es ist also nicht egal, was die Weltgemeinschaft – organisiert in der UNO – in Glasgow veranstaltet und debattiert. Im Gegenteil. Wenn Ihnen “das alles” zuviel ist, lesen Sie wenigstes Wolfgang Pomrehn/telepolis – der fasst das Wichtigste zusammen.
Nach meinem Gefühl findet dort ein Abwehrkampf der absteigenden Grossmächte, darunter mehrere Atommächte, statt. Solche sind immer besonders gefährlich. Am Ende ist ihnen zuzutrauen, dass sie ihrem Abstieg ins Auge sehend eine kriegerische Konfrontation auslösen. Manche würden das dem Ende des Planeten durch die Klimakatastrophe vielleicht vorziehen. Verantwortliche demokratische Politik muss an die Spitze ihrer Agenda setzen, beides zu verhindern. Nichts ist wichtiger.
Meta
Selbst Metaverse nicht. Ob es nun “kommt” oder nicht. James Muldoon/Jacobin liefert mit Niemand will ins Metaverse – aber es will Dich – Mark Zuckerberg behauptet, sein »Metaversum« wird physische und virtuelle Welten miteinander verschmelzen. Tatsächlich erweitert Meta unsere Realität nicht. Es monetarisiert sie nur.” Eine nach meinem Eindruck wirklich materialistisch-reife kritische Analyse der Zuckerberg-Visionen. Ich bin zu alt, da individuell noch mit zu tun zu kriegen; vielleicht eines Tages im Altersheim, wenn meine Selbstbestimmung eingeschränkt ist. Jüngeren würde ich raten, sich wie Mr. Muldoon genauer und kritischer mit den Gesetzen des Kapitalismus zu beschäftigen.
Frankreich
Der Spiegel berichtet nur hinter Paywall über die rechte Hegemonie in Frankreich, bei der am Ende zwei Rechtsradikale nächstes Jahr in die Stichwahl um das Präsidentenamt gelangen könnten. Den gleichen Inhalt politisch kritischer nuanciert gibt es aber auch frei zugänglich bei Bernhard Schmid/Jungle World. Während Macrons neoliberale Politik dem Tür und Tor geöffnet hat, die linke Opposition sich fortgesetzt – geradezu “saarländisch” – selbst zerlegt, erscheint am Horizont ein reaktionäres mit Stacheldraht eingemauertes Europa (wird die deutsche Ampelkoalition etwa als “gallisches Dorf” reüssieren?), das damit seinen geo- und innovationspolitischen Abstieg beschleunigt (und umso gefährlicher wird, s.o.).
Im Vergleich zu Macron hat sich die nicht weniger neoliberale Angela Merkel eine besondere Ehrung verdient: sie hat nur eine zerstörte CDU hinterlassen, eine Bagatelle geradezu.
“Cancel Culture” – eine sensationalistische Lust des deutschen Feuilletons
“Wenn es Cancel Culture nicht gäbe, hätte das deutsche Feuilleton sie erfinden müssen. Gewissermassen hat es das auch. In der deutschsprachigen Presse ist um diese Schauergeschichten für die Boomerseele ein regelrechtes Ökosystem entstanden.” Das schreibt Adrian Daub in der Schweizer Wochenzeitung. Ich fand das Zitat bei Andrej Reisin/uebermedien, der den Streit um die britische Professorin Kathleen Stock mit weniger Schaum vorm Mund referiert. Die Professorin hat relevante Teile der LGTBQ-Community – zunächst im UK – gegen sich aufgebracht, und deutsche Feuilletons legen fleissig Holz nach, auf dass das Sensatiönchen nicht erlösche. Ich hatte das bisher nicht mit Interesse verfolgt, und habe mich bei Reisin das erste Mal nah ans Feuer getraut.
Spiegel & Gates
Ich weiss nicht, was da dran ist. Schlimm genug, dass ich es für möglich halte. Aufklären kann das nur der Spiegel selbst. Und er könnte sich dabei etwas mehr (qualitative) Mühe geben. Eigentlich kann es mir auch egal sein, weil ich ihn ja sowieso nicht kaufe.
Anders wurde mir, als ich den Quellen der Nachricht nachging, die besagt, der Spiegel habe kürzlich weitere 3 Mio. von der Bill&Melinda-Gates-Foundation empfengen. Diesen Link habe ich den nachdenkseiten entnommen. Die habe ich bereits selbst kritisiert, wie schmerzfrei sie sowohl russische Staatsmedien als auch solche des Springerkonzerns als vermeintlich seriöse Quellen verlinken. Und siehe, der Thomas Röper vom “Anti-Spiegel” arbeitet ebenfalls seit langem von St. Petersburg aus. Einerseits nunja, Edward Snowden lebt gezwungenermassen auch in Moskau. Aber Röper tut es augenscheinlich freiwillig. Bei der Suche nach Informationen über ihn stiess ich erstmals auf eine Seite namens “Psiram”, die den Röper für einen ganz gefährlichen Finger zu halten scheint. Das tut wiederum Wikipedia auch mit Psiram. Könnte irgendein höheres Wesen, das wir verehren mal Hirn vom Himmel schmeissen? Und die Geheimdienste dieser Welt dichtmachen? Oder uns einen James Bond schicken, der das für uns erledigt? Ich hör’ jetzt mal besser damit auf …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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