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Herausragender Journalismus

von Jupp Legrand
Otto Brenner Stiftung zeichnet zum 17. Mal herausragenden Journalismus aus

Pitt von Bebenburg (FR) wird mit dem 1. Preis für seine Aufdeckung eines Polizei und Politskandals ausgezeichnet +++ Die Redaktion von „Monitor“ erhält den „Spezial-Preis“ für die Kontinuität ihrer investigativen Berichterstattungen +++ Auch Newcomer-, Medienprojekt-Preis und Recherche-Stipendien wurden vergeben
Den mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis für kritischen Journalismus 2021 der Otto Brenner Stiftung erhält Pitt von Bebenburg für eine Serie von exklusiven Recherchen, die er seit Juli 2020 in der Frankfurter Rundschau (FR) veröffentlicht hat.
Es war der FR-Redakteur, der die Dimensionen des „NSU 2.0“-Skandals um rechtsextreme Drohschreiben an meist prominente Frauen mit seiner Veröffentlichungsreihe aufgezeigt und nach Auffassung der Jury damit „etwas sehr Beachtliches“ geschaffen hat: Er deckte das Ausmaß der Drohungen auf, die von einem oder mehreren Neo-Nazis per Mail, per Fax, per SMS vor allem an Frauen verschickt wurden, unterzeichnet mit „NSU 2.0“, und recherchierte die damit verbundenen illegalen Datenabfragen bei der Polizei. Seine Artikel in der Frankfurter Rundschau führten dazu, dass personelle Konsequenzen gezogen wurden und sich die hessische Landespolitik und die Polizei zwei Jahre nach den ersten „NSU 2.0“-Drohungen endlich ernsthaft um einen substanziellen Kampf gegen rechtsextreme Umtriebe in den Sicherheitsbehörden bemühten. Nicht zuletzt die Berichterstattung von Pitt von Bebenburg, so die Jury, setzte die Verantwortlichen unter den notwendigen Handlungs-Druck: „Eine journalistische Leistung, die aller Ehren wert ist“. Hinzu kommt, dass ihm aus Sicht der Jury mit seiner intensiven Recherche „ebenso Fulminantes“ gelungen ist: Er habe sich nämlich „Differenzierung bewahrt und die Achtung vor demokratischen Institutionen“. Beides sind Phänomene, „die in unserer Zeit erschreckend rasch schwinden und dabei so wichtig im Kampf gegen rechts sind“, schreibt die Jury inder Begründung.

Der 2. Preis (5.000 Euro) geht an Christian Baars, Oda Lambrecht und Simone Horst gemeinsam mit ihrem Redakteur Lutz Ackermann vom Norddeutschen Rundfunk für die „Panorama – die Reporter“ Dokumentation „Wem gehört der Impfstoff?” (Video 33 min).

Nichts hat die Weltpolitik im Frühjahr 2020 so bewegt wie die Frage, wer wann gegen Covid-19 geimpft wird. Die Impfstoffe seien ein „globales öffentliches Gut”, versprach Kanzlerin Merkel. Doch es kam ganz anders. Wie und warum die lebensrettenden Impfdosen knapp blieben, das hat das NDR-Team früher als alle anderen aufgeklärt. Die Jury schreibt in der Begründung: „Sie trotzten den Widrigkeiten des globalen Lockdowns und befragten kompetente Kronzeugen für das ungeheuerliche Versagen der Regierungen in Europa und den USA“. Die Recherche konnte aufzeigen, dass die Impfstoffe nur dank jahrzehntelanger Forschung an öffentlichen Einrichtungen entwickelt werden konnten, die Pharmakonzerne zudem Milliarden Fördergelder bekamen – die Regierungen dennoch die Patent-Monopole auf die Substanzen nicht infrage stellten. In der Folge wehrten sich die Unternehmen dagegen, ihr Wissen zu teilen. So verhinderten sie, dass andere Firmen die Impfstoffe herstellen – und erzielten selbst Milliarden Gewinne, während im globalen Süden die meisten Menschen weiter auf die Mittel warten und Hunderttausende sterben. Expert*innen erwarten, dass durch diese Verzögerung neue, gefährliche Virusmutationen entstehen können. Die NDR-Journalist*innen, so das Urteil der Jury, „haben rechtzeitig gewarnt: Das ist kritischer Journalismus at it’s best“.
Mit dem 3. Preis (Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro) werden die beiden taz-Journalisten Kersten Augustin und Sebastian Erb ausgezeichnet.
Nach dem Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar fragten sich die beiden Reporter: „Wer schützt eigentlich unser Parlament?“ – und förderten durch ihre Recherchen Erschreckendes zutage. Sie stießen auf Reichsbürger*innen, Corona-Leugner*innen und Rassist*innen in den Reihen der Bunndestagspolizei. Sie fanden heraus, dass es noch viele weitere Personen mit Zugang zum Parlament gibt, die aufgrund ihrer undemokratischen Gesinnung Sicherheitsrisiken darstellen: Pförtner*innen, Mitarbeiter*innen des Besucherdienstes, Security-Personal. Für die Jury zeigt die aufwändige Recherche “Hitlergruß im Reichstag”, wie sich „mitten im Herzen unserer Demokratie rechtsradikales Gedankengut breit macht – und wie wenig das Bundestagspräsidium und die Bundestagsverwaltung als Aufsichtsorgane lange Zeit dagegen unternommen haben“.
Mit dem „Spezial-Preis der Jury“, dotiert mit 10.000 Euro, wird das WDR-Fernseh-Magazin Monitor mit seinem Leiter Georg Restle ausgezeichnet.
Für die Jury steht das Magazin „für penibelste Recherche, für Unabhängigkeit, für Meinungsstärke und für Unbeugsamkeit“. Das Magazin, führt die Jury in der Begründung aus, „verteidige die Demokratie und die Grundrechte mit Sensibilität, mit Sorgfalt und mit Verve“. Georg Restle, der seit fast zehn Jahren das WDR-Politik-Magazin leitet und moderiert, ist für die Jury „ein leidenschaftlicher Journalist, ein kampfeslustiger Demokrat und ein glaubwürdiger Vertreter eines werteorientierten Journalismus“. Sein Team lässt sich nicht einschüchtern, auch dann nicht, wenn es mit Hetze und Hass konfrontiert wird oder Rechtsextremist*innen den Macher*innen gar mit dem Tod drohen. Die Redaktion, so die Jury, „zeigt mit ihrer journalistischen Arbeit, was Pressefreiheit ist und wie Pressefreiheit sein und bleiben muss“.
Den Newcomerpreis, dotiert mit 2.000 Euro, erhält Selina Bettendorf, die auf einer Doppelseite im Tagesspiegel sexuelle Belästigung im Alltag beleuchtet hat.
Aus Sicht der Jury hat sie dafür eine ungewöhnliche Perspektive gewählt: Sie lässt nicht nur Opfer, also die betroffenen Frauen zu Wort kommen, sondern auch Täter. Sechs Männer hat die Preisträgerin dazu bewegen können, ihr eigenes Verhalten kritisch zu reflektieren. „Da wird einige Hartnäckigkeit vonnöten gewesen sein, bevor die Reporterin Bettendorf diese Erfahrungsberichte für uns Leser*innen aufzeichnen durfte“, lobt die Jury. So vervollständige sich das Bild, Fairness geselle sich zur Kritik. Aber Bettendorf hat nach Einschätzung der Jury noch mehr getan: nämlich auf der ersten Seite ihres Dossiers alles verfügbare Wissen zusammengetragen – aus Justiz, Recht und Wissenschaft. Die diesjährige Newcomerin ist für die Jury „eine Journalistin, die ganz genau hinhört, viele Quellen nutzt und so in der Lage ist, eine empirisch gesättigte, doch auch analytisch-reflektierende Problembeschreibung vorzulegen“. Sexuelle Belästigung ist ein übergriffiges Verhalten, das viele Frauen betrifft, psychisch bedrückt und auch physisch in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt. Höchste Zeit, dass sich da etwas ändert – zuallererst bei den Männern, schreibt die Jury über Bettendorfs eigentliche Botschaft.
Im Wettbewerb um die Brenner-Preise zeichnet die Jury auch innovative und wegweisende Medienprojekte mit 2.000 Euro aus.
In diesem Jahr geht der Medienprojektpreis an das Redaktionsteam von „offen un‘ ehrlich“ um Kim Stoppert und Robert Hecklau, das für den Saarländischen Rundfunk und „funk“, das öffentlich-rechtliche Angebot für junge Zielgruppen, die neuesten Instagram-Hypes auseinandernimmt. Immer wieder wird beklagt, dass der Journalismus seine Wächterfunktion in den sozialen Medien viel zu selten wahrnimmt – zum Teil, weil Journalist*innen einfach noch nicht wissen, wie sie das anstellen sollen. Das ausgezeichnete Medienprojekt “offen un’ ehrlich” zeigt, wie es geht, und das mit Bravour, urteilt die Jury. Erst überprüfen die Macher*innen die Produktmaschen und Manipulationsstrategien der Influencer*innen. Dann bereiten sie die Rechercheergebnisse publikumsgerecht auf, und zwar mit der härtesten Währung auf Social Media: mit Humor. Nach Auffassung der Jury gelingt dem Team des kleinen Saarländischen Rundfunks mit “offen un’ ehrlich” die Quadratur des Kreises: „Es nimmt die digitale Welt ernst und ist dabei doch ungeheuer witzig“. Wie nachhaltig dieser Ansatz ist, zeigt sich für die Jury auch darin, dass sich der Kanal schon fünf Jahre im Algorithmenbecken YouTube behauptet und mittlerweile fast eine halbe Million Abonnent*innen hat.
Die Jury hat im Rahmen ihrer diesjährigen Sitzung Ende September auch wieder Recherche-Stipendien vergeben. Zwei Anträge können nach der Entscheidung der Jury umgesetzt werden. Johanna Tirnthal und Timo Stukenberg recherchieren zu „Angriffen auf Obdachlose“ und fragen, wie und warum sich der Hass gegen schutzlose Menschen entlädt, wie sich Obdachlose schützen und was das „über uns als Gesellschaft aussagt“. Sie begeben sich auf die Spur dieser Hasskriminalität – von der „Platte“ und den Betroffenen über die Strafverfolgungsbehörden bis hin zu den Angreifer*innen, die sich in Gerichtssälen für ihre Taten verantworten müssen.
Fabian Federl greift mit seinem Stipendium ein noch wenig beleuchtetes Thema auf. Fischzucht, so die allgemeine Absicht, soll die Meere vor Überfischung retten. Was für Europa funktioniert, führt aber im Senegal zu einem perversen Paradox: Den Menschen fehlt es an Nahrung, weil dort ihr Fisch zu Mehl verarbeitet wird, der an unseren Fisch verfüttert wird. Die Recherche will den Blick auf absurde Verhältnisse in einer globalisierten Welt lenken und zudem eine Geschichte von Ungleichheit, Umweltzerstörung und globaler Wirtschaft erzählen.
Die Preisverleihung fand auf Grund der Corona-Pandemie am 22. November in Berlin in kleinem Kreis nur für die Preisträger*innen und geladene Gäste statt.
Die Otto Brenner Stiftung verleiht den Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus 2021 zum 17. Mal. Prämiert werden journalistische Arbeiten, die das Motto der Ausschreibung „Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ in ihren Beiträgen beispielhaft umgesetzt haben. Aus mehr als 450 Bewerbungen wählte die Jury am 21. September in Frankfurt a. M. die Preisträger*innen in fünf Kategorien aus. Das Preisgeld beträgt 2021 insgesamt 42.000 Euro.
Jurymitglieder 2021 sind die freie Journalistin Brigitte Baetz (u.a. Deutschlandfunk), Nicole Diekmann (ZDF-Hauptstadtstudio Berlin), Prof. Dr. Volker Lilienthal (Universität Hamburg, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus), Henriette Löwisch (Leiterin der Deutschen Journalistenschule in München, DJS), Prof. Dr. Heribert Prantl (Kolumnist und Autor, Süddeutsche Zeitung), Harald Schumann (Mitbegründer Investigative Europe, Redakteur für besondere Aufgaben Der Tagesspiegel) sowie Jörg Hofmann (1. Vorsitzender der IG Metall und OBS-Verwaltungsratsvorsitzender).
Anm. Martin Böttger: Lesen Sie ergänzend auch die Rede von Bernd Gäbler bei der Preisverleihung “Merkel geht, Scholz kommt, die Medien bleiben”, dokumentiert bei den Kolleg*inn*en von bruchstuecke.info. Ich kenne den Autor, seit er Bundesvorsitzender des MSB Spartakus war, schon damals ein exzellenter Redner, seitdem ein erfahrungsgesättigter Experte für Parteien ohne realistisches Selbstbild.

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Ein Kommentar

  1. joha

    Pitt von Bebenburg ist nicht nur ein guter Journalist, sondern wirklich ein feiner und völlig uneitler Kerl. Glückwunsch!

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