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Berliner Dystopie

… und was man dagegen tun kann.

Es scheint so, als ob wir nicht eine Zeitenwende, sondern eine dystopische Vorausschau erleben. Es ist ein bisschen wie in einem Science Fiction Film. Aber wir können das Kino nicht verlassen, wenn der Film zu gruselig ist.
In welchem Zustand befindet sich unsere Zivilisation, wenn der Erfolg einer kriegerischen Aktion an der Zahl der toten Feinde gemessen wird? Nur ein toter Russe, ist ein guter Russe. Das hatten wir schon mal.

Hass und Rachefantasien breiten sich aus. Ein marodierender Mob versetzt in der Silvesternacht die Bundeshauptstadt in Angst und Schrecken. Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten werden mit Pyrotechnik beschossen. Mehr als nur ein kollektives Post-COVID Syndrom.

Eine für die äußere Sicherheit zuständige Ministerin postet zum Jahresende ein Video, das jeglichen realen Bezug zu ihrer Stellung und Aufgabe als Ministerin vermissen lässt. Unbeabsichtigt stellt sie ihre vollkommene Unfähigkeit final unter Beweis. warten auf den Rücktritt, der nicht kommt. Absurdes Theater ist unterhaltsamer.

Politik debattiert über ein Böllerverbot und über eine gescheiterte Integrationspolitik. Sprechblasenkommentare poppen verlässlich auf. Und wieder fällt mir an dieser Stelle eine Textzeile von Simon & Garfunkel ein … The force can’t do a decent job ‘–cause the kids got no respect for the law today – and blah blah blah – Save the life of my child – Bookends Album 1968

Es ist so warm in Mitteleuropa, wie es seit Beginn von Wetteraufzeichnungen noch nie gemessen worden ist. Skilaufen auf Kunstschnee im Grünen. Eine besorgte Mutter sinniert vor laufender Kamera, ob es sich noch lohne, ihre Kinder in den Skikurs zu schicken. Schwimmunterricht bleibt auf jeden Fall sinnvoll, selbst wenn Flüsse und Seen im Sommer auszutrocknen drohen. Der Regen des derzeitigen Schmuddelwetters hat das Grundwasser noch nicht einmal erreicht.

Deutschland hat einer Studie des „Thinktanks Agora Energiewende“ zufolge seine Klimaziele beim CO2-Ausstoß im vergangenen Jahr erneut verfehlt. Zurück zur Normalität nach Corona scheint vor allem zu heißen: Nichts dazu gelernt (Alles außer normal).

Eine Dystopie ist das Gegenteil der Utopie, die von einer guten, schönen friedfertigen und gerechten Zukunft handelt. Es fällt schwer, in dieser Zeit an eine gute, schöne, friedfertige und gerechte Zukunft zu glauben. Was könnte helfen?

Positives Denken, Meditation oder religiös fundierte Zuversicht mögen hilfreiche persönliche Strategien sein, Ohnmachtsgefühle und dystopische Ängste zu überwinden. Praktische Ethik schaut dagegen vor allem darauf, dass das eigene Handeln keine negativen Auswirkungen auf andere Lebewesen hat, sieht den Menschen als soziales Wesen und nicht nur als Individuum. Sie ist mehr noch als die Utopie der Gegenentwurf zur Dystopie.

Die Idee von mehr praktischer Ethik in der Politik läuft also darauf hinaus, nicht nur nach dem Nutzen sondern vor allem nach dem Schaden zu fragen, den es zu vermeiden gilt. So hätte z. B. ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einen messbaren Nutzen für das Klima und würde niemandem schaden, nicht einmal den Aktionären deutscher Automobilkonzerne.

Wenn Politik dieses Prinzip durchgehend anwenden würde, hätten wir eine Chance dystopische Szenarien zu überwinden. Man muss dabei nicht alle Thesen des „Erfinders“ der praktischen Ethik, Peter Singer, übernehmen. Es würde schon reichen anzuerkennen, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist, um manch einem faustischen Irrsinn (Philipp Blom) ein Ende zu bereiten. Das ist doch ein schöner Vorsatz für 2023, der niemandem wirklich schadet.

Über Dr. Hanspeter Knirsch (Gastautor):

Der Autor ist Rechtsanwalt in Emsdetten und ehemaliger Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten. Er gehörte in seiner Funktion als Vorsitzender der Jungdemokraten dem Bundesvorstand der F.D.P. an und war gewähltes Mitglied des Landesvorstands der F.D.P. in NRW bis zu seinem Austritt anlässlich des Koalitionswechsels 1982. Mehr zum Autor lesen sie hier.

Sie können dem Autor auch im Fediverse folgen unter: @hans.peter.knirsch@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. w.nissing

    Wer noch etwas mehr Dystopie braucht, dem empfehle ich die Zeitschrift https://agora42.de/ in der Jan Ausgabe. Mir persönlich hat sie keine Erweiterung des Horizont gebracht, da ich mich mit diesem Thema seit vielen Jahren herum schlage. Das Interview mit Frau Herrmann hat mich aber wieder einen gut Teil mit ihr “versöhnt”. Interessant in diesem Zusammenhang ihr Hinweis auf die Kriegswirtschaft England während WK2 und da frage ich mich warum es dazu keine universitäre und tiefergehende Analyse gibt.
    Mir sind jedenfalls keine solche Papiere bekannt.

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