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Her mit der Klimaschuldenbremse!

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Ampelregierung in den vergangenen Wochen viel Verdruß bereitet. Kein Zweifel: Die reaktionäre Interpretation des Urteils der Verfassungsgerichts durch CDU/CSU, AfD und die Mehrheit der Springer- und Hauptstadtpresse hat einen wesentlichen Punkt ignoriert: Das Bundesverfassungsgericht selbst hat den Klimaschutz in seinem Urteil über die Zukunftschancen der zukünftigen Generationen ganz nach vorn gestellt. Liest man beide Urteile noch einmal nach, bleibt eine klare Priorität:

Klimaschulden gehen vor Haushaltsschulden!

Die wochenlange, zum Teil ins Absurde abdriftende Diskussion um die Schuldenbremse im Grundgesetz hat die Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen Arten von Schulden geschärft. Denn verfallende Schulgebäude, defekte und vor dem Zusammenbruch stehende Brücken, verrottende Gemeindestraßen, zerstörte Bahninfrastruktur, kaputte Spielplätze und Jugendclubs, Hörsäle, in die es hineinregnet, sind auch Schulden, die wir unseren Kindern und Nachfahren hinterlassen. Ob es die Autobahnbrücke der A1 bei Leverkusen oder die Rahmede-Brücke auf der A45 ist, die öffentlichen Haushalte haben schmerzhaft erfahren müssen, dass die neoliberale Austeritätspolitik Merkels und vieler Landesregierungen die Zerstörung der Infrastruktur zugelassen haben.

Auch Infrastrukturschulden sind Haushaltsschulden

Die neoliberalen Zerstörer der Sozialsysteme und Infrastrukturen haben seit 1980 versucht, der Öffentlichkeit in den kapitalistischen Ländern einzureden, dass es billiger sei, die öffentliche Infrastruktur zu privatisieren, um sie überall, wo keine Profite zu erwirtschaften waren, verrotten zu lassen. Nach 40 Jahren dieser Politik hat dies die kapitalistischen Gesellschaften in Milliardendefizite gestürzt, die sich nicht in negativen Kontenständen manifestieren, sondern in allgemeinem Zerfall. Springbrunnen, die trockenliegen, Schwimmbäder, die abrissreif sind, ebenso Brücken, öffentliche Gebäude und Bushaltestellen, Schulen und Hochschulen, sowie Bibliotheken und Rathäuser, aber auch Stadthallen: Rost und bröckelnder Beton.  Marode Versorgungsanlagen ob Wasser, Strom, Heizung  oder Klima, verbogene Schienen, eingefrorene Weichen, schlaglöchrige Straßen, vereinsamte Innenstädte und verslumte Wohngebiete, weil sich bisher keine Kommune getraut hat, Immobilieneigentümer und Konzerne an die Sozialpflichtigkeit von Eigentum in Artikel 14 Grundgesetz zu erinnern und mangels Reaktion von Artikel 15 Grundgesetz Gebrauch zu machen und kriminelle Investmentgesellschaften zu enteignen.

Diese Schulden werden geduldet, obwohl sie unter die Schuldenbremse fallen

Diese Beispiele machen klar, dass die derzeit einseitige Interpretation der Schuldenbremse durch Friedrich Merz und Co. ein absurder Versuch ist, die Austeritätspolitik der Ära Schäuble/Merkel zu verklären und fortzusetzen. Dabei darf gezweifelt werden, ob die Haushaltspolitik von 2010-2020 und die sogenannte “schwarze Null” nichts anderes waren, als ein zufälliges Zusammentreffen von Niedrigzinsen (bis hin zu historisch einmaligen Negativzinsen) einerseits und einer  Konjunktur- und Wirtschaftsaufschwungphase, die dem Staat völlig unerwartete Milliardeneinnahmen bescherte, und dieser, anstatt die marode Infrastruktur zu sanieren, Investitionsverweigerung praktizierte.  Das Ergebnis belastet die Haushalte heute um ein Vielfaches. Die größte ideologische Dummheit dieser Zeit geht allerdings auf Angela Merkel zurück. Ihr Haushaltsvergleich mit der “schwäbischen Hausfrau” ist völlig absurd, denn weder gehen Staatshaushalte in Rente, noch sterben sie – im Gegensatz zur “Hausfrau”. Trotzdem hat sich dieser Unsinn tief ins kollektive Unterbewusstsein der Bevölkerung eingebrannt.

Investitionsverweigerung kostet “nur” ein Vermögen

Diese Form der Schuldenanhäufung wird von der “Schuldenbremse” nicht erfasst, müsste aber allein schon deshalb berücksichtigt werden, weil – Immobilienbesitzende kennen das – nicht reparierte Schäden an der Substanz immer teurer werden, wird nicht rechtzeitig investiert und repariert. Während jedoch solche Schulden lediglich finanzielle Schäden nach sich ziehen, ist das bei Klimaschulden völlig anders. Werden durch unterlassene Klimaschutzmnaßnahmen und CO2 Verminderungen immer mehr Klimaschulden angehäuft, werden nicht nur Kompensationsmaßnahmen immer schwieriger und teurer, sondern durch das Erreichen von “Kipppunkten” irreversibel und vervielfacht den Schaden. Klimaschulden kosten nicht nur Geld, Vermögen und belasten die öffentlichen Haushalte, Unternehmen und private Personen. Ihre Anhäufung kostet Leben. Leben von Menschen, Leben von Arten, die aussterben, Leben von Verunglückten wie an der Ahr und an anderen Orten von Naturkatastrophen. Sie gefährden hunderte Millionen Menschenleben in niedrigen Küstenregionen weltweit und bringen Inseln schon heute zum Versinken. Sie kosten Milliarden Versicherungssummen, die irgendwann nicht mehr aufzubringen sein werden.

Deshalb die Klimaschuldenbremse

Weil nichts zu tun die fortschreitende Klimakrise nur noch teurer werden lässt, bedarf es dringend einer Klimaschuldenbremse. Wenn sie durch die Politik nicht selbst eingerichtet wird, muss sie – zunächst in Deutschland – verfassungsrechtlich erklagt werden. Die Voraussetzungen dafür stehen gar nicht schlecht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Klimaurteil deutlich gemacht, dass eine vorsorgende, die Klimakrise mit allen möglichen Mitteln abmildernde oder verzögernde Politik verfassungrechtlich zum Schutz der jungen und heranwachsenden Generationen geboten ist. Und dieses Gebot geht weit über die Haushaltsschuldenbremse hinaus. Sollten Bundestag und Bundesrat dem nicht Rechnung tragen, werden dies Umweltverbände erklagen können. Für die Ampelkoalition droht dann die nächste Blamage. Die Idee ist nicht von mir, sondern von einem Experten, der die meisten Schummel-Softwareeinbauer erwischt hat, dem wir alle eine Reduzierung der Feinstaubbelastung in den Städten zu verdanken haben und mit dem ich schon 2001 die Ehre hatte, in der letzten Reihe des DaimlerChrysler “Environmental Forum Magdeburg” gegen die kurz darauf gescheiterten Agrardiesel-Pläne mit Jathropha in Indien zu randalieren: Dr. Axel Friedrich heisst der Freund, der nicht aufhört, unbequem zu sein und erfolgreich weiter zu kämpfen. Mach weiter so! Schöne Weihnachten, lieber Axel – und allen Leserinnen und Lesern auch!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Detlef Wilske

    Sie schreiben über den absurden Haushaltsvergleich mit der “schwäbischen Hausfrau”. Noch viel absurder wird dieser Vergleich, da die “schwäbische Hausfrau” ja nur deshalb Hausfrau sein kann, weil sie – meist mit einem Mann – verheiratet ist. Der ist bekanntermaßen ein “Häuslebauer”. Um sein Häusle zu bauen, muss er aber einen Kredit aufnehmen, also Schulden machen.

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