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Setzen, sechs!

Das Bundesverfassungsgericht und der*die Gesetzgeber*in

mit Update 16.11.

Ist das Bundesverfassungsgericht jetzt gegen Klimaschutz? Ich bin kein Jurist. Deren Denkwelt ist mir mental fremd. Aber vorzeitiges Gegreine auch. Hier zunächst der Wortlaut der Veröffentlichung des Gerichts. Hier eine aktuelle Bewertung in der in der Regel sachkundigen DLF-Sendung “Umwelt und Verbraucher” (Audio 6 min., Leitung: Georg Ehring, ein guter, starker Journalist). In der Aussenwirkung sieht alles wie ein Widerspruch zum historisch harten Urteil von 2021 aus. Doch dieser Schluss ist vorschnell.

Vielmehr lese ich als Laie in dem Urteil eine fundamentale Klatsche für die “Qualität” der Gesetzgebung. Die obliegt verfassungsgemäss dem Bundestag. Zwar sind die Jurist*inn*en im Bundestag mit 147 um ein Vielfaches überrepräsentiert. Aber vielleicht sind viele von ihnen ja deswegen Abgeordnete geworden, weil sie es in ihrem erlernten Fach nicht weit hätten bringen können. Diese Weltsicht denen in Karlsruhe zu unterstellen, dürfte nicht sehr gewagt sein.

Tatsächlich schreiben ja auch nicht die Jurist*inn*en unter den MdBs die Gesetze selbst – sie korrigieren sie im besten Falle – sondern die in den Fachministerien. Das sind die Häuser der Herren Lindner und Habeck. Und die tanzen ihren begrenzt kompetenten Chefs mit Vorliebe auf der Nase herum – insbesondere so, dass die Chefs es erst merken, wenn es, wie jetzt, zu spät ist.

Ich will jetzt gar nicht so weit spekulieren, dass Lindner und seinen Freunden im Fossilkapital derartige Sabotage am Klimaschutz am Ende ganz recht ist. “Wir” dürfen die Intelligenz derer in Berlin, selbst wenn sie mit derartiger Bösartigkeit gepaart sein soll, nicht so masslos überschätzen. Am Anfang steht die Blamage in Karlsruhe. Die führt auch beim Bundesfinanzminister zu schweren Verlusten in der Disziplin Ernstgenommen-werden. Herr Lindner ist intelligent und eitel genug, das einerseits zu wissen und zum zweiten nicht geniessen zu können.

“Sondervermögen” – ohne Kredit der Verfassung

Es hat sowieso merkwürdig lang gedauert, bis der von den meisten Ahnungslosen gefeierte “Kunstgriff Sondervermögen” vor die Wand der Verfassung gefahren ist. Das Gericht hat diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Dass die Klimaschutzpolitik nun darunter leiden muss – das ist bei dieser Regierung (und erst recht anderen möglichen) gewiss zu erwarten. Sie wird ihrerseits diese “Gelegenheit” nicht verstreichen lassen, und sich mit ihrem klimapolitischen Totalausfall nun hinter dem Gericht verschanzen.

Wie sähe eine solche juristische Konstellation beim Sondervermögen Aufrüstung aus? Das darf spekuliert werden. Ich unterstelle: die CDU/CSU wird dagegen gewiss nicht klagen. Die Linke ist schon weg. Wie praktisch doch alles eingerichtet ist …

Update 16.11.

Und die nächste Blamage vor dem Verfassungsgericht ist schon in Vorbereitung: Ingo Dachwirt/netzpolitik: Gescheiterte Presseförderung: Chronologie einer Geisterfahrt – Als die Große Koalition der Presse unter die Arme greifen wollte, stolperte sie von einem Problem zum nächsten. Wir veröffentlichen Akten, die zeigen: Sie war von Anfang an ohne Ziel und Plan, aber getrieben von Mathias Döpfner und der Lobby der Verlage. Die Ampel könnte nun die gleichen Fehler wiederholen.”

Bevölkerung weit weniger dumm, als die, die sie dafür halten

Ausgerechnet ein fetter Versicherungskonzern hat bei der Marktforschung eine Untersuchung bestellt, vor was sich die Bundesbürger*innen (sowie die anderer Länder) am meisten fürchten. Zu meiner eigenen Überraschung finde ich mich überwiegend in der Mehrheit wieder. Claudia Wangerin/telepolis berichtet darüber: Future Risks Report: Die größten Zukunftsängste der Deutschen – Klimakatastrophe und soziale Spannungen führen Ranking an. Warum es ein Versicherungskonzern erstellen lässt – und was Befragte selbst tun wollen.” Und hier gehts zur Originalveröffentlichung.

Wie viele der Befragten noch Wählen gehen, in wen oder was sie gar Hoffnung setzen, wurde offensichtlich nicht gefragt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Heiner Jüttner

    Die Ampelkoalition ist in einer fast ausweglosen Lage:
    – eine Abschaffung der Schuldenbremse scheitert an der CDU.
    – Steuerhöhungen und Abbau von Subventionen (Dienstwagenprivileg) blockiert an der FDP.
    – Einsparungen im Verteidigungsetat verhindert die Weltlage.
    Also wird man wohl um Kürzungen im sozialen und ökologischen Bereich nicht herumkommen – da macht die FDP mit.

    Dem Bundesverfassungsgericht darf man keine Schuld geben. Seine Entscheidung war zu erwarten, das hat sogar der extradienst vorausgesehen (Schuldenbremse aushebeln vom 16.1.2021).

    Auch mit der Schuldenbremse hat sich der extradienst bereits befasst und kaum ein gutes Haar an ihr gelassen (“Ausgebremst” vom 28.11.2021). Ersten hat man sie leichtfertig ins Grundgesetz gepackt und damit fast unantastbar gemacht. Zweitens ist spätestens jetzt klar, dass sie die Handlungsfähigkeit und die Zukunftsvorge der Regierung stark einschränkt. Drittens hat die Schuldenbremse nur deswegen 10 Jahre lang funktioniert, weil dies eine Phase extrem niedriger Zinsen und hohen Wachstums war. Heute trifft beides ncht mehr zu.

    • Martin Böttger

      Danke, Lieber Heiner. In der Tat hast Du für die nötige Vorbildung gesorgt, mit der jede*r das hätte kommen sehen können. Aber wer in der Hauptstadt liest noch?

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