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25.000 Tote

25.000 Tote in Gaza: Annalena Baerbock sollte genau hinsehen – Das Leid der Zivilisten in Gaza ist riesig. Unsere Autorin fragt: Was meint unsere Außenministerin, wenn sie von menschenrechtsorientierter Außenpolitik spricht?

Suheila, meine geliebte Tante, war die älteste Schwester meines Vaters. Sie lebte mit ihrer Familie in Sheikh Radwan, einem Stadtteil in der Mitte des Gazastreifens. Sie lebte mit ihren Söhnen, deren Frauen und Kindern in einem großen Mehrfamilienhaus.

Ich erinnere mich, als ich klein war und bei ihr war, hat sie mir und meinen kleinen Geschwistern vorgelesen, auf ihrem Tisch stand immer Knafeh, ein palästinensischer Kuchen. Ihre Kinder, die deutlich älter waren als wir, spielten mit uns draußen oder wir gingen alle zusammen zum Strand. Seit dem 21. November 2023 weiß ich, ich werde sie nie wieder sehen. Denn Israel bombardierte ihr Haus und tötete fast die ganze Familie.

Einzig ein Sohn überlebte. Mein Cousin wurde durch den Einschlag der Bombe aus dem Haus geworfen, er brach sich etliche Knochen, doch er überlebte und musste mit ansehen, wie seine Frau und Kinder durch die Bombe getötet wurden, die ihn schwer verletzt alleine ließ. Er wartet seit dem 21. November auf die Möglichkeit einer Operation, die die Reste seiner Beine rettet. Er wird nie wieder richtig laufen können, doch immerhin lebt er.

Sein Schicksal teilen viele in Gaza. Nach Angaben der WHO werden in Gaza zahlreiche Amputationen vorgenommen, obwohl die Gliedmaßen unter anderen Umständen gerettet werden könnten, doch es fehlt an Krankenhäusern, medizinischer Ausrüstung und Strom. „Ich habe noch nie so viele Amputierte gesehen, auch viele Kinder“, sagte Rik Peeperkorn, Vertreter der WHO für das Westjordanland und den Gazastreifen.

Die Leiche meiner Tante Suheila konnte bis heute nicht geborgen werden. Seit mehr als 50 Tagen liegt sie unter den Trümmern, eine Beerdigung ist nicht möglich, ebenso wie bei Tausenden anderen Opfern in Gaza, deren Leichen nicht geborgen werden können, weil es an Mitteln fehlt und Israels Bomben weiter fallen. Ich hätte gerne Abschied genommen von Suheila, von meinen Cousins, ihren Frauen und ihren Kindern. Ich wünschte, ich hätte Gaza noch einmal besuchen können, bevor es dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ich wünschte, ich wüsste, wo meine Familienmitglieder sind, von denen ich seit Wochen nichts höre, und ich bete dafür, dass sie noch leben.

Mein Leid ist kein Einzelfall, ich kenne niemanden aus Gaza, der keine Toten in seiner Familie hat. Doch unser Leid wird hier in Deutschland ignoriert. Die Bundesregierung beklagt zu Recht die israelischen Toten und trauert um sie. Doch warum trauert niemand um meine Tante Suheila, warum hilft niemand meinem Cousin, damit er eine Operation bekommt, warum stoppt niemand die Bomben, damit wir nach meinem kleinen Cousin Fuad suchen können, der seit der Bombardierung des Hauses seiner Eltern in Dschabalija verschwunden ist?

Liebe Annalena Baerbock, unser Leben ist nicht weniger wert!

Ich erwarte nicht, dass sich die deutsche Politik auf die Seite der Palästinenser stellt, ich erwarte nur, dass sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird und sich für Menschenrechte einsetzt. Frau Baerbock redet von feministischer und menschenrechtsorientierter Außenpolitik, wenn sie es ernst meint, dann müsste sie sich starkmachen für ein Ende der Gewalt im Nahen Osten. Denn nicht nur die 1200 Toten in Israel sind 1200 Tote zu viel, auch die 25.000 Toten in Gaza sind 25.000 zu viel.

Unser Leben ist nicht weniger wert. Eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik würde Leben gleichbehandeln. Sie würde einen Waffenstillstand fordern, sich für die Freilassung der Geiseln einsetzen und dafür sorgen, dass die Verletzten in Gaza behandelt werden und die Blockade beendet wird.

Die Autorin ist Studentin des Chemieingenieurwesens und hat Familie in Gaza. Sie lebt in Münster. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Über Iman Abu El Qosam / Berliner Zeitung:

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Ein Kommentar

  1. A.Holberg

    Dass Frau Baerbock dumm ist und ihre eigene Propaganda von der menschenrechtsorientierte feministischen Außenpoliti glaubt, glaube wiederum ich nicht. Sie zielt aber auf die Leichtgläubigkeit ihres Wählerpotentials ab, und da befürchte ich nach den jügsten “antifaschistischen” Massendenonstrationen, bei denen insbesondere Anhänger der Parteien, die die AfD durch ihre Politik erst starkmachen , dass Frau Baerbock da bzgl. des “links”- liberalen Spektrums einen guten Riecher hat.

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