Auch eine Buchbesprechung

Pazifismus ist aus der Mode gekommen. Schwerter zu Pflugscharen, das war einmal. Rüstungsunternehmen sind die neuen Lieblinge der Börse. Die Außenministerin führt verbal Krieg gegen Russland und die neue liberale Speerspitze in Europa fordert eine europäische Armee. Die vom deutschen Bundeskanzler ausgerufene sog. Zeitenwende nimmt mit dem auf Kredit aufgenommenen Sondervermögen (in Wahrheit Sonderschulden) von 100 Milliarden Euro Fahrt auf. Von den deutschen Friedensforschungsinstituten ist wenig zu hören. Die Arbeit der Goethe Institute im Ausland wird zusammengestrichen. Die für auswärtige Kulturpolitik zuständige Ministerin übt sich lieber in Kriegsrhetorik statt in Friedensdiplomatie.

Seit dem Überfall russischer Truppen auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist die Welt in Europa nicht mehr in Ordnung. Putins mörderischer und völkerrechtswidriger Tabubruch hat schmerzhaft das Fehlen einer belastbaren europäischen Friedensordnung nach dem Kollaps der Sowjetunion vor Augen geführt.

Der deutsche Verteidigungsminister spricht davon, Deutschland müsse wieder kriegstüchtig werden. Die Militarisierung der Sprache bleibt ohne Gegenwehr. Die sog. Zivilklausel, wonach Forschungsförderung an zivile Zwecke gebunden ist, steht zur Disposition.

In gleichem Maße, wie der Pazifismus bedeutungsloser geworden ist, ist die 1949 von den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada gegründete NATO beliebter geworden. Zahlreiche ehemalige Warschauer Pakt Staaten gehören heute dazu, unter ihnen Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, die Staaten der ehemaligen Tschechoslowakei. Sämtliche skandinavischen und baltischen Länder sind ebenso dabei wie die Türkei und mehrere Balkanstaaten. Deutschland, genauer gesagt, die Bundesrepublik Deutschland, ist der NATO bereits am 6. Mai 1955 beigetreten. Kurze Zeit später wurde die damalige DDR Mitglied des Warschauer Pakts. Schaut man sich die heutige Situation auf der Landkarte an, kann man ein gewisses Verständnis dafür entwickeln, dass Russland sich zunehmend eingekreist fühlt. Putins starke Stellung im eigenen Land dürfte auch daraus resultieren. Keine Frage, in Europa ist nicht nur der kalte Krieg zurück, sondern seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ab Februar 2022 auch der heiße mit allem, was dazu gehört.

In dieser, scheinbar immer auswegloser gewordenen Situation legt der Journalist (taz) und Autor Pascal Beucker in den Kohlhammer Trilogien (Hrsg. Jörg Armbruster) „Von Krieg und Frieden“ ein höchst aktuelles Buch vor, dem man weite Verbreitung wünscht, weil es sich engagiert und fundiert mit den Ursprüngen, der Geschichte und den verschiedenen Spielarten des Pazifismus als Gegensatz zum Militarismus auseinandersetzt und damit neue Blickwinkel darauf eröffnet, was eine europäische Friedensordnung leisten muss.

Der Autor macht es nicht einfach

Sind Pazifisten nur blauäugige Träumer oder arme Irre, die den Realitäten nicht ins Gesicht schauen wollen? Der engagierte Autor, selbst anerkannter Kriegsdienstverweigerer, macht es sich und seinen Leserinnen und Lesern nicht einfach mit seinen Antworten auf die Frage, ob Pazifismus ein Irrweg ist.

Dazu lässt der Autor zunächst in gut verständlicher Form die Geschichte des Pazifismus von den Anfängen im Rahmen der bürgerlich-liberalen Emanzipationsbewegung in Europa, hier vor allem in Frankreich, und den USA und der der Weltfriedenskonferenz im September 1901 bis heute Revue passieren.

Das Kapitel „Absoluter versus konditionaler Pazifismus“ erscheint besonders aktuell, weil es hinführt zu der Frage, ob Gewaltanwendung überhaupt und wenn ja, und mit welchen Mitteln unter bestimmten Voraussetzungen doch zu rechtfertigen ist. An dieser Stelle führt Beucker eine Art Übermaßverbot in die Kontroverse ein. Unter keinen Umständen wäre danach der Einsatz von Giftgas, Streubomben und ähnlichen international geächteten Waffen zu rechtfertigen. Einen zweckrationalen Umgang mit Krieg will er damit jedoch keinesfalls legitimieren.

Die ideengeschichtlichen Ausführungen zu Kant (Zum ewigen Frieden), den sog. Friedenskirchen (u. a. die Mennoniten und die Quäker), Tolstoi, Ghandi und Martin Luther King sind absolut lesenswert ebenso wie die Auseinandersetzung mit Rosa Luxemburg und der Militarismuskritik von Karl Liebknecht, der als einziger Abgeordneter im Reichstag gegen die Kriegskredite stimmte. Sein Ausschluss aus der SPD-Fraktion folgte im Jahr 1916, was letztlich zur Spaltung der SPD und der Gründung der KPD führte.

Ein eigenes Kapitel widmet Beucker Bertha von Suttner, die er wohl nicht zu Unrecht als die Grand Dame des Pazifismus bezeichnet. Sie starb wenige Tage vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Beucker bezeichnet den 1. Weltkrieg mit 17 Millionen Toten als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. In Frankreich wird dem 1. Weltkrieg dementsprechend bis heute eine weitaus größere Bedeutung zugeschrieben als in Deutschland. La Grande Guerre ist in jedem Dorf mit eigenen gut gepflegten Denkmälern, auf denen die Opfer (nicht die Helden) des Dorfes namentlich aufgeführt sind, präsent.

3.400 Bundeswehr-Tote – 119 im Auslandseinsatz

Auch die jüngere Vergangenheit spart Beucker in seinem Buch nicht aus. Er erinnert daran, dass Schritt für Schritt das Einsatzfeld der bereits 1956 gegründeten Bundeswehr ausgeweitet wurde. Er erinnert an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994, mit der bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr mit Parlamentsvorbehalt gebilligt wurden. „Mehr als 3.400 Bundeswehrangehörige sind seit der Gründung der Bundeswehr 1955 in Ausübung ihres Dienstes ums Leben gekommen, 119 von ihnen starben im Auslandseinsatz oder in anerkannten Missionen“, wie es auf der Homepage der Bundeswehr heißt. Krieg ist kein Ponyhof, selbst wenn man nicht selbst direkt Kriegspartei ist.

Dem Krieg in der Ukraine und dem Umgang damit in der deutschen Politik widmet Beucker seine abschließenden Kapitel. Er stellt die Frage, ob dieser Krieg mitten in Europa eine Zeitenwende für den deutschen Pazifismus darstellt. Leicht resignierend stellt er fest, dass die deutliche Aufstockung der bundesdeutschen Rüstungsausgaben im Sinne der von Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende jedenfalls nicht zu einem neuen Aufschwung der Friedensbewegung geführt hat. Beucker erinnert ein wenig wehmütig an Antje Vollmers „Vermächtnis einer Pazifistin“, das sie noch kurz vor ihrem Tod Ende Februar 2023 veröffentlicht hat.

Bereits 1982, also drei Jahre nach dem sog. Nato-Doppelbeschluss und dem Scheitern der Friedensbewegung dagegen hatte der Schlagersänger Hans Hartz es mit seinem Lied „Die weißen Tauben sind müde“ bis in die ZDF-Hitparade gebracht. Der Text ist erschreckend aktuell. Auch heute sind mehr Falken als Friedenstauben unterwegs.

Nicht nur in dem Schlusskapitel ist Beuckers persönliches Dilemma deutlich zu spüren, das er wohl mit den meisten Pazifisten teilt, einerseits Krieg und Militarismus abzulehnen und gleichwohl die moralische Berechtigung anzuerkennen, sich zu wehren und anderen bei der Abwehr militärischer Gewalt zu helfen. Aber ob Moral bei der Suche nach friedlichen Konfliktlösungen ein guter Ratgeber ist, kann bezweifelt werden.

Das „nur“ 178 Seiten umfassende, spannend geschriebene Buch bietet jede Menge Stoff für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema in unserer Zeit. Die „Chronologie des Pazifismus und der Friedensbewegung“ am Ende des Buches macht es auch als Nachschlagewerk wertvoll. Zur Vertiefung eignet sich das Literaturverzeichnis am Schluss des Buches. Gesamtprädikat: Absolut empfehlenswert.

Pascal Beucker, Pazifismus – Ein Irrweg?, Kohlhammer Sachbuch, Stuttgart 2024, 19,00 EUR

Über Dr. Hanspeter Knirsch (Gastautor):

Der Autor ist Rechtsanwalt in Emsdetten und ehemaliger Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten. Er gehörte in seiner Funktion als Vorsitzender der Jungdemokraten dem Bundesvorstand der F.D.P. an und war gewähltes Mitglied des Landesvorstands der F.D.P. in NRW bis zu seinem Austritt anlässlich des Koalitionswechsels 1982. Mehr zum Autor lesen sie hier.

Sie können dem Autor auch im Fediverse folgen unter: @hans.peter.knirsch@extradienst.net