Das Zentrum dieses Krieges ist maximal weit von Europa weg
Der Pornoindustrie wird eine vielseitige Avantgardefunktion zugeordnet. Das betrifft technische “Killerapplikationen” – wenn sie sich hier nicht durchsetzen, dann nirgends – aber auch gesellschaftlich untergründige Strömungen, die sich hier austoben, weil sie öffentlich nicht propagiert werden können/sollen. Im bisherigen Verlauf ist sie ferner zu 90% männlich dominiert, auch wenn die Frauen aufholen und um Emanzipation kämpfen. Diversität und Gendervielfalt werden regelrecht gepflegt, rassistische und andere Klischees aber nicht bekämpft, sondern reproduziert. Ökonomisch ist es ein Feld mit fliessender Verbindung zu Kriminalitäten aller Art, Wirtschaft, Geldwäsche, Organisierte Kriminalität, Menschenhandel (Epstein u.a.) u.v.m.
Wie so vieles lag das Zentrum der Produktion dieser Branche lange in San Francisco/Kalifornien. Das hat sich weiter nach Osten verschoben. Der Massenmarkt liegt in Asien. Das liegt an der schlichten Zahl der potenziellen Konsument*inn*en, an ihrer hohen Technikaffinität. Und was Porno betrifft, einer weit verbreiteten Bigotterie als fruchtbarer Boden für das heimliche Ausleben verbotener Lüste und Süchte. Die grösste Freude der japanischen Pornoindustrie dürfte der unerschöpfliche chinesische Markt sein. Wo hierarchische Gewalt gesellschaftliche Praxis ist, gilt das erst recht für sexuelle Gewalt und damit verbundene Fantasien. Schöner kann sich die Pornoindustrie ihre Märkte nicht denken.
In der deutschsprachigen Publizistik fällt mir bisher nur Sebastian Meineck/netzpolitik als kompetenter Autor auf. Sein Berichterstattungsradius erstreckt sich jedoch leider nicht über Mitteleuropa und Nordamerika hinaus. All die anderen Supderduper-Investigativ-Netzwerke, die in erster Linie PR-Lärm um sich selbst machen, lassen die Finger davon. Und wenn sie das Thema überhaupt berühren, weil Sex sells, dann ist es in der Regel von ökonomischer und technischer Fachkenntnis (Ausnahme gelegentlich: heise-online, aber dann hinter Paywall) ungetrübt.
So haben sie bisher alle diesen wirtschaftskriegerischen Akt übersehen
Eine Pornoseite mit dem Titel “missav” – nie gehört? – hat es weltweit unter die Top60 im globalen Internet gebracht, in Japan Top15. Angeblich 300 Mio. Besucher*innen im Monat, Milliarden jährlich. Sie wurde nun geschlossen, Und hierdurch ersetzt. Der Vorgang erinnert an die Kämpfe deutscher Medienanstalten gegen die europäischen Windmühlenflügel der Pornoindustrie. Wirkungslos, aber ein Hinweis, dass es sie noch gibt (die Medienanstalten).
Die inkriminierte japanische Seite erschien nach dieser “confiscation” übergangslos mit dem Adresskürzel von Samoa (kleiner als Bonn, aber grösser als Beuel), bisher nicht als terroristische Achse des Bösen hervorgetreten, sondern Mitglied des ehrwürdigen Commonwealth, insofern den EU-Mitgliedern Zypern oder Malta vergleichbar, die gerne als Unternehmenssitz europäischer Steuervermeider*innen zur Verfügung stehen (oder auch die Niederlande).
Warum ist sie so erfolgreich? Die japanischen Pornoproduzenten führen nicht gegen jede Seite Krieg. Mitunter betreiben sie sie zu Marketingzwecken selbst. Diese Seiten sind in der Regel mit Popups und automatischen Weiterleitungen so zutapeziert, dass sie für die Motorik weisser alter Männer unbrauchbar sind. Brauchbar ist diese Vorgehensweise für Datendiebstähle und Cookie-Platzierungen aller Art – das eigentliche Kapital der Internetökonomie. Alphabet/Google weiss sowieso alles über Sie, mehr als Sie selbst. So machen es auch asiatische Pornoseiten, nur dass ihre Kunden noch leidensfähiger sind. Die verfolgte und nach Samoa geflohene Piratenseite ist deswegen bei der Kundschaft so erfolgreich, weil sie bei der Quälerei durch Werbung zurückhaltender ist, als, nur mal so als Beispiel, die deutsche Regionalpresse. Die gesamte japanische Pornoproduktion wird dort enzyklopädisch abgebildet, und die bisweilen 3-4 Stunden langen Produkte werden noch nicht einmal von Werbung unterbrochen. Daten gesammelt werden natürlich trotzdem – nichts ist umsonst.
Die Pest Symbolismus
Der Kampf gegen Porno ist sinnlos. Er dient lediglich der Selbstprofilierung und überhaupt Bekanntmachung und Existenzsicherung derer, die Lärm um sich verbreiten.
Was Anderes wäre der Arbeits- und Gesundheitsschutz der mutmasslich Millionen Menschen, die in dieser Branche weltweit arbeiten. Politik müsste sich mit der Wirklichkeit beschäftigen, statt propagandistisch gegen Symptome und Erscheinungsformen zu kämpfen. Emanzipatorische Ansätze von Sex- und Pornoarbeiter*inne*n benötigen Schutz und Unterstützung (nicht zuletzt übrigens ausländerrechtlich!). Und Konsument*inn*en ebenso. Sie bräuchten Daten- und Verbraucherschutz, wie in jeder anderen Branche auch. Derzeit läuft alles wie bei illegalisierten Drogen: Extraprofite für die Paten der Unterwelt, Rechtlosigkeit für alle andern.
Bei Al Capone war es nicht der Alkohol, über den er stürzte, sondern das Steuerrecht. Eine Sache für die Bürgerbewegung Finanzwende?
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