(Luca-App II)
Dies war der Buchtitel eines Kritikers der IT-Gläubigkeit 1986. Prof. Theodore Roszak war wie Josef Weizenbaum einer der führenden Informatiker am MIT, der sehr früh erkannte, dass die Gesellschaft dazu tendiert, ihre Unzulänglichkeiten auf eine neue Technik zu projizieren, die man eigentlich nicht so recht versteht. War die Atomkraft nach der Erfindung der Atombombe in den 50er Jahren eine heilsbringende Macht, deren Strahlen gar Heilwirkung zugemessen wurde (was bei Krebstherapien sogar im Einzelfall zutraf), steht die IT ja schon lange im heilsbringenden Ruf, für nahezu jedes Problem eine Lösung zu bieten. Erst die Corona-APP, nun die “Luca-App” – während Impfungen stocken und im Desorganisationschaos versinken, kommen nun bei diesem von massiven Vermarktungsinteressen getriebenen Projekt jeden Tag neue Sicherheits- und Datenschutzlücken zutage.
Mother’s little helper in der Krise?
Waren es zunächst die Sicherheitslücken der APP selbst, sind es nun die Schlüsselanhänger, die mit einem dauerhaften QR-Code versehen, vor allem denjenigen Menschen, die kein Smartphone besitzen, die Teilnahme an der elektronischen Registrierung ihrer personenbezogenen Daten in Geschäften und Restaurants ermöglichen sollte. Vierzehntausend dieser QR-Codes sind derzeit in Umlauf. Nun gelang es einem Team mit relativ geringfügigen Mitteln, die registrierten Daten eben dieser festen QR-Codes zu knacken und bis zu 30 Tage Bewegungsbilder und Nutzungsprofile der User zu erstellen und zu entschlüsseln.
Auch die APP selbst hat weiterhin ihre Schwächen. So erklärt etwa Chris Köver, auf netzpolitik.org, dass sich die zentrale Speicherung genau als das zentrale Problem der Luca-App herausgestellt habe. Zudem sei auch nicht garantiert, dass über die Freigabe seiner Daten wirklich in jedem Fall nur der/die Betroffene entscheiden könne, heißt es in einem schon Ende März veröffentlichten Sicherheitsbericht von Carmela Troncoso, Mitglied eines Forscher*innenteams der Universität EPFL in Lausanne . Martin Böttger hat an anderer Stelle bereits auf die kommerziellen Verwicklungen und Verflechungen hinter der Luca-APP hingewiesen.
Es ist erstaunlich, wie es angesichts der Pandemie-Probleme gelungen ist, durch eine massive Werbekampagne mit prominenten, scheinbar kompetenten Fürsprechern immerhin eine erkleckliche Anzahl von Bundesländern zu veranlassen, inzwischen etwa 20 Millionen € aus öffentlichen Mitteln für Lizenzen zur Nutzung einer APP auszugeben, die massive Sicherheitslücken aufweist, anstatt die “Corona-APP”, mit der man über eine datensichere Basis verfügt, sinnvoll nachzurüsten und vor allem auf der anderen Seite die Hard- und Softwaresysteme der Gesundheitsämter so aufeinander abzustimmen und kompatibel zu machen, dass es zu den seit nun über einem Jahr gewohnten Einschränkungen der Validität von Corona-Daten übers Wochenende nicht mehr kommt.
Für alles ‘ne APP
Was hat das alles mit dem “Verlust des Denkens” zu tun? Roszak zeigt, dass schon in den 80er Jahren erkennbar wurde, dass sowohl Konsument*innen wie Politiker*innen und Entscheider*innen der Wirtschaft dazu neigten, die mittels Computern vermittelten und zusammengefassten und durch Algorithmen abgebildeten Wirklichkeiten, die eigentlich nur eine andere Beschreibung der Probleme sind, bereits für die Lösungen zu halten. Dies machte sich schon damals die IT-Branche zunutze. Vereinfacht könnte man heute – Roszak kannte noch keine Smartphones – sagen: Für jeden Scheiß und jedes Problem gibt es eine APP, die ihren Nutzer*innen vorgaukelt, ein Problem zu lösen, in Wirklichkeit aber nur zwei Ziele verfolgt: entweder am Kauf der APP direkt zu verdienen oder indirekt an den Daten, die sie über die Nutzer*innen sammelt. Die Verinnerlichung eines solchen Vorgangs, der den Nutzer*innen abgewöhnt, darüber nachzudenken, was der wirkliche Nutzen einer Anwendung (Applikation, kurz: APP) und wer ihre Profiteure sind, konnte (a)soziale Netzwerke erst so erfolgreich machen.
Wer erkennt schon heute noch auf Anhieb, dass es sich bei “Facebook” um eine Werbeagentur handelt, die eine scheinbar kostenlose Kommunikationsplattform betreibt, um möglichst viele Informationen, wie Verhaltensdaten, Bewegungsprofile, Interessen, politische Ansichten, sexuelle Orientierung, Konsumgewohnheiten, usw. über ihre Nutzer*innen zu sammeln, um sie zielgerichtet mit Werbung zu bombardieren? Und sie im Bedarfsfall auch der NSA zur Verfügung zu stellen? Selbst viele politisch kritische und bürgerrechtlich denkende Menschen hängen dem Irrglauben an, ihr persönlicher Informationswert in einer geschlossene Gruppe von Facebook übersteige den kommerziellen Nutzen, den die Datenkrake aus ihren Profilen zieht. Dass mit Google und Facebook, Instagram und Twitter und ihrer Vormachtstellung auf dem Werbemarkt inzwischen die 4. Gewalt, eine unabhängige Presse und finanzierbarer Journalismus als Voraussetzung der Demokratie ernsthaft gefährdet ist, – der Zusammenhang fällt den wenigsten auf.
Ausbeuter gerieren sich als Wohltäter
Wie glaubwürdig sind die ganzseitigen Anzeigen von Google im “Spiegel” etwa, wie nett doch die Suchmaschine sei, wenn sie die lokalen Händler in der Corona-Krise “helfen”, ihr Geschäft offenzuhalten, wenn Google davon lebt, dass in fast jeder Suche nach jedem Gegenstand im Onlinehandel auf der ersten Seite des Browsers fast ausschließlich Ergebnisse angezeigt werden, die auf den fast-Monopolisten Amazon verweisen? Die Anzeigen sollen vertuschen, was Google wirklich treibt und zudem die Presseorgane abhängig machen, denen Google indirekt den Anzeigenmarkt entzogen hat.
Oder die ganzseitigen Anzeigen des Ausbeutungsgiganten “Amazon” in Tageszeitungen, in denen dieser sich selbst lobt, einer kopftuchtragenden Muslima zu einer “Management”-Position verholfen zu haben. In Wahrheit müssen gerade Migranten bei Amazon zu Dumpinglöhnen als scheinselbständige Zusteller arbeiten und, wie die Kontrollen der Polizei in den letzten Wochen gehäuft ergeben haben, dafür auch noch schrottreife Fahrzeuge bei ihren Auftraggebern leasen. Die Anzeigenserie, die vornehmlich in Tageszeitungen, geschaltet wird, ist angesichts der Tatsache, dass Amazon seit Jahren angemessene Tariflöhne verweigert, Gewerkschaften und Betriebsräte aktiv bekämpft, eine Verhöhnung der Öffentlichkeit, der Kund*innen und Mitarbeiter*innen.
Wieder denken lernen
Es gibt einen Kernsatz, der im ersten Grundschuljahr allen Kindern ebenso beigebracht werden sollte wie, dass man nicht einfach ohne links und rechts zu gucken auf eine Straße rennt: “Im Internet gibt es nichts umsonst. Im Zweifelsfall bezahlst Du immer mit Deinen Daten.”
Und für Politiker*innen sollte das Satz lauten: “Du bist gewählt, um die Menschen und ihre Grundrechte zu schützen – auch davor, dass ihre personenbezogenen Daten ihnen immer heimtückischer geraubt und sich durch Dritte angeeignet werden.” Wer dagegen – wie Angela Merkel zuletzt wieder auf der virtuellen Hannovermesse – Daten als “Rohstoff” oder “Schatz” bezeichnet, der gehoben werden müsse, für den ist das Internet bis heute Neuland. Denkverlust inbegriffen.
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