Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Schlagwort: Coronozän

(K)eine wilde Nacht

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“Was in der Welt passiert und was uns amüsiert, geschieht besonders in der Nacht.“ Wehmütig geht mir dieser Tage immer der Song durch den Kopf, den Elisabeth Flickenschildt alias Nelly Oaks, Wirtin der verräucherten Hafenspelunke „Mekka“ in Edgar Wallace unvergessenem London-Krimi „Das Gasthaus an der Themse“ singt.

Zum Ausbruch des Coronozäns hatte ich mir diese nächtlichen Spaziergänge angewöhnt. Doch wenn ich pünktlich um halb elf den Süden Kreuzbergs zu umrunden beginne, wird Nellys Lockruf jedes Mal neu Lügen gestraft: seit einem Jahr nur noch gähnende Leere. Weiterlesen

Erzwungener Präsentismus

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“Hast du nicht auch das Gefühl, dass irgendetwas mit der Zeit nicht stimmt?“ Meine Nachbarin schaut mich beim samstäglichen Abstandskaffee auf unserem Wochenmarkt irritiert von der Seite an. „Wie meinst du das?“, fragt sie. „Na ja“, versuche ich zu erklären, „es kommt mir so vor, als ob sie zu einem einzigen Block geronnen ist. Von März bis jetzt, das ist alles wie an einem Stück, ohne Unterbrechung, Strukturierung.“ Weiterlesen

Kompensation untersagter Vergemeinschaftung

berlin viral – Soll das Gesundheitsamt sie zwei Jahre lang an Bäume binden?
Schemenhaft nur zu erahnende Gesichter im Halbdunkel, die Augen auf ein fluoreszierendes Display gerichtet, die Kappe tief ins Gesicht gezogen. Wer sich zu Beginn des Coronozäns nicht nur auf nächtliche Spaziergänge machte, traf meist auf personale Konstellationen wie diese. Menschen, die sich in Hauseingänge, Parkecken oder Bushaltestellen drückten, immer auf der Hut vor neugierigen Passanten, Nachbarn oder den zirkulierenden Ordnungskräften. Die Pandemie zwang alle zurück in eine rudimentäre Öffentlichkeit, die mitunter die Form einer filmreifen Proto-Verschwörung annahm. Weiterlesen

Dating mit den Tieren der Stadt

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Schwarz-grau gefleckt, den Kopf leicht nach unten geneigt. Ich war gerade auf dem Weg zum Supermarkt, als ich plötzlich diese Krähe auf dem Dach der parkenden roten Limousine sitzen sah. Krähe, genau. Eines dieser Exemplare aus der Familie der Rabenvögel, die im Hinterhof neuerdings Mülltüten zerlegen. Sie plusterte sich auf, rutschte mit ihren Klauen auf dem spiegelglatten Dach nach vorne. So selbstverständlich, als sei ich derjenige, der sich zu erklären hätte. Weiterlesen

Fragmente einer Sprache der Warteschlange

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Der alte Mann, der die Straße entlanghumpelt, stoppt vor der Post. Mit zitternder Hand hält er zwei orange gerasterte Zettel in die Höhe. „Ich will doch nur die Überweisung.“ Fassungslos fixiert er die Schlange vor der Stahltreppe hinauf zum Eingang und wendet sich dem jungen Mann mit Migrationshintergrund in gelber Schutzweste zu, der das Geschehen von oben dirigiert. „Nur die Überweisung“ wiederholt er und präsentiert seine Zettel wie Passierscheine. Weiterlesen

Mitternächtliches Sammeln im Coronozän

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Not macht erfinderisch – dass der Satz nicht nur ein blöder Spießerspruch ist, der Bescheidenheit lehren soll, dämmerte mir in irgendeiner Sommernacht, als ich mit Freunden auf der Admiralbrücke saß und ein paar emsigen türkischen Seniorinnen mit Hackenporsche zusah, die leere Flaschen einsammelten, die die ultra­legere Meute ringsherum demonstrativ desinteressiert auf dem Bordsteinpflaster aufreihte. Weiterlesen

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