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Leider voll daneben!

von Gert Samuel
WDR-Fernsehen: „Der Sound der 68er – Von Janis Joplin bis Udo Jürgens“ (5.1.2019, Mediathek nur eine Woche)

Als jemand, der durch die Vielfalt der Musik der 60er Jahre geprägt ist, hatte ich mich auf Sendung am Samstagabend im WDR gefreut und war gespannt auf die Umsetzung unter dem Titel „Der Sound der 68er“. Das Ergebnis, und das ist kein Witz: „Wonderland“ und Howard Carpandale anstelle der Rolling Stones! Neunzig Minuten, ohne die Stones nur einmal zu erwähnen, zu zeigen oder musikalisch wiederzugeben? Unmöglich? Der WDR schaffte das.

Zunächst das Positive: Natürlich gehören in den 68er-Reigen Steppenwolf, Jimi Hendrix, The Doors, The Who, Country Joe & The Fish, Jefferson Airplane, Janis Joplin und viele andere der angespielten Songs. Als Kontrast ist sogar das Geplärre von Heintje ein integraler Bestandteil zum Sound der 68er. Und die diversen Reminiszenzen an Alexandra, Louis Armstrong, Otis Redding, Udo Jürgens und Hildegard Knef runden das entworfene Bild durchaus angemessen ab. Die einseitige Parteinahme für Reinhard Mey aus der Gruppe der deutschen Liedermacher irritiert indes schon merklich. Und beim „Opener“ („Nights in white satin“, Moody Blues) stellte sich bereits die Frage nach dem Bezug zu den 68ern. Zwischenzeitlich wurde es so eher ein Mischmasch aus dem „FlowerPower“ von 1967 („San Francisco“!) und Songs aus 1968.

Den Sound der 68er darzustellen ohne den damals prägenden Dualismus, mit dem fast alle groß geworden sind und bei dem nahezu jede und jeder Position für oder gegen eine der beiden Super-Gruppen Beatles oder Rolling Stones bezogen haben, ohne diese musikalische Rivalität zu dokumentieren, muss jede Sendung zur Musik der 60er Jahre gründlich scheitern. „Hey Jude“ – natürlich, „ob-la-di, ob-la-da“ (na, ja), „Revolution“ (interessantes Detail) von den Beatles ohne Einspielen und ohne Erwähnen von „Jumping Jack Flash“ (einem der Sommer-Hits von 1968) und „Street fighting man“ von den Stones – das ist Geschichtsklitterei. Das geht überhaupt nicht. Aber es wurden sogar noch zwei Häubchen oben draufgesetzt: Pauls Sternchen Mary Hopkins („Those were the days“) und natürlich John Lennons „Imagine“ (1971! – aber welche fortschrittlichen Menschen würden es wagen, etwas gegen diesen Song vorzubringen?) als ergänzende Bereicherung für alle Beatles-Fans. Zudem: Weshalb gab es nichts zu „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel? Zu Aretha Franklin und Marvin Gaye und dem fulminant startenden Soul-Sound? Zu „Cream“? Alles Sounds aus 1968!

Die eingeblendete Kommentierung litt unter einem ausgeprägten Ungleichgewicht: Gut Achim Reichel, Katja Ebstein, Uschi Nerke, Wilfried Schmickler – erfreulich: Hannes Jaenicke (mehr von ihm hätte gut getan) – viel zu häufig und echt peinlich: Westermann – wie immer superklug und alles wissend: Wolfgang Niedecken – ziemlich fehl am Platz: Claudia Roth und Jürgen Trittin.

Insgesamt leider eine ärgerliche Sendung, weil einseitig und damit verzerrend, die kostbare Sendeminuten für unmögliche Musik von „Wonderland“ und Howard Carpendale sowie für überflüssige Kommentare vergeudete. Schade!

Über Gastautor:innen (*):

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4 Kommentare

  1. Roland Appel

    Naja über die Kommentierenden kann man streiten – das Programm war Banane: Man merkt, dass der WDR nicht mehr auf kompetente Menschen wie Alan Bangs zurück greifen kann. Sogar Chris Howland hätte nicht den Fauxpas begangen, die Stones und ganz viele andere wie Manfred Mann, Cream, Santana auszulassen, sich aber auf Schnulzenfuzzies wie Carpendale zu kaprizieren. Durchgefallen:6!

  2. Harald Möller

    Ich denke, das Fehlen der Rolling Stones hat sicherlich auch rechtliche Gründe.
    Wenn man Musik von ihnen gespielt hätte, hätte man sicherlich auch Geld dafür zahlen müssen.
    Vielleicht war die Summe einfach zu gross für den WDR.
    So nach dem Motto: “Wer nicht will, der hat schon” hat man dann die Band erst gar nicht erwähnt.
    Ohne Bild- oder Tonmaterial hat man die Rolling Stones einfach ignoriert.

  3. Martin Böttger

    Harald Müller ist schon auf der richtigen Fährte. Das Prinzip dieser Sendungen haben die ÖRs von den Privatsendern vor vielen Jahren abgeguckt, und stopfen damit auf billigste Art und Weise ihre einschaltquotenerfolgreichen Dritten Programme – Zielgruppe Ü60 – voll. Es werden lizenzfreie Schnipsel aus dem eigenen Archiv neu zusammengesetzt, und von “Stars” kommentiert, die beruflich an guten Geschäftsbeziehungen zum Sender interessiert sein müssen. Und also keine Honorarforderungen (wie z.B. beschäftigungsarme “freie” Journalist*inn*en und Dokumentarfilmer*innen) zu stellen wagen, sondern schon dankbar sind, wenn sie ihr Gesicht in die Kamera halten und ganze Sätze sprechen dürfen.
    Auf Inhalte, die Autor Gert Samuel naiv erhofft hatte, kommt es dabei nicht an. Die Zielgruppe wird für anspruchslos gehalten. Wichtig ist: was kostet die Sendeminute? Wie viel Programmfläche (mit zahlreichen Wiederholungen) lässt sich damit füllen? Das ist “unser” WDR.

  4. Martin Böttger

    Haha, und heute (bzw. gestern, es ist 00:15 h) lief der gleiche Kram schon wieder. Beim Warten aufs ZDF-Sportstudio geriet ich zappend dazwischen, und konnte es schon fast auswendig nachsprechen.

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