von Naomi Rattunde
Die Idigenenbehörde FUNAI und das Museu do Indio in Rio de Janeiro
Eine der ersten Amtshandlungen des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro war ein direkter Angriff auf die Indigenenbehörde FUNAI (Fundação Nacional do Indio). Damit wollte er seinem im Wahlkampf formulierten Ziel, den Schutz der indigenen Territorien aufzulösen und sie für Bergbau und Agrarindustrie zu öffnen, näherkommen. Dieser provokative Auftakt seiner indigenen- und umweltfeindlichen Politik bestand darin, die seit 1990 dem Justizministerium unterstellte FUNAI dem neu gegründeten Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte einzuverleiben. Außerdem soll ihre fundamentale Kompetenz in der Demarkation indigener Territorien dem von Großgrundbesitz und Agrarlobby dominierten Landwirtschaftsministerium übertragen werden. Zwar wurden diese Maßnahmen erst durch den Kongress und dann durch das Oberste Bundesgericht STF abgewendet bzw. rückgängig gemacht, doch trotz dieses Widerstands geht der Umbau der FUNAI auf allen Ebenen weiter. Davon ist auch das Museu do Indio in Rio de Janeiro betroffen, das seit Oktober 2019 von einem Militär geleitet wird.
Das Museu do Indio wurde 1953 als Teil des Schutzdienstes für Indigene (Serviço de Proteção aos Indios, SPI) gegründet. Anfang der 60er-Jahre wurde es dem in dieser Zeit für die Beratung zur Indigenenpolitik zuständigen Nationalen Rat zum Schutz der Indigenen (Conselho Nacional de Proteção aos Indios) übergeben, bis die Militärregierung 1967 SPI, CNPI und das Museum in der FUNAI zusammenfasste.
Das Museu do Indio beherbergt heute fast 20 000 Objekte von circa 150 indigenen Gruppen, umfangreiche Archivbestände an Fotos, Audioaufnahmen, Filmmaterial und historischen Textquellen aus dem 19. Jahrhundert sowie eine auf Ethnologie und die indigenen Gruppen in Brasilien spezialisierte Bibliothek.
Das Museum ist auch ein Raum für kulturelle Veranstaltungen, es unterstützt Kulturprojekte zur Förderung von künstlerischen Ausdrucksformen indigener Akteure, koordiniert das Programm zur Dokumentation indigener Sprachen und Kulturen PROGDOC und stellt Informationen auch über seine Website bereit. Das Museum ist eine der wichtigsten Institutionen der Bewahrung, Dokumentation, Erforschung, Förderung und Vermittlung des indigenen Kulturerbes, die das Ziel verfolgt(e), zu einem größeren Bewusstsein über die Gegenwart, Geschichte und Bedeutung der indigenen Gruppen und damit über die kulturelle Vielfalt Brasiliens beizutragen. Dabei unterhält es Partnerschaften mit zahlreichen indigenen Gruppen und ihren Organisationen und ist zu einem maßgeblichen Fürsprecher ihrer Angelegenheiten, insbesondere bei der Verteidigung ihres Landes und ihrer Rechte, geworden. Gleichzeitig ist es eine Referenz für auch internationale Forschende und an den indigenen Kulturen Interessierte und war am Aufbau weiterer ethnographischer Museen beteiligt.
Verwandlung in eine “Agentur gegen die Indigenen”
Seit 2016 sind die Ausstellungen des Museums wegen Maßnahmen zum Schutz und zur Instandsetzung der Sammlungsbestände für Besuchende nicht zugänglich, während alle anderen Aktivitäten, auch etwa in Bildungseinrichtungen, weiterlaufen.
Mit seiner Mission, ein korrektes, aktualisiertes und vorurteilsfreies Bild der indigenen Gruppen zu verbreiten und qualifizierte Informationen über ihre Situation bereitzustellen, ist das Museu do Indio der Regierung Bolsonaro natürlich ein Dorn im Auge. Logische Konsequenz dessen war, dass sein Direktor, der Anthropologe José Carlos Levinho, der das Museum 24 Jahre lang geleitet und entscheidend geprägt hat, seinen Posten räumen musste. Neuer Direktor ist seit dem 15. Oktober 2019 der ehemalige Armeeoffizier Giovani Souza Filho. Kurz nach seiner Entlassung sagte Levinho, die FUNAI werde in eine „Agentur gegen die Indigenen“ umgewandelt, indem Fachleute durch solche ersetzt werden, die keinerlei Kompetenzen und Erfahrung in der Zusammenarbeit mit indigenen Gruppen haben, sondern in der Vergangenheit teilweise aktiv gegen sie und ihre Interessen vorgegangen sind.
Das trifft auch auf den seit Juli 2019 amtierenden Präsidenten der FUNAI, den von der Agrarlobby unterstützten Bundespolizeikommissar Marcelo Xavier da Silva zu, der die FUNAI schon 2017 als Mitglied einer parlamentarischen Untersuchungskommission zur Landtitelvergabe angriff und empfahl, mit ihr zusammenarbeitende Anthropolog*innen, Aktivist*innen, Staatsanwält*innen und „angebliche Indigene“ anzuklagen. Im Kontext von Landkonflikten in Mato Grosso do Sul im selben Jahr forderte er als Ombudsmann der FUNAI die Bundespolizei auf, „Verfolgungsmaßnahmen“ gegen Indigene der Region zu ergreifen.
Seitdem Xavier an der Spitze der FUNAI steht, werden die Koordinator*ìnnen ihrer Abteilungen sukzessive und meist ohne Begründung entlassen und Militärs oder Polizisten auf diese Funktionen gesetzt, seit Dezember folgen die Regionalkoordinator*innen im ganzen Land. Einige Tage vor der Entlassung Levinhos erregte die Absetzung von Bruno Pereira als Leiter der Generalkoordination für in freiwilliger Isolation lebende indigene Gruppen (CGIIRC) besonderes Aufsehen. Daraufhin veröffentlichte eine Gruppe von Anthropolog*innen, die für den Schutz dieser Gruppen arbeiten, einen offenen Brief, in dem sie den Austausch von qualifiziertem Personal durch politisch genehme Manager und die Indigenenpolitik unter Bolsonaro insgesamt anprangerten und als Genozid verurteilten. Ende Januar wurde bekannt, dass der evangelikale Missionar Ricardo Lopez Dias künftig die CGIIRC leiten soll.
“Prähistorische Menschen” werden Sache der Agrar- und Bergbaulobby
Die in freiwilliger Isolation lebenden indigenen Gruppen sind am stärksten durch die seit dem letzten Jahr enorm angestiegene Invasion von Agrar- und Bergbauindustrie und Goldsuchern in ihre Gebiete und die dabei eingeschleppten Krankheiten bedroht. Die der CGIIRC übergeordnete und strategisch bedeutsamste Direktion der FUNAI für Schutz der Territorien (Diretoria de Proteção Territorial, DPT) wird seit Januar vom Bundespolizisten Alexandre Silveira de Oliveira geleitet. Seine Politik dürfte – der absurden Argumentation Bolsonaros folgend, dass „der Indio mehr und mehr Mensch wie wir“ sei, der durch die Politik der Schutzgebiete dazu verdammt sei, „wie prähistorische Menschen zu leben“, obwohl er eigentlich auch „produzieren und die Vorteile von Wissenschaft und Technologie“ wolle – von einem umgekehrten Verhältnis von zu Beschützenden (Industrie) und Gefährdenden (Indigene) ausgehen.
Auch der neue Direktor des Museu do Indio, Souza Filho, ist der Meinung, es sei Aufgabe der FUNAI und der Regierung, die Indigenen, die produktive Aktivitäten entwickeln wollen, zu unterstützen. Er sieht Veränderung als etwas Heilsames an, schätzt den frischen Wind durch andere Sichtweisen und kündigte entsprechend an, Positionen im Museum neu zu besetzen. Er will zunächst die Arbeiten zur Brand- und Panikverhütung im Museum priorisieren, um es in diesem Jahr wieder eröffnen zu können, die Bereiche Museologie und Forschung erweitern und neue Aktivitäten entwickeln. Was genau das bedeuten wird, ist derzeit noch nicht abzusehen, aber es ist anzunehmen, dass das Museum nicht mehr wie vor dem Einschnitt für und mit seinen indigenen Partnern zusammenarbeiten wird. Das umgekrempelte und auf Kurs gebrachte Museu do Indio ist ein eindrucksvolles Symbol der mehr als besorgniserregenden Demontage der FUNAI und der weiterreichenden Strategie der Regierung Bolsonaros, die Frage der Indigenen zur Frage der Agrar- und Bergbaulobby zu machen und ungeachtet von Umweltschutz und Menschenrechten die Kolonisierung und Ausbeutung des Amazonasgebiets voranzutreiben.
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Fassung aus ila 432 Feb. 2020, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt. Beachten Sie zum gleichen Thema auch den Offenen Protestbrief.
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