von 60 deutschen und brasilianischen Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Journalist*innen und Künstler*innen
Gegen die Ernennung des Evangelikalen Ricardo Lopes in die Leitung der brasilianischen Indigenenbhörde FUNAI und gegen den Gesetzentwurf PL 191 i
Aufgrund der Entwicklungen in Brasilien nach der Wahl des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro sind die indigenen Völker massiv und unmittelbar gefährdet. Die Berufung des fundamentalistischen Evangelikalen Ricardo Lopes Dias an die Spitze der Abteilung für isolierte Völker der Indigenenbehörde FUNAI sowie der Gesetzentwurf für die Erforschung und Gewinnung von Mineral- und Kohlenwasserstoffressourcen auf indigenem Land sind ein Affront gegen die Rechte der Indigenen. Deshalb unterstützen rund 60 deutsche und brasilianische Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Journalist*innen und Künstler*innen einen Protestbrief aus der brasilianischen Community in Deutschland, der darauf zielt, international ein größeres Bewusstsein für die prekäre Lage der indigenen Völker in Brasilien zu schaffen.
Als Verteidiger der Demokratie und der Menschenrechte wenden wir uns hiermit an die Öffentlichkeit und äußern unsere Bestürzung und vehemente Ablehnung der Berufung des Missionars und Anthropologen Ricardo Lopes Dias in die Leitung der Gesamtkoordination für die Belange der isolierten oder erst vor kurzem kontaktierten Indigenen (Coordenação Geral de Índios Isolados e de Recente Contato) innerhalb der FUNAI (Fundação Nacional do Índio – Nationale Stiftung der Indigenen) in Brasilien.
Es ist bekannt, dass Lopes Dias zwischen 1997 und 2007 in der fundamentalistisch ausgerichteten Organisation „Mission Neuer Stämme Brasiliens“ (Missão Novas Tribos do Brasil) aktiv war, die nordamerikanischen Ursprungs ist und seit den 1950er Jahren die Evangelisierung brasilianischer Indigener betreibt und fördert. Die Mitglieder der Mission Neuer Stämme Brasiliens glauben, dass die zweite Ankunft Christi sich nur ereignet, wenn auch die letzten Menschen der Erde das Evangelium empfangen haben. Damals wurden Indigene gewaltsam sesshaft gemacht, ihre Haare wurden geschoren, sie wurden gezwungen, ihrem Glauben und auch ihrer Schöpfungsgeschichte abzuschwören, in Missionssiedlungen zu leben und zu arbeiten, „westliche“ Kleidung zu tragen und somit ihre Lebensformen drastisch zu ändern. In der Folge verloren einige Völker ihr Land und viele starben insbesondere an Krankheiten.
Die Änderung der Geschäftsordnung der FUNAI, die es erlaubt, leitende Posten durch Personen von außen zu besetzen, die keine entsprechende Berufslaufbahn aufweisen, deutet auf den Zweck der Nominierung. Mit Ricardo Lopes Dias an der Spitze der FUNAI zielt die Behörde jetzt darauf, eine “neokolonialistische auf Ethnozid ausgerichtete” Politik des Zwangskontaktes „zu entwickeln, die das Instrumentarium des religiösen Fundamentalismus einsetzt, um den Lebensraum dieser Völker der Ausbeutung durch Großgrundbesitzer und dem Abbau von Bodenschätzen auszuliefern”, warnt der Indigenistische missionarische Rat (Conselho Indigenista Missionário – CIMI).
Wir verweisen darauf, dass Präsident Jair Bolsonaro parallel zur Nominierung am 5. Februar dieses Jahres einen Gesetzentwurf an den Kongress geschickt hat, der Abbau, Land- und Viehwirtschaft in indigenen Schutzgebieten erlaubt.
Wir zollen dem Kampf der indigenen Völker Brasiliens für ihr Überleben und die Verteidigung der natürlicher Ressourcen, der über 500 Jahre andauert und bei dem viele Stämme, sich für Abschottung entschieden haben, unsere Anerkennung. Die Missachtung der Rechte der indigenen Völker Brasiliens und die Zunahme der Bedrohung und der Angriffe, die sie in den letzten Monaten erleben, ist mehr als alarmierend.
Die Regierung Jair Bolsonaro stellt das Existenzrecht und die Menschenrechte der indigenen Völker in Frage und widerspricht damit dem Wesen der Demokratie, ihrem Grundsatz ungeteilter Garantie auf Rechte, die Achtung vor dem Leben, Menschenwürde. Wir missbilligen jeglichen Versuch die indigenen Völker aus marktorientiertem Gewinnstreben und religiösem Glauben heraus, der den Lebensgewohnheiten dieser Völker fern liegt, zu beherrschen, zu kontrollieren, zu benutzen und auszubeuten.
Wir machen auf die Schwere dieser Tatsachen aufmerksam und warnen vor einer Wiedereinführung kolonialistischer, dem Modell des 16. Jahrhunderts verhafteten Strukturen in Brasilien.
Wir erwarten ein Überdenken und die Annullierung der verheerenden, unethischen und kontraproduktiven Nominierung von Ricardo Lopes Dias zum Leiter der Gesamtkoordination für Belange der Isolierten oder erst vor kurzem kontaktierten Indigenen Völker der FUNAI.
Wir appellieren an den Kongress, die Gesetzesvorlage PL 191 zur Öffnung indigener Schutzgebiete für Bergbau und Stromerzeugung abzulehnen.
Liste der Unterzeichner*innen: Alexander Ulrich (Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion); Amoi Ribeiro (Übersetzer); JunProf. Dr. Anna Meiser (Ethnologin – Universität Freiburg); Dr. Andrea Scholz (Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Ethnologisches Museum Berlin); Andrej Hunko (Stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag); Anna Jäger (Kuratorin bei SAVVY Contemporary); Beate Ziegs (Autorin/Regisseurin); Dr. Birgit Suhrbier (Anthropologin); Carla Guagliardi (Künstlerin); Dr. Diether Dehm (Abgeordneter der Linken im Bundestag); Didice Godinho Delgado (Sozialpädagogin); Dieter W. Schneider (Lateinamerika-Gruppe von Amnesty-International, Berlin); DJ Macedo (Schauspielerin/Sozialpädagogin); Christian Wendt (Pfarrer i.R.); Christine Winter de Velarde (Dipl.- übersetzerin); Prof. Dr. Elisa Zwick (Professorin an der Alfenas Universität Brasiliens / Soziologie); Elizabeth Stauß (Ethnologin – Universität Bonn); Ellen Spielmann (Journalistin freelancer); Flavio Lenz (freier Journalist); Flavio Wolf de Aguiar (freier Journalist und Schriftsteller); Friederike Georg; Friederike Strack (Soziologin); Gerd Rathgeb (POEMA e.V. Stuttgart – Armut und Umwelt in Amazonien); Gerhard Mertschenk (Übersetzer und Dolmetscher); Gert Eisenbürger (Redakteur – Informationsstelle Lateinamerika ILA, Bonn); Günther Sauter, Günther Schulz (Brasilieninitiative Freiburg e. V.); Harald Neuber (Lateinamerikanist und Journalist); Heidrum Martinet; Heike Hänsel (Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss); Helga Dressel (Kulturmittlerin); Johann Graf (POEMA e.V. Stuttgart – Armut und Umwelt in Amazonien); Juliet Koss (Außerordentliche Professorin für Kunstgeschichte und Direktor des Humanities Institute am Scripps College); Laizio Rodrigues de Oliveira (Forscher/Mathematik); Leonie Schuster; Prof. Dr. Ligia Chiappini (Professorin für brasilianische und lateinamerikanische Literaturen/FU Berlin); Dr. Luiz Ramalho (Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler); Mareen Butter (freie Journalistin); Maria Cristina Fernandes Francisco (Biologin); Mario Schenk (Politikwissenschaftler); Prof. Dr. Martina Sproll (Professorin für Gesellschaftswissenschaften, HWR Berlin); Mechthild Ebeling (Mitarbeiterin des DED in Brasilien); Milo Rau (Theaterregisseur und Autor); Mirah Laline de Souza Carvalho (Theaterregisseurin); Nair Cristina Schmitz Brizola (Künstlerin); Peter B. Schumann (Publizist); Peter Steiniger (Journalist); Regina Rossi (Freischaffende Choreografin und Tanz-Theater-Vermittlerin); Renata de Carvalho do Val; Rita Carvalho-Tetzner (Lehrerin); Rita Nierich (Lateinamerikanistin); Robert Menasse (Wien. Schriftsteller und ehem. Gastprofessor an der USP); Prof. Dr. Stephan Lessenich (Soziologe – Universität München); Suelly Torres (Photografin); Tille André; Tobias Brendgen; Thomas Nord (Mitglied des Bundestags für die Franktion Die Linke); Ulrich Delius (Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker); Vera Piechulla (Ärztin und freischaffende Künstlerin); Werner Wuertele (Sozialwissenschaftler, Lateinamerika-Forum e. V. -Berlin); Yili Rojas (Künstlerin); Dr. Zinka Ziebell (Dozentin für brasilianische Literatur – FU Berlin).
Mit herzlichem Dank an die Informationsstelle Lateinamerika in Bonn für die Übermittlung und Zulieferung.
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