Beueler-Extradienst

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Die Brücke

Wundersame Bahn LIV
Dieses Wochenende habe ich meine Reisepläne aufgegeben. Die Bahn schafft es nicht mehr. Im grössten urbanen Ballungsraum Deutschlands, der Ruhrstadt, hat sie ein einzelner mutmasslich besoffener Tankwagenfahrer lahmgelegt. Oder war es eine Verschwörung von Big Oil? Um das Verbrennungsmotorenbusiness weiter am Verbrennen zu halten, kann es eine Tankwagenladung durchaus wert sein. Ich weiss, es ist Sarkasmus, Zynismus. Versuche ichs mal besser mit ernsthaften Fragen.
Der Unfall passierte an der, zusammen mit der Rheinlandachse, meistbefahrenen Bahnachse Europas. Dieser ausnahmsweise mal nicht von Bezahlschranken eingemauerte WAZ-Bericht vermittelt einen “guten” Eindruck davon.
Dass die Überschrift die Autobahn behandelt, verrät mehr über das Medium, als über das eigentliche Problem. Es wird im Text aber deutlich. Aus ihm ergeben sich mehrere ernsthafte Fragen, bzw. Folgerungen.
1. Wie kann es sein, dass ein einzelner Betrunkener so viel Infrastruktur-Schaden anrichten kann?
2. Gefahrgut gehört auf keine Strasse.
3. Solange es dort überhaupt noch unvermeidlich fährt, ist es von mindestens zwei Personen zu sichern, und nicht nur von einer (Übermüdung, andere menschliche Schwächen und Fehler, 4 Augen statt 2, etc.).
4. Das Gleiche gilt für Güter- und Personenzüge: zwei Lokführer*innen, statt eine*r!
5. Ersatzbrücken: die Bahn kann nicht ernsthaft für 5-6 Jahre Bauzeit ihre meistbefahrene Strecke stilllegen. Im Bundesgebiet befährt sie tausende Brücken, die Opfer eines Unfalls werden können. Sie braucht also eine umfangreichere Ersatzinfrastruktur (Behelfsbrücken), die während einer Bauzeit, z.B. als Langsamfahrstrecke befahren werden können.
6. Es ist ein blamabler Skandal, dass eine Konzernmetropole wie Essen bei Umleitungen nicht angefahren werden kann. Der nördlich gelegene Ausweichbahnhof Essen-Altenessen war ein Jahrhundert lang Station für europaweite Fernverbindungen. Er wurde von der Bahn seit den 70er Jahren systematisch vernachlässigt, das Bahnhofsgebäude wurde ersatzlos niedergelegt, übrig blieb eine vermüllte S-Bahn-Haltestelle. Er ist als vollwertiger Bahnhof wiederherzustellen. Der heutige Zustand ist ein Symbol für die Verachtung durch Politik, Deutsche Bahn und Ruhrwirtschaft für die proletarisch geprägte Emscherregion, deren Bevölkerung sich folgerichtig weitgehend von politischer und sozialer Teilhabe abgewandt hat. Besonders verarscht müssen sich die vielen Menschen fühlen, die sich dennoch bzw. deswegen dort für die Rettung von sozialem und interkulturellem Zusammenhalt den Arsch aufreissen.
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Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Rainer Bohnet

    Behelfsbrücken sind an vielen Strecken der Bahn eingebaut. Zum Teil liegen sie dort seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

    Die DB Netz AG, das Land NRW, das Bundesverkehrsministerium und das Eisenbahn-Bundesamt sollten jetzt alles versuchen, dort so schnell wie möglich eine neue oder eine Behelfsbrücke einzubauen. Wie geschrieben: Es handelt sich um eine der meistfrequentierten Eisenbahnstrecken Europas.

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