Beueler-Extradienst

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Auf auf! Zum Abgrund?

Als ich las, dass NATO-Generalsekretär Stoltenberg in die Ukraine gefahren sei – das kann er als “Beobachter” vielleicht machen – und erklärte, man würde gegenüber der Ukraine den NATO-Beitritt realistisch prüfen, indem man ihn auf dem nächsten NATO-Gipfel erörtere, erwog ich, ob Stoltenberg vielleicht unter Drogen stehe. Denn schließlich kann eine Konfliktpartei eines Krieges nicht in die NATO aufgenommen werden und Artikel 5 des NATO-Status bedeutet, dass ein angegriffener Mitgliedsstaat sofort den Bündnisfall auslösen und die NATO in den Krieg ziehen würde. Naja – die Belastung durch den  Ukraine-Krieg, diese komplizierten Fragen nach Solidarität und Nachschub – das kann einen gestandenen konservativen Sozialdemokraten, der sich eigentlich seit einem Jahr auf seinen Job als Banker freute, schon schaffen- der Arme! Aber dann kam die nächste Meldung, dass in Polen an der Grenze zur Ukraine eine Reparaturwerk für Leopard 2 errichtet werden soll.

Um keinen Zweifel an meiner unpazifistischen Position aufkommen zu lassen: Ich bin für die Lieferung von “schweren Waffen, Leoparden, sogar MIG 29 und Munition”, damit sich die Ukraine gegen den imperialen Motherfucker Putin und seine Mörderbande der Wagner-Verbrecher wehren kann. Aber wer und welcher Prozess der internationalen Politik bewahrt uns eigentlich davor, schleichend Kriegspartei zu werden? Wer? Das bedeutet, welche Institution oder Autorität ist verantwortlich für die Entscheidung in Richtung Frieden oder Eskalation? Wer hat in der NATO eigentlich welchen Hut auf und ist tonangebend? Ich finde das Spiel mit den Krieg derzeit reichlich intransparent und undemokratisch. An wen bitte richte ich als Journalist ein Auskunftsbegehren nach EU-Informationsfreiheitsgesetz, wenn ich wissen will, was in Ramstein Airbase von wem besprochen worden ist? Oder ist in diesem Fall der US-amerikanische “Freedom of Information Act” und das Pentagon einschlägig? Auf deutschem Boden?

Demokratische Verfahren außer Betrieb ?

Mein Job im Zivilleben ist seit 23 Jahren Unternehmensberater. Als solcher bin ich gewohnt, auf Prozesse zu achten. In der Wirtschaft werden keine Manifeste oder Parteiprogramme verabschiedet, um Ziele und Gesetze einzuhalten, sondern Prozesse implementiert. Zum Beispiel Datenschutz: geschieht ein Verstoß, gibt es einen definierten Prozess, um ihn zu lokalisieren, zu identifizieren und nach der DSGVO den Aufsichtsbehörden innerhalb von 72 Std. Meldung zu machen. Das schafft Sicherheit für alle Beteiligten. Zum Beispiel Informationsfreiheit – auch hier gibt es einen definierten Prozess. Im Falle Ramstein gibt es nur einen still ruhenden See und offensichtlich uninteressierte Journalist*innen, die ihre Arbeit wieder mal nicht machen und den politischen Akteuren nicht aufs Fell rücken.

Internationale Politik ohne Regeln?

In der internationalen Politik – im schlimmsten Fall, den man sich denken kann, nämlich dem Krieg – gibt es offensichtlich auch in EU und NATO keine vorgeschriebenen oder demokratisch vereinbarten Prozesse. Da kann jede/r mal so reisen und erklären, was er/sie will. “Flinten-Uschi von der Leyen” konnte in Kiew erklären, dass sie für den EU-Beitritt der Ukraine sei und Geschäftsführer Stoltenberg jetzt, entgegen aller NATO-Statuten, dass die Ukraine NATO-Mitglied werden kann. Beide politisch gemeinten, aber nicht abgestimmten und mit Substanz versehenen Erklärungen stellen ein politisches Va-Banque-Spiel dar.  Natürlich könnte ich mich insofern irren, als Stoltenbergs Vorstoß mit den USA abgesprochen sein könnte und er in inoffizieller Mission Joe Bidens reisen würde. Allerdings wäre dies extrem unwahrscheinlich und ein massiver Affront der USA gegenüber dem Verbündeten in Europa. So muss es sich bei Stoltenbergs Reise um eine Art Vorsondierung im Interesse der NATO handeln. Aber mit welcher Regierung ist das alles abgestimmt?

MIG-Lieferungen, Reparaturwerk für Leoparden in Polen

Dass ehemalige NVA-MIG 29 durch Polen an die Ukraine geliefert wurden, ist ein weiterer Schritt in der militärischen Unterstützung der Ukraine durch die NATO. Nach allem, was über die MIG bekannt ist, kann die Ukraine diesen Kampfjet selbst fliegen, warten, munitionieren und reparieren. Insofern ist eine Lieferung durch Polen im Prinzip unproblematisch. Aber schon stellt sich die Frage, was es bedeuten würde, wenn eine beschädigte MIG 29 auf einem polnischen Flughafen landet und dort gewartet oder repariert werden würde. Dasselbe gilt für Leopard-Panzer, die Deutschland und die EU an die Ukraine geliefert haben. Wird Polen und damit die NATO durch die Wartung und Reparatur von ukrainischen Leoparden zur Kriegspartei? Ich weiss es nicht, aber es drängt sich zumindest die Frage auf, ob eine Partei, die Personal einsetzt, um Waffen oder Kriegsmaterial zu warten, instandzusetzen oder zu reparieren, indirekt einen personellen Beitrag zur Kriegsführung leistet? Dass sie Gefahr läuft, von der Gegenseite als Kriegspartei wahrgenommen oder identifiziert zu werden, ist da schon eingepreist. Wer hat das völkerrechtlich geprüft? Natürlich erklärt Putin alles als feindlich, was seinen Interessen widerspricht. Der interessiert an dieser Stelle aber nicht, sondern das internationale Recht.

Wo verläuft völkerrechtlich die Grenze zwischen versorgender Unterstützung und indirekter Kriegspartnerschaft? Um diese Frage mogeln sich NATO, EU und westliche Regierungen derzeit herum. Das ist kein Problem für Putin, sondern ein existenzielles Problem für die Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratien in der UNO.

Wo befinden wir uns auf der Rutschbahn in den Krieg?

Seit Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine wird täglich, wöchentlich und monatlich die Frage gestellt, ob und wie die NATO zur Kriegspartei im Konflikt gegen Russland werden könnte. Gibt es dafür wirklich so klare Kriterien der Abgrenzung, wie Teile der Regierung und der Öffentlichkeit uns weismachen wollen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass eine solche vergleichbare Situation im internationalen Recht bisher noch nicht bestanden hat und nicht beanstandet wurde? Wie etwa wäre es in diesem Zusammenhang einzuschätzen, wenn die deutsche Firma Rheinmetall das umsetzen würde, was sie nach eigenem Bekunden gerne täte, nämlich eine Panzerfabrik  in der Ulraine zu errichten? Unter welchen Bedingungen würde sie das tun? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das volle Risiko, dass diese Fabrik durch russische Raketen zerstört werden könnte, einfach selbst übernimmt. Schon wegen geringerer Risiken ist es üblich, dass Unternehmen, z.B. im Falle von Investitionen in Entwicklungsländern, staatliche Hermes-Bürgschaften in Anspruch nehmen. Hermes-Bürgschaften für eine Munitionsfabrik, also einer Kriegsindustrie in einem Kriegsgebiet? Vor nicht allzu langer Zeit ungesetzlich und völlig undenkbar. Aber heute?  Wie weit sind wir schon auf der Rutschbahn zur Kriegspartei gerutscht?

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

3 Kommentare

  1. SnowBoy

    @rolandappel Auf einige dieser Fragen gibt es doch ganz klare Antworten:Kriegspartei ist DE dann, wenn deutsche Soldaten kämpfen. Siehe bspw. hier: https://www.volksfreund.de/nachrichten/politik/inland/voelkerrechtler-erklaert-wie-deutschland-kriegspartei-wird_aid-83798119(1/x)

  2. SnowBoy

    @rolandappel Sowohl die NATO als auch die EU sind ein Zusammenschluss von souveränen Staaten. Da gibt es niemanden, der einfach für alle entscheiden kann "wir ziehen jetzt in den Krieg". Und dass "jede/r mal so reisen und erklären, was er/sie will" liegt ebenfalls daran, dass ein Regierungschef eines souveränen Landes natürlich die Freiheit besitzt, das zu tun. Ich verstehe nicht, was daran so verwunderlich ist.(2/x)

  3. SnowBoy

    @rolandappel NATO-Beitritt der Ukraine: Dass das im Moment nicht passiert, ist eh klar. Aber irgendwann wird dieser Krieg enden. Und für die Zeit danach wird natürlich diskutiert werden, wie die Sicherheit der Ukraine gewährleistet werden kann. Eine NATO Mitgliedschaft wird da ebenso auf dem Tisch liegen wie Alternativen.(4/4)

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