Polizei-PR ist legitim – unabhängiger Journalismus ist was Anderes

mit Update 4.2.

Fertig geärgert hatte ich mich schon. Dann erschien in der taz eine Nacherzählung; dem Autor war offenbar nichts Kritisches eingefallen. Das hat mich noch mal zusätzlich geärgert. Also bekommen Sie jetzt hier von mir einen Kritik-Bonus. Zu den “Mafiajägern” von Arte, verfügbar bis 28.3..

Es ist eine epidemische Erkrankung des Journalismus, Mitteilungen der Polizei als Wahrheit zu nehmen, zu der keine weiteren (teuren) Recherchen erforderlich sind. Dass es sich um einen Teil des Staatsapparates handelt, der auch eigenständige politische Interessen verfolgt, mitunter auch demokratiefeindliche Elemente beherbergt, auch das ist mittlerweile einigen TV-Journalist*inn*en aufgefallen, und wird nachts irgendwann versendet.

Die “Mafiajäger” haben mich deswegen so geärgert, weil sie als Musterbeispiel für eingebetteten Journalismus kursieren können. Ich weiss nicht, ob es stimmt, dass die Operation “Eureka” die grösste aller Zeiten in Europa ist. Das ist auch nicht wichtig. Offenbar war sie wichtig genug, PR-Strategien von Anfang an darauf abzustellen, und Medien- und TV-Teams bei Ermittlungen, Razzien und Aktionen mitzunehmen.

So ein Fünfteiler, an dem sich ein halbes Dutzend ARD-Anstalten finanziell zugunsten der Produktionsfirma “beetz brothers film production” mit ihren Produktionsetats beteiligen – gibt es eine günstigere Gelegenheit für Öffentlichkeitsarbeiter*innen? Diese Gelegenheit lässt sich auch Oliver Huth, NRW-Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter e.V., einer ständischen Konkurrenz der Gewerkschaft der Polizei, und zufällig beim LKA NRW mit den Ermittlungen betraut, nicht entgehen. Der ist ja nicht blöd.

ARD – denkfaul und zahlungsfähig

Fragen stellen sich an die von Ihnen und mir finanzierten ARD-Anstalten sowie die produzierende und profitierende Produktionsfirma. Es ist ja schön, so exklusiv von den Ermittlungsbehörden mit jedwedem Material versorgt zu werden. Auf die nervende Musik hätte ich, wie so oft, mal wieder sehr gut verzichten können. Aber die magere klischeehafte Dramaturgie, die von den Polizeierzählungen übernommen wurde, eben nicht.

Es hätte sogar einen diskussionwürdigen Ansatz gegeben, aus der Produktion mehr zu machen. Es ist die Forderung der italienischen Sicherheitsbehörden, auch in anderen europäischen Ländern ihre Gesetzesregelungen zu übernehmen (Umkehrung der Beweislast u.v.m.). Warum geschieht das nicht? Das ermittelt der längliche Fünfteiler gar nicht erst.

Es gibt gute Gründe dafür und dagegen. Krimnalwissenschaftler*innen, Polizeiforscher*innen und -ausbilder*innen kommen überhaupt nicht zu Wort. Es gibt sie, sie sind gut verfügbar. Das interessiert diese Filmproduktion aber nicht.

Naheliegende Fragen werden nicht erörtert. Wie konnte die ’Ndrangheta ausgerechnet in Kalabrien heranwachsen? Was unterscheidet sie von anderen Mafiaklischees? Was sind die sozioökonomischen und politischen Bedingungen, die sie zu einem kriminellen Riesen machten? Ich nenne nur als Beispiel die Sklavenarbeit der ausländerrechtlich wehr- und rechtlosen Migrant*inn*en, die ausgepresst werden, wie “wir” es mit den von ihnen geernteten Südfrüchten machen.

Für die unter Ihnen, die es nicht wissen: der politische Pate der italienischen Mafiosi war der Christdemokrat (!) Giulio Andreotti, genial-fiktiv porträtiert in Il Divo von Paolo Sorrentino. der auch mal auf Arte gelaufen war. Nach seiner politischen Abdankung lösten sich Christdemokraten und “Sozialisten” auf, und mit Silvio Berlusconi folgte ein noch originalerer Repräsentant der italienischen Mafiaorganisationen in der Regierungsmacht. In seiner Finanzierung als unfähiger Unternehmer, der dennoch vor Geld und Macht kaum laufen kann, darf er als Vorbild und Vorläufer Donald Trumps gelten.

Dass es in diesem politisch verseuchten Rahmen todesmutige Polizist*inn*en, Staatsanwält*inn*en und Ermittlungsrichter*innen gibt, davon können sich deutsche Ermittler*innen in der Tat viele Scheiben abschneiden. Und einige tun das auch. Das ist aber kein Grund für derartig ermittlungsarmen – und ausnehmend gut bezahlten – Journalismus.

Update 4.2.

Die gerichtliche Aufarbeitung der in der TV-Dokumentation präsentierten “Operation Eureka” ist gegenwärtig imgange. Die Schöff*inn*en am Landgericht Wuppertal mussten versichern, die TV-Dokumentation nicht gesehen zu haben, wg. möglicher Beeinflussung. Das Landgericht Dortmund hat derweil verdächtigte Eisdielenbetreiber aus Siegen freigesprochen – auf Antrag der Staatsanwaltschaft. (Fakten entnommen einem Bericht aus der FAZ-Paywall)

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net