Die Chefin des Bundesamtes für Migration musste gehen, obwohl der Skandal in ihrer Behörde gar keiner war. Und niemand empört sich?
Dass über vermeintliche Skandale mit größeren Schlagzeilen berichtet wird als über eine spätere Erkenntnis, es sei doch alles nur halb so wild gewesen, ist nicht neu. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass oft Menschen unter dieser Praxis zu leiden haben, für die sich kaum noch jemand interessiert, wenn sich die allgemeine Aufregung erst einmal gelegt hat. Pech für Jutta Cordt. Sie ist ein Opfer politischer Querelen und Rücksichtnahmen – ihr ist also genau das passiert, was einer Berufsbeamtin eigentlich nicht widerfahren sollte.
Oder haben Sie von Solidaritätskundgebungen für die ehemalige Leiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehört? Von einer Koalitionskrise, die mit ihr in Zusammenhang steht? Von Sondersitzungen in Parteizentralen? Sie haben davon nichts gehört? Kein Wunder. Es hat sie nicht gegeben. Es wird sie nicht geben.
Im Juni wurde Jutta Cordt wegen der sogenannten Bamf-Affäre entlassen. Einen „handfesten und schlimmen Skandal“ hatte Innenminister Horst Seehofer die Angelegenheit seinerzeit genannt. Von systematischem, bandenmäßigem, hochkriminellem Betrug in der Bremer Außenstelle der Behörde war die Rede, Tausenden von Asylbewerbern sei zu Unrecht ein Schutzstatus gewährt worden.
Übrig geblieben ist von diesen Vorwürfen fast nichts. Mehr als 18.000 Fälle wurden überprüft – in 165 Fällen gab es tatsächlich grobe Verstöße. Also in 0,9 Prozent. Wenn die Fehlerquote in allen Behörden so gering wäre, das Leben wäre einfach.
Auf Zeit Online erschien vor gut zwei Wochen ein Kommentar mit der Überschrift „Horst Seehofers doppelter Maßstab“. Treffend. Der Innenminister sprach im Zusammenhang mit den – erwiesenen – Vorwürfen gegen den amtierenden Präsidenten des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen von seiner „Fürsorgepflicht“ gegenüber einem leitenden Beamten. Deshalb wollte er ihn ursprünglich auch befördern und hat dann zumindest durchgesetzt, dass ihm aus seinem Verhalten keine Nachteile erwachsen.
Jutta Cordt gegenüber quälten Seehofer offenbar weniger Skrupel. Die soll sich künftig im Innenministerium um das Thema Digitalisierung kümmern. Im Rang einer Ministerialdirigentin. Sie fällt um drei Gehaltsstufen nach unten, verdient also künftig rund 1.700 Euro weniger monatlich.
Darf der Minister das entscheiden? Ja, das darf er. Beamtenrechtlich handelt er im Rahmen seiner Befugnisse. Aber das ist, wie ich glaube, nicht der Grund, warum sich niemand öffentlich für Jutta Cordt starkmacht.
Sondern: Bloß keine neue Personaldebatte innerhalb der Koalition! Darin sind sich vermutlich alle im Regierungsbündnis einig. Und: Bloß nicht das Thema Asyl jetzt noch mal in die Schlagzeilen bringen! Selbst wenn es nur eine einzige falsche Entscheidung gegeben hätte, würde die wohl für die Forderung nach schwerer Kerkerhaft für Frau Cordt genügen. Jedenfalls seitens der AfD – und mit der legt sich niemand mehr gerne an. Ein schöner Erfolg für die radikale Rechte.
Und Pech für Jutta Cordt, wie gesagt. Aber nicht nur für sie. Wer das Berufsbeamtentum für sinnvoll hält, kann nicht fröhlich sein, wenn tagespolitische Überlegungen für die Besetzung einer „nachgeordneten Behörde“ entscheidend sind. Wer erwartet, dass Beamte sich loyal gegenüber dem Staat verhalten, muss wissen, dass Loyalität keine Einbahnstraße ist. Es ist nicht anzunehmen, dass Jutta Cordt in ihrem neuen Tätigkeitsfeld demnächst einen Hackerangriff auf das Innenministerium startet. Aber verständlich wäre es.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag. Beachten Sie bitte zum gleichen Thema auch “Die Anstalt”, und dort speziell die “Tafelbildnummer”.
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