Disclaimer: Ich bin mit dem Autor des besprochenen Bildbandes befreundet. Er lebt in Geislar, dem fluglärmgeplagtesten Ortsteil von Beuel.
Rolf Sachsse ist Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken. Ich persönlich habe ihn, geb. 1949 im Jahr der Gründung der BRD in Bonn, als profunden Kenner unserer Republikgeschichte und speziell ihrer Bildergeschichte kennengelernt. Zu den frühen Hauptstadtzeiten in unserem kleinen Rheinuferkaff war alles noch so “gemütlich” und übersichtlich; in Berlin lästern sie darüber, die armen Wichte im Hamsterrad, gelegen kurz vor der polnischen Grenze. Sachsse kennt die wenigen Fotografiechronisten jener Bonner Zeit, es waren wohl weniger als 10, alle persönlich, bzw. kannte sie. Denn sie sterben uns jetzt weg.
Das stellt neue Anforderungen an Erbengemeinschaften, Testamentsvollstrecker, Historiker*innen und Archivar*innen. Denn die wenigsten großartigen Fotografen waren gute Bürokraten und Aktenordner. Wenn sie schon gestorben sind, muss noch einiges gerettet werden. Gleichzeitig findet natürlich wie überall auch im Bibliotheks- und Archivwesen eine technologische Revolution statt, von der noch niemand weiss, wohin sie führt. Klar ist: die Digitalisierung verändert nicht nur unser Sprechen und Schreiben, sondern natürlich auch radikal unsere Bildsprache, und zwar umwälzender als es die Einführung der Farbfilme bewirkte.
Und wie sicher digitalisierte Archive sein werden, auch das wird wohl erst die Geschichte erweisen. Im Bonner Stadtarchiv, mit dem Sachsse bei der Zusammenstellung des hier vorgestellten Bandes eng zusammenarbeitete, wären sie ja schon froh, wenn es nicht mehr so feucht wäre.
Der Bildbändemarkt brummt, besonders jetzt zu Weihnachten. Es ist ein schwerer Trumm, achten sie beim Familienbesuch auf das Gesamtgewicht Ihres Reisegepäcks. Bonn, also jetzt das Buch, hat knapp 300 Seiten im Großformat, ca. 3 cm breiter als ein DIN A 4 Blatt.
Sachsse wählte eine thematisch-chronologische Gliederung: Alt-Bonn, Stadtumbau, Modernisierung, Kaiserzeiten, Industrie und Moderne, NS-Zeit, Bonn nach 1945 und die Geburt der Bundesrepublik Deutschland, alle Fotos in schwarz-weiss.
Meine Lehre nach phasenweise fesselnder Lektüre der rund 400 Fotos: früher war nicht alles besser, das meiste war sogar richtig schlimm. Die Bausubstanz, die hygienischen Bedingungen, der Kadavergehorsam beim Paradieren und Demonstrieren, die Gewalt, die von Politik und Industrialisierung ausging, die Rollenbilder der Geschlechter. Nein, diese Stadt war die überwiegende der erfassten Zeit kein angenehmer, kein schöner Ort – jedenfalls wenn wir es mit heute vergleichen.
Das Buch ist daher ungeeignet für ein prahlerisches Stadtmarketing. Dafür ist es aufklärerisch und auch in seiner Ästhetik sehr ehrlich. Kein Wunder: der kleine Rolf ist in den 50ern in den damaligen Gassen und Ruinen der City aufgewachsen. Ich (geb. 1957) hatte im vergleichbaren Alter mitten im Ruhrgebiet vom Balkon unserer mit US-amerikanischer Hilfe erbauten Mietwohnung freien Ausblick auf Getreidefeld, Bauernhof und Sonnenauf- und -untergänge (mehr darüber in dieser Doktorarbeit über “Graue Architektur”) (plus Rezension in der FAZ).
Und dann veränderte sich in dieser Stadt und Republik zum Glück sehr viel zum Guten. Für die Zeit ab 1970 will Sachsse einen Fortsetzungsband machen.
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