von Bettina Gaus
Schluss jetzt mit den Befindlichkeiten nach der Wahl. Wer den Nationalismus zurückdrängen will, muss die Europäische Union demokratisieren.

Gut, dass wir mal drüber geredet haben. Welche Ängste grölende AfD-Hooligans quälen, was die Kanzlerin fühlt, ob Ostdeutsche irgendwie anders sind, und ob Martin Schulz ein schlechter Verlierer. Waren alle mal dran, oder fühlt sich jemand ausgeschlossen? Falls nein, dann sollten wir kurz die Befindlichkeitsdebatten unterbrechen. Die politischen Gründe für den Wahlausgang, vor allem für das Erstarken des Nationalismus, sind nämlich durchaus ebenfalls interessant.
Andrea Nahles hat an dem Tag, an dem sie zur neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD gewählt wurde, etwas Kluges gesagt. Die Rede ist nicht von einem kruden Witz, den sie besser nicht gemacht hätte, der aber immer noch weniger dämlich war als manche überzogenen Reaktionen darauf. Sondern von ihrer Feststellung, dass auf nationaler Ebene viele Themen gar nicht mehr verhandelt werden können, künftig also sämtlich auf ihre europäische Bedeutung hin betrachtet werden sollten: „Wir werden die Europapartei in diesem Parlament sein.“

Zwei Fragen ergeben sich daraus allerdings. Erstens: Warum hat die SPD eigentlich mit dem Thema Europa keinen Wahlkampf gemacht? Einen Spitzenkandidaten, der davon etwas versteht, hätte sie ja gehabt. Und zweitens: Wie wollen die Sozialdemokraten denn damit kraftvolle Oppositionspolitik gestalten? Immerhin hat Angela Merkel nur kurz nach Andrea Nahles ebenfalls die Bedeutung der Europapolitik betont – worüber sie im Wahlkampf übrigens auch wenig geredet hat.
Die Bundeskanzlerin lobte den französischen Präsidenten Macron, der gerade in einer Rede eine Reform und Vertiefung der EU gefordert hat. Im Einzelnen wünscht er sich eine gemeinsame Asylpolitik, eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern und verstärkte militärische Zusammenarbeit. Findet Merkel alles prima.

Eine gemeinsame Asylpolitik! Geht’s noch? Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen können sich nationalistische Parteien in Europa kaum ein schöneres Geschenk wünschen. Die Reden ihrer Vertreter werden sich leicht schreiben: Die „da oben“ kaspern alles aus, und „das Volk“ wird nicht gefragt. Trillerpfeifen, Böller. Das Problem: Die Völkischen hätten angesichts der gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht einmal ganz unrecht.
Ja, eine gemeinsame Asylpolitik der EU wäre wünschenswert, ebenso wie die Vertiefung der Zusammenarbeit auf anderen Gebieten. Aber erst nachdem endlich die dringlichste Aufgabe in Angriff genommen worden ist, für die sich keine der europäischen Regierungen besonders zu interessieren scheint: nämlich die Demokratisierung der Europäischen Union.

Das Legitimitätsproblem

Nach wie vor wird das Prinzip der Gewaltenteilung auf europäischer Ebene missachtet, die Regierungen und die EU-Kommission werden auf Augenhöhe von keinem Parlament kontrolliert. Das Europaparlament hat ja nicht einmal das Recht, Gesetze vorzuschlagen. So lange das so bleibt, hat die EU-Politik ein Legitimitätsproblem.
Demokratie ist mühsam, eine Reform der europäischen Institutionen ist es auch. Aber ohne eine solche Reform werden Nationalisten in Europa auch weiterhin steigenden Zulauf finden. Ganz unschuldig sagen demokratische Politiker und Politikerinnen immer wieder, auf nationaler Ebene könne ja vieles gar nicht mehr entschieden werden. Recht haben sie. Aber aus dieser unbestreitbaren Tatsache müssen endlich systemische Konsequenzen gezogen werden. Anders lässt sich das demokratische System langfristig nicht retten.
Zugegeben: Klatsch ist lustiger, Personalfragen sind es auch. Aber es geht jetzt um Grundsätzliches. Können wir endlich auch darüber mal reden?

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

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