Es droht ein neues Wettrüsten zwischen den USA und Russland. Deshalb braucht Europa dringend eine eigenständige Außenpolitik.
Das hat Europa gerade noch gefehlt. Sollte US-Präsident Donald Trump seine Ankündigung wahr machen, den INF-Vertrag zur Abschaffung atomarer Mittelstreckenraketen zu kündigen, dann droht ein neues Wettrüsten zwischen den einstigen Gegnern im Kalten Krieg. Ein Gedanke, der nach dem Ende der bipolaren Welt undenkbar schien. Bei Teilen der älteren Generation, die mit der Friedensbewegung politisch erwachsen wurde, werden vergessen geglaubte Ängste neu erweckt.

Zu Recht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die globalen politischen Verhältnisse unübersichtlicher geworden, zumindest aber – und das war ein großer Grund zur Freude – schien die unmittelbare Bedrohung der atomaren Vernichtung Europas gebannt zu sein. Beim INF-Vertrag ging es stets mehr um die Sicherheit Europas als um die militärischen Kräfteverhältnisse im Rest der Welt. Daran hat sich nichts geändert.

Und nun also das! Die Ankündigung des US-Präsidenten hätte zu kaum einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Brexit, Krim-Konflikt, mögliche neue Finanzkrise innerhalb der EU und der Vormarsch autoritärer, nationalistischer Parteien – Europa hat derzeit genug Probleme. Übrigens nicht nur die Europäische Union, sondern auch deren Anrainerstaaten und besonders ehemalige Teilrepubliken der Sowjetunion.

Wie sieht es derzeit eigentlich in Georgien aus? Wie in den Balkanstaaten, die nicht zur EU gehören? Und wie ist die Lage im Baltikum, das sowohl Mitglied der EU als auch der Nato ist? Angesichts der Entwicklung gewinnen diese Fragen eine neue, brennende Aktualität. Denn überall dort sind militärische Konfrontationen nicht ausgeschlossen. Seit Jahren werfen sich Moskau und Washington gegenseitig vor, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen, und vieles spricht dafür, dass die Vorwürfe beider Seiten berechtigt sind. So etwas kommt vor.

Über Trumps Motive zu spekulieren, ist müßig

Wer das politische Handwerk im Kalten Krieg gelernt hat, wusste, dass Annäherung zwischen Gegnern oder sogar Feinden nur dann möglich ist, wenn nicht jedes Fehlverhalten zum Anlass für dramatische Schritte genommen wird. Ohne einen sehr langen Atem beider Seiten wäre es während des Kalten Krieges zu überhaupt keinem Abrüstungsvertrag gekommen.

Über die Motive von Donald Trump zu spekulieren, ist müßig. Dafür hat sich seine Außenpolitik bislang als zu erratisch gezeigt. Europa kann es sich nicht mehr leisten, alleine auf die USA als Schutzherrin zu vertrauen. Es muss endlich den Weg zu einer eigenen, selbständigen Außenpolitik finden – so verunsichernd das auch sein mag. Wie wäre es mit einem russisch-europäischen Gipfeltreffen?

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.